
Ganze sechs Jahre haben die Fans von Matthew Barnes, besser bekannt als Forest Swords, auf den Nachfolger des gefeierten Werks „Compassion“ warten müssen. Der Liverpooler debütierte seinerzeit auf Ninja Tune und legt mit dem Ende Oktober erschienenen „Bolted“ auf demselben legendären Label nach. Auf dem Album geht es gleichermaßen kraftstrotzend, düster, eindringlich und euphorisch zu. Denn zu hören gibt es Industrial-Electronica, gepaart mit einer Menge Melancholie, dekonstruierten Synthesizern und erhabenen Vocals.
Produziert wurden die elf Titel in einem alten Warehouse in seiner Heimat Liverpool über den Zeitraum von rund einem Jahr, erinnert er sich: „Wie bei jedem Projekt habe ich immer gemischte Gefühle: Ich bin froh, dass es fertig und vollständig ist und dass die Leute das Album endlich hören und kaufen können. Aber ich mache das gesamte Artwork, Packaging und auch das Design selbst. Ein Album zu machen, bedeutet für mich also viel mehr, als nur die Musik zu machen und die Songs fertigzustellen. Es steckt viel Arbeit und emotionale Anstrengung dahinter, um sicherzustellen, dass es sich bzw. ich mich vollständig verwirklicht anfühlt bzw. anfühle. Wenn die Leute Geld für ein Album ausgeben oder Zeit damit verbringen, es zu streamen, möchte ich, dass sie eine komplette Welt bekommen, die sie erkunden können und in die sie sich eingeladen fühlen: Musik, Packaging, Optik. Das alles ist mir wichtig, aber es kostet auch eine Menge Energie.
Der Vibe in dieser Lagehalle in Liverpool war dafür wie gemacht. Eine Zeit lang war ich wie besessen von Factory Records und einer Menge postindustrieller britischer Musik aus den 1980er-Jahren, die aus Städten wie Sheffield, Glasgow und Manchester kam. Etwa zur gleichen Zeit wurde mir ein Raum in einer ehemaligen Fabrik angeboten, der ziemlich genau meinen Vorstellungen entsprach. Es war kalt, schlecht schallisoliert, ohne Fenster, ziemlich bedrückend. Und sehr billig. Etwa einen Monat später brach ich mir den Fuß und saß lange Zeit dort fest, um bis in die Nacht hinein zu schreiben. Es war viel beklemmender und düsterer, als ich es ursprünglich beabsichtigt hatte, und das spiegelt sich wahrscheinlich in vielen der Songs des Albums und dem Gesamtsound wider. Die Atmosphäre dort war stellenweise fast ein bisschen psychedelisch.“
In den letzten Jahren hat Barnes auch als gefragter Komponist und Sounddesigner für Ballett, Film und Videospiele gearbeitet. Projekte, die sich auch auf sein Künstlerdasein ausgewirkt haben: „Bei Kompositions- und Sounddesign-Projekten muss man manchmal unter ziemlichem Zeitdruck arbeiten oder sich schnell etwas einfallen lassen. Und ich glaube, das hat sich auf das Schreiben dieser Platte übertragen – ich habe viel Material dafür gemacht, viele Skizzen und Experimente. Ich habe noch eine ganze Reihe von Songs übrig. Das hat auch dazu geführt, dass ich nicht mehr so egoistisch bin, wenn es darum geht, etwas zu schaffen, und dass es mir viel leichter fällt, Dinge wegzuwerfen, die mir nicht gefallen, denn das ist oft ein großer Teil des Komponierens für andere Leute – Dinge werden nicht benutzt und weggeworfen. Außerdem macht es mir Spaß, neue Dinge zu lernen, und die Arbeit an Videospielen, Theater, Ballett usw. zwingt einen dazu, neue Techniken zu lernen. Jede Branche hat eine andere Arbeitsweise, und ich liebe es, diese talentierten neuen Leute kennenzulernen und in eine Welt einzutauchen, die ich vielleicht noch nicht kenne.“
Gänzlich verworfen hat er nicht genutztes Material dennoch nicht. Auf seinem YouTube-Channel lancierte er kürzlich „Bolted Radio“, einen 24-Stunden-Loop-Mix aus Drones, Skizzen, Ambient, Dekonstruktionen, Feldaufnahmen und Experimenten, die in der Zeit der Albumproduktion entstanden sind: „Viel Material ist oft nie zu hören oder führt quasi ein anderes Leben, aber dieses Mal wollte ich etwas davon als eine Art Sendung zusammenstellen.“ Auch seine Arbeit im Studio hat sich, vor allem im Vergleich zu den beiden Vorgänger-Alben, entwickelt und verändert: „Ich habe das Gefühl, dass ich mich bei der Arbeit mit Software und Hardware etwas wohler fühle. Ich habe mir für dieses Album ein paar neue Geräte gekauft, weil ich endlich einen Studioraum hatte, in dem ich arbeiten konnte. Ich hatte zum Beispiel noch nie einen Synthesizer oder Sampler. Dennoch glaube ich, dass die Platte durch gewisse Dinge sehr nach einer Forest-Swords-Platte klingt. Ich fühle mich zu einer bestimmten Klangpalette hingezogen und werde bestimmte Sounds immer auf unterschiedliche Weise behandeln, weil das einfach zu mir gehört und es mir so Spaß macht, Musik zu schreiben. Ich stelle mir das so vor, wie wenn ein Maler im Laufe seines Lebens eine bestimmte Farbe oder Technik verwendet: Die Bilder selbst können sich ändern, aber es gibt immer eine einheitliche Sprache, an der man erkennt, dass es seine Arbeit ist.“
Im Winter wird Forest Swords zahlreiche Live-Shows spielen, darunter einige in Europa. Am 23. November ist er mit einem weiteren Musiker am Saxophon und Schlagzeug sowie einem Live-AV-Visual-Setup im UT Connewitz in Leipzig zu Gast.
Aus dem FAZEmag 141/11.2023
Text: Triple P
Foto: Self Portrait
www.instagram.com/forestswords/