Festival Blaues Rauschen – Interview mit Rasmus Nordholt-Frieling

Credit: Heike Kandalowski

Drei Städte, sechs Tage, 24 Acts. Das Festival Blaues Rauschen ist kein gewöhnliches Event. Denn auch bei der dritten Ausgabe des Festivals trennen die Macher erneut die Spreu vom Weizen. Alles dreht sich um Musik- und Klangereignisse, Performances, Kultur und Kunst. Und das auf sowohl nationaler wie internationaler Ebene. Die Verschmelzung von digital und analog auf höchstem Niveau verbindet audiovisuelle Darbietungen, Vorträge, und Konzerte. Letztere folgen im 20-Minuten-Takt und nahezu ohne zwischenzeitliche Unterbrechung. 

Wir haben den jungen Künstler Rasmus Nordholt-Frieling interviewt. Er tritt am Samstag, den 2. Oktober, in Dortmund im Tresor-West auf.


Du befasst dich neben der Produktion von Musik auch mit Musikphilosophie, hast sogar ein Buch über Musikphilosophien in der Gegenwart veröffentlicht. Wann und warum hast du angefangen, dich mit Musik zu beschäftigen?

Das kann ich gar nicht sagen: Als Kinder haben mein Bruder und ich Kassettenrekorder auseinandergenommen, um mit den Tapes auf dem Tonkopf zu scratchen. In meinem Elternhaus hat Musik immer eine große Rolle gespielt und im Keller stand uns das Schlagzeug unseres Vaters zur Verfügung. Der hat mir dann auch die Grundlagen auf der Gitarre beigebracht, nachdem ich auf den Instrumentenunterricht in der Musikschule nicht recht angesprungen bin. Ich habe als Kind auch in der kleinstädtischen Tanzschule Stepptanz-Unterricht genommen und das einige Jahre gemacht. Ich glaube, dass das mein recht körperliches Verhältnis zum Rhythmus durchaus geprägt hat.

Insgesamt war meine Geschichte mit der Musik also immer davon geprägt, zwar von irgendjemandem was zu lernen, aber dann autodidaktisch weiterzugehen und einen eigenen Umgang mit den Sachen zu finden. Das gilt auch für die musikphilosophische Beschäftigung: Ich habe eher zufällig angefangen, Theaterwissenschaft zu studieren. Dadurch kamen einerseits die Verbindungen in die Theater- und Kunstszene zustande, in der ich mich als Musiker professionalisieren konnte. Andererseits war das Studium in Bochum ein Ort des gemeinsamen Nachdenkens und Forschens in einer großen Offenheit. Ich habe mich von Anfang an immer für die klanglichen Themen interessiert und mich dort hinein vertieft und viel im Selbststudium gemacht.

Die Frage nach dem „Warum“ kann ich nur für die theoretische Arbeit beantworten: Ich glaube, eigentlich will ich nur wissen, warum Musik und Klang (mich) auf so besondere Weise berühren.

Dein Name klingt exotisch, zudem bedienst du dich häufig an fremden Rhythmen und Einflüssen. Woher stammst du?

Ich komme aus der exotischen Region im Niemandsland zwischen Münsterland und Ostfriesland, nahe der holländischen Grenze. Meinen Vornamen hatten meine Eltern wohl aus der skandinavischen Kinderbuchliteratur.

Künstlerisch bewege ich mich zwischen sehr verschiedenen Welten, wobei ich die Idee des Exotischen mit ihrem kolonialen Ballast dabei weniger im Kopf habe. Ich arbeite mit Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten und Lebensrealitäten. Mit Menschen aus der Welt der ‚ernsten‘ oder ‚klassischen‘ Musik, mit Choreograph*innen, Leuten aus dem Bereich der Literatur, Regisseur*innen, Musiker*innen aus dem Jazz, aus der elektronischen Musik und so weiter. Durch meine Arbeit im Theater-Kontext bin ich rumgekommen und habe viele Menschen kennengelernt, die nicht europäisch sozialisiert sind. Von ihnen erfahre ich viel über nicht eurozentrisch ausgerichtete Konzepte von Kunst, Musik, Geschichte, Wissenschaft und Ökologie. Zu versuchen, diese zu begreifen, und dadurch meine eigene Sozialisation infrage zu stellen, ist die praktische Arbeit an meiner eigenen Dekolonisation.

Wie war deine Sozialisation zur Musik?

Wie gesagt hat Musik und Klang für mich schon immer eine große Rolle gespielt. In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, war als Jugendkultur vor allem Indie-Rock relevant. Mit meinem Bruder und zwei anderen Freunden hatten wir über die gesamte Jugendzeit eine Band, mit der wir uns zwischen Grunge, Emo und Hardcore bewegt haben, um uns dann später eher experimentell zu orientieren.

Mir hat eine Freundin als ich sechzehn war erzählt, dass ältere Freunde von ihr Hip-Hop-Beats am Computer machen und mir von denen die Software besorgt. Fruity Loops und Cool Edit Pro … Ich habe erst Tracks mit Samples gemacht und bald darauf von einem Freund einen Synthesizer ausgeliehen und mir den Microkorg gekauft. Zu dieser Zeit habe ich mich mit einem guten Freund notorisch in das Werk von Kraftwerk eingearbeitet.

Du entwickelst Klangkonzepte, häufig szenische und performative Werke. Inwiefern hat sich Performance in deinen Augen durch Corona verändert?

Man muss ersten sagen, dass die Förderinstitutionen im Theaterbereich sehr schnell und gut reagiert haben, um die Künstler*innen zu unterstützen. Zweitens kann ich vor allem für mich und mein Umfeld sagen, dass sich die Arbeitsweisen vervielfältigt haben und ich kann mir vorstellen, dass man davon etwas beibehalten wird. Also: Weg von dem täglichen Proben und hin zu etwas dezentralerem Arbeiten, begleitet vom regelmäßigen Austausch usw.

Die Arbeit mit Zoom-Formaten und Live-Streaming war sicher ein guter Ausweg in den Lockdowns, aber da stellt man bei Publikum und Künstler*innen auch Ermüdungserscheinungen fest. Die Leute wollen gerne wieder raus und für das Theater ist die Begegnung ein sehr wichtiger Aspekt. Trotzdem wird das mit dem Streamen sicher prägend bleiben, um etwa eine größere Barrierefreiheit herzustellen, oder auch Publikum zu erreichen, für das eine Anreise – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich ist.

Ich habe festgestellt, dass mir zwei Dinge irgendwann wirklich gefehlt haben: Das eine ist der Nervenkitzel vor einer Aufführung oder einem Konzert und das zweite ist das direkte Feedback durch Applaus und Gespräche im Anschluss.

Wo sucht du Inspiration für deine Sounds?

Einerseits in der Begegnung mit anderen Menschen und der Auseinandersetzung mit ihren Perspektiven. Anderseits interessiere ich mich für die Klanglichkeit selbst, also dafür, was eben Klang kann, was nichts anderes kann. Das ist ja auch der Ausgangspunkt für meine philosophische Arbeit. Als praktisches „Forschungsinstrument“ hat sich bei mir in den vergangenen Jahren der modulare Synthesizer durchgesetzt. Aktuell mache ich Musik hauptsächlich damit und es handelt sich um ein nahezu ausschließlich analoges System. Ich bin fasziniert von der Komplexität die auf der Grundlage der Verschaltung von einfachen Elementen entsteht. Die Klanglichkeit einer polyphonen Musik basiert ja auch darauf, dass sich die unterschiedlichen Klangwellen gegenseitig einfalten und modulieren und so die plastische Form der Schallwelle dieser bestimmten Musik erzeugen. Dieser Vorgang liegt am modularen Synthesizer auf der Hand.

Wie würdest du die Philosophie der Musik der Gegenwart in einem Satz beschreiben?

Es ist alles dazwischen: zwischen den Praktiken, Schulen, Traditionen, Schreibweisen, Rhythmen, Skalen, Universen, zwischen E & U,zwischen Alt und Neu. Der globale Klangraum ist also selbst klanglich verfasst, insofern er nicht von einer Logik organisiert wird, sondern sich im modulierenden Zwischenraum bildet. Deswegen lässt er sich auch nicht auf einen Satz bringen, sondern man braucht mindestens zwei.

Worauf freust du dich beim Blaues Rauschen Festival besonders?

Am 18.09 habe ich meine EP “TRANSMISSION 20/21” veröffentlicht und das mit einem gemeinsamen Konzert mit der Künstlerin Miriam Michel und dem Posaunisten Moritz Anthes gefeiert. Es war wundervoll mal wieder für Menschen zu spielen … Deswegen freue ich mich ganz schlicht darauf, beim Blaues Rauschen aufgeregt zu sein, für Menschen live zu spielen und im Anschluss ein direktes Feedback zu bekommen und zu feiern – bei aller gebotenen Vorsicht.

Hier geht es zum Instagram-Profil von Rasmus

 

Die Tageskarte für das Blaues Rauschen Festival könnt ihr euch zum günstigen Preis von 15 EUR sichern. Viele weiterführende Infos findet ihr auch auf der offiziellen Veranstaltungs-Website: www.blauesrauschen.de/.

 

Credit: Heike Kandalowski

 

Blaues Rauschen – diverse Locations in Dortmund, Essen, Bochum

Festival BLAUES RAUSCHEN: elektronische Musik und digitale Experimente