Feines Tier – Ehrlich währt am Längsten

Feines Tier wurde ursprünglich 2010 von 4 Freunden als unregelmäßige Offlocation-Partyreihe in Köln gegründet und ab 2012 als professionelle Party von Amon Nanz und Philipp Fein weitergeführt. In 2014 startete das gleichnamige Label Feines Tier unter Philipp Fein mit regelmäßigen Veröffentlichungen, die schnell auch international gefeiert wurden.

2016 waren die „feinen Tiere“ zum Teil Inhaber des temporären Clubprojekts „Jackwho“ in Köln-Ehrenfeld. Auf demselben Gelände, dem alten Güterbahnhof von Köln, gestaltet Amon den Aufbau eines Kulturzentrums und Philipp Fein lenkt die Geschicke des Labels Wir haben mit Philipp über die letzten Veröffentlichungen, den Label-Ethos und die Zukunft gesprochen.

Die Feines Tier Label-Gründung und die erste Katalognummer, bei der Du sogar beteiligt warst, liegen nun schon mehr als 7 Jahre zurück. Was nimmst Du persönlich aus dieser Zeit mit in die nächsten Jahre?
Vor allem, dass du dich selbst nicht so ernst nehmen solltest. In unserer Szene laufen schon genug Egos und Narzissten rum – da freue ich mich immer über Kolleginnen und Kollegen, die ein wenig Gelassenheit und natürliches Selbstbewusstsein an den Tag legen, anstatt die Ellbogen auszufahren und nur auf den persönlichen Vorteil bedacht sind.
Bei der Frage muss ich spontan mit einem lachenden und einem weinenden Auge an eines der Monatsmottos aus unserem temporären Clubprojekt „Jackwho“ aus dem Jahr 2015/16 denken: Love to kill your ego with us!

Gibt es ein Release auf dessen Sound oder Geschichte Du besonders stolz bist?
Stolz als Vokabel fehlt ehrlich gesagt in meinem aktiven Wortschatz, aber ich drücke es mal anders aus: Jedes einzelne Release hat seinen Platz in der 9-jährigen Feines Tier Label-Historie und ich möchte keine dieser Veröffentlichungen missen!
Sicherlich ist es erfreulich, dass unsere Musik inzwischen von vielen großen DJs gespielt wird und dass wir selbst einige Künstler und Remixer gewinnen konnten, deren Musik auch auf mich maßgeblich Einfluss hatte, wie z.B. zuletzt Ada, Acid Pauli, Axel Boman, Bawrut, Benjamin Fröhlich, Deadbeat, Curses, Echonomist, Fred Berthet, Lauer, Luca Musto, Man Power, Sascha Funke, Theus Mago, u.v.m.

Wie sieht mittlerweile so ein typischer Office Tag von Philipp Fein bei Feines Tier aus?
Typische Tage gibt es praktischerweise nicht, aber ich stemme die Label-Arbeit aktuell noch alleine als One-Man-Army. Derzeit bin ich also A&R, Labelmanager, Texter, Social-Media-Honcho, Buchhalter, und oft auch Grafiker oder Video-Cutter in einer Person.
In naher Zukunft werde ich mir aber sicherlich Verstärkung holen – vor allem beim Thema Social-Media. Das ganze Thema Künstlerabrechnungen und Royalties übernimmt inzwischen glücklicherweise unser Vertriebspartner kompakt distribution für mich.

In Kooperation mit &&booking repräsentiert ihr ein beachtliches Roster an Artists. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
&&booking habe ich zusammen mit Hauke von Laut & Luise pünktlich zur Corona-Krise im Februar 2020 an den Start gebracht. Dann lief fast ein Jahr lang aufgrund der bekannten Umstände erstmal nichts, aber dieser Zeitraum war auch hervorragend dazu geeignet, um die Agentur professionell aufzusetzen und die internen Abläufe zu strukturieren. Seit Ende des Club-Lockdowns ging es dann mit vielen Anfragen los, wobei inzwischen der nächste Club-Lockdown angesagt wurde, der dem regen Treiben erneut ein jähes Ende gesetzt hat.
Mit Laut & Luise verbindet Feines Tier seit jeher ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Wir veranstalten zum Beispiel seit Jahren zusammen Veranstaltungen in Berlin, Köln oder Hamburg. Somit war es aus unserer Sicht ein logischer Schritt die Kräfte zu bündeln und das Thema Artist-Booking gemeinsam auf ein professionelles Niveau zu bringen.

Ihr habt die Clublandschaft und den Sound von Köln intensiv geprägt. Geht damit auch eine gewisse Verantwortung für kommende Rave Generationen einher?
Sicherlich möchten wir auch Vorbild sein. Gerade, wenn es um gesellschaftlich relevante Themen wie z.B. auf lokaler Ebene die Kölner Kulturlandschaft oder auf globaler Ebene den individuellen CO2-Fußabdruck geht. Wir fliegen zum Beispiel keine Künstler mehr extra zu unseren Veranstaltungen ein.
Dasselbe gilt auch bei &&booking. Hier halten wir unsere Künstler dazu an, auf innerdeutsche Flüge zu verzichten und wenn Gigs im Ausland anstehen, die nicht mit dem Zug erreicht werden können, gleichen wir den CO2-Ausstoß aus. Das ist das Mindeste, was jeder Einzelne tun kann und tun sollte! Fliegen ist leider aktuell noch das Schlimmste, was du als Individuum dem Klima des Planeten antun kannst und damit aktiv die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zerstörst.
Beim Thema Tourneeplanung und Routing ergeben sich ebenfalls enorme CO2-Einsparpotentiale. Wir würden uns freuen, wenn wir bei diesem wichtigen Thema mehr Künstler, Veranstalter und Booker inspirieren könnten, in eine ähnliche Richtung zu denken und nach ähnlichen Grundsätzen zu handeln. Leitlinien finden sich in der Initiative lovingtheatmosphere.org, die Freunde von uns aufgesetzt haben.
Muss ich wirklich für einen Gig in die USA fliegen oder bleibe ich vielleicht dann 6 Wochen vor Ort und spiele eine ganze Tour? Oder ist es wirklich so wichtig, dass ich dort spiele oder ginge es vielleicht genauso gut mit einheimischen DJs, die nicht um die ganze Welt fliegen müssen, um vor ein paar Peoples zwei Stunden aufzulegen, nur damit ich meinen Egopush bekomme und ein paar miese Taler verdienen kann?
Dieses Denken fehlt mir in unserer leider viel zu Ego- und Testosteron-geschwängerten Branche immer noch sehr! Hier haben sich leider auch in der Pandemie Gräben aufgetan und bestimmte DJ’s würde ich aufgrund der an den Tag gelegten Attitude niemals zu einer Feines Tier Party buchen. Stichwort: Plague Raves.

Der Sound des Labels ist genau wie seine Struktur mit den Jahren gewachsen. Welche Fahrtrichtung und Vision habt ihr aktuell?
Die Fahrtrichtung war schon immer: Genreübergreifend und versatile. Natürlich ändern sich Geschmäcker und als DJ finde ich es ebenfalls wichtig, am Zahn der Zeit zu sein ohne gleichzeitig jedem Trend nur hinterherzulaufen. Mich langweilen Leute, deren Sound berechenbar ist und alles irgendwie immer gleich nach Schema F und Anwendung von Formeln klingt.
Musikalische Vorbilder sind hier sicherlich Labels wie Ninja Tune, kompakt oder Permanent Vacation, die immer für eine positive Überraschung zu haben sind und relativ Scheuklappen-frei unterwegs sind. So etwas imponiert mir, wenn Leute ihren persönlichen Film durchziehen.
Ich will auch nicht ausschließen, mal eine Jazzplatte zu veröffentlichen, wenn mir etwas Tolles „vor die Flinte kommt“. Zuletzt ging es ja mit dem Projekt Hounah bereits in Richtung Trip Hop á la Massive Attack und Portishead und Luca Musto’s vor kurzem erschienenes Debüt-Album schließt nahtlos an die Golden Era des Hip Hop der 90er Jahre an, die mich vor 25 Jahren zur Musik und zum Auflegen gebracht hat.

Einige der Künstler auf Feines Tier spielen als Artists bereits rund um den Globus, sind aber in Deutschland nicht gleich jedem bekannt. Ist die Szene hierzulande schwieriger mit neuem Sound zu begeistern als in anderen Teilen des Globus?
Das wage ich nicht zu beurteilen. Generell geht in Deutschland schon eine Menge und wir sind nach wie vor das einzige Land auf der Welt, wo du tagelang in Läden wie dem Berghain oder Sisyphos „in Ruhe“ durchfeiern kannst. Zwar läuft es in diesem Ausmaß auch nur in Berlin, aber in anderen Ländern greift beispielsweise um 4:00 Uhr morgens eine generelle Sperrstunde.
Um auf die eigentliche Frage zurückzukommen: Es gibt auch in Deutschland eine Menge Clubs, Festivals und Kollektive, die gegenüber Neuem und Andersartigem sehr aufgeschlossen sind.

Glaubst Du mehr an Genres oder mehr an die Qualität von Musik?
Menschen lieben es in Schubladen zu denken und davon kann sich meiner Meinung nach niemand so richtig frei machen. Ich versuche zumindest aktiv, möglichst viel Musik zu hören, die mir unter Umständen zusagen könnte. Aber wenn ich als DJ neue Musik suche, muss ich im Plattenladen oder auf der Download-Plattform zwangsweise ein bestimmtes Fach oder Genre auswählen, um das zu finden, was ich mag.
Um die Qualität beurteilen zu können, reichen mir meistens ein paar sekundenlange Schnipsel und ich weiß, ob es meinem Gusto entspricht und ob es sich lohnt, länger oder genau hinzuhören.

Feines Tier steht seit jeher auch für Vinylproduktion – wie sehr betrifft euch als Indie-Label die aktuelle Vinyl-Misere der Presswerke in Europa?
Die knappen Kapazitäten, steigenden Rohstoffpreise und damit einhergehenden Kostensteigerungen und langen Wartezeiten bei der Vinylproduktion treffen uns hart. Vinyl war in den Auflagen, mit denen wir hantieren, seit jeher nicht etwas, mit dem viel oder überhaupt Geld verdient wird.

Warum wird das gerade neu angebrochene Jahr auf jeden Fall besser als 2021?
Ich bin grundsätzlich Optimist und damit bin ich langfristig bislang ganz gut gefahren. Insofern kann 2022 nur besser werden, als 2020. Ich freue mich sehr auf die nächsten Releases – da sind jetzt schon ein paar Knaller in der Pipeline und ich bin weiterhin guter Dinge, dass wir alle zusammen die Pandemie in den Griff bekommen werden.

Hört hier in die aktuellen Releases auf Feines Tier rein:

Philipp Fein auf Soundcloud
Feines Tier auf Bandcamp