Mehr als viereinhalb Jahre nach „True Colours“ – seinem letzten Langspieler – kehrt Fritz Kalkbrenner mit einem neuen Album zurück – „Third Place“. Ähnlich wie der Vorgänger – veröffentlicht zu Beginn der Corona-Pandemie – erscheint auch „Third Place“ zu einem Zeitpunkt, den man zweifellos als „Zäsur“ in der deutschen Club- und Musiklandschaft bezeichnen kann. Noch nie waren deutsche Veranstaltungsorte so akut gefährdet wie heutzutage, noch nie war uns so sehr bewusst, welch essenzielle Bedeutung sie in sozialen und kulturellen Kontexten genießen.
Den übergeordneten Kontext dieser Thematik greift nun auch Fritz Kalkbrenner – Ur-Berliner durch und durch – in der neuen LP auf, die zwischen Euphorie und nostalgischer Introspektion balanciert und mit treibenden Rhythmen und souligen Vocals an den Erfolg seiner Gold- und Platin-Hits anknüpft.
Das Ergebnis ist nicht nur eine atmosphärische Reise zwischen House, Techno, Breakbeat und Dance-Pop, sondern auch ein verschärftes Bewusstsein für eben jene „Third Places“ – Orte, an denen Kreativität und Gemeinschaft keimen, aufleben und Freiheit und emotionale Befreiung verkörpern.
Warum Fritz Kalkbrenner den Begriff „Clubsterben“ lieber meidet, wo er seine Partynächte in den 2000ern verbracht hat und alles rund um das neue Album lest ihr im Interview. Wer Fritz Kalkbrenner live sehen möchte, der kann dies bei der NYE-Party im Ritter Butzke tun.
Hallo, Fritz. Dein neues Album ist von Orten inspiriert, die als unabdingbar für das soziokulturelle, musikalische und kulturelle Miteinander gelten. Kommen dir da bestimmte Clubs und Räume in den Sinn? War das Clubsterben ausschlaggebend für das Konzept von „Third Place“?
In meinem Falle sind das die Läden aus meiner Jugend bzw. im jungen Erwachsenenalter, die für mich wie ein zweites Wohnzimmer waren, unter anderem das Watergate. Deren Schließung war aber nicht der Auslöser für das Konzept von „Third Place“. Die Thematik sollte man allgemeiner sehen. Die Menschen haben den ersten Ort, wo sie schlafen und leben; den zweiten, wo sie arbeiten und dann eben noch den dritten Ort, der sozialen und kulturellen Austausch geben soll – egal, wie dieser aussieht. Das kann von Hundezüchterverein über Kneipe bis hin zum Club alles sein – das ist das Konzept des Albums. Ich möchte auch ungern von einem Clubsterben sprechen, das wie eine Epidemie über die Felder zieht, das halte ich für etwas überstrapaziert.
Das Watergate wird zum Jahresende für immer seine Türen schließen. Wie hast du diese Nachricht aufgefasst und welche Erinnerungen assoziierst du mit dem Club?
Ja, das stimmt. Es lag schon länger in der Luft, dass das Watergate schließen würde. Ich habe das auch ein Stück weit früher schon gewusst. Es ist sehr betrüblich und gerade auch dem Umstand geschuldet, dass schlichtweg die angehobenen Mietkosten das Ganze als solches aufsprengen – das ist sehr, sehr schade.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich bei der Eröffnungsshow dabei war, als der Laden ganz neu aufgemacht hat. Und ich kannte natürlich auch einige Leute, also Stoffel und Metro, der Drum ’n‘ Bass-DJ war und auch heute noch ist und dort nach wie vor im Leitungsteam arbeitet. Mit ein bisschen Glück schaue ich auch dann beim letzten Abend noch vorbei.
Die 2000er: Fritz Kalkbrenner auf Achse. Wo geht’s typischerweise hin?
Da gab es das Discount, den Nachfolgeclub vom Suicide, das dann ja später wiedereröffnet hat. Ansonsten auch die üblichen Verdächtigen wie das Tresor oder WMF. Zu meiner Zeit war das erste E.Werk schon zu. Ansonsten das Ostgut, den Vorläufer vom Berghain, die Pfefferbank auf dem Pfefferberg, wo ich zeitweise dann auch selbst gearbeitet habe. Das waren die Orte, wo man sich ausgetauscht hat. Ich war sicherlich nicht der Einzige, der da gerne Musik gemacht hätte, aber noch nicht so weit war. Von daher gab es da immer viel Gesprächsbedarf und genau das, was ein Third Place zur Verfügung stellen soll, wurde dort auch gelebt.
Kommen wir nochmal zu der Clubkrise zurück. In einem Interview hast du kürzlich vor allem die Politik in die Verantwortung genommen. Was muss sich konkret ändern?
Was sich konkret ändern müsste, das braucht ihr keinen Musiker fragen, sondern vielleicht den Kultusminister oder den Kultursenator, der in der Verantwortung ist. Das Einzige, das ich weiß, ist, dass die unterschiedlichen Kulturbetriebe und Musikbetriebe in Berlin augenscheinlich mit unterschiedlichem Maß gemessen werden.
Die vier subventionierten Sprechbühnen in Berlin werden pro Show und Sitzplatz mit irgendetwas zwischen 200 bis 400 Euro subventioniert; und nichtsdestotrotz bekommt es dann so ein Laden wie das Deutsche Theater Berlin hin, pro Jahr zwischen zweieinhalb bis drei Millionen Mise einzufahren, das heißt auf dem freien Markt würde es das schon seit 20 Jahren nicht mehr geben.
Man will nicht sagen, dass Kunstbetrieb zwingendermaßen immer nur auf Gewinnmaximierung arbeiten sollte, aber es sollte auch nicht das Geld anderer Leute verschlucken. Schlussendlich ist es so: Die einen haben es und machen weiter und die anderen – die Clubs – haben es nicht und schließen. Das ist also eine Tatsache.
Du sagst, du bist immer noch Teil der Clubkultur, gehst aber nicht mehr so oft weg und treibst dich eher an Orten herum, die unbeobachtet sind – etwa im Sisyphos oder im Heideglühen. Auch aus Anonymitätsgründen?
Ja, das stimmt. Ich gehe nicht mehr oft weg – nicht aus Anonymitätsgründen, das ist mir eigentlich größtenteils schnurz. Es ist eher so, dass man, wenn man eine Show spielt, im Endeffekt auch unterwegs und in einem Laden ist; und da kommen viele unterschiedliche Orte zusammen. Wenn man da sein Pensum schon erfüllt hat, muss man jetzt nicht noch einen freien Tag zwingenderweise nachholen – oder man lässt dann Qualität vor Quantität gehen. Ehrlich gesagt glaube ich auch, dass das junge Publikum mich überhaupt nicht erkennt.
Sprechen wir über „Third Place“. Was können wir vom Sound erwarten? Das Album ist ja ziemlich facettenreich. Magst du mal ein paar Nummern hervorheben, die diese Diversität untermauern?
Das Album ist die aktuelle Iteration dessen, was ich an Musik mache. Facettenreich – ja, das stimmt, aber das war auch in den vergangenen Alben hoffentlich schon immer der Fall: rein instrumentelle, Club-orientierte Sachen mit kurz gebundenen Vocals, die ich gesungen habe und die bisweilen sogar ihren Weg ins Radio finden konnten. Das habe ich ja immer versucht auf meinen Alben zu vereinen.
Ob es da jetzt Sinn macht, irgendwelche Nummern mit Namen und im Detail der Produktion hervorzuheben und durchzukauen, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, das beste Hörerlebnis bekommen die Hörer und Hörerinnen, wenn sie sich das ganze Album am Stück anhören.
Zuletzt wurde aus dem Album die Single „Playing Games“ mit Coach Harrison ausgekoppelt:
Gab es in letzter Zeit Ereignisse, die Einfluss auf deine Produktionen hatten? Gibt es bestimmte Entwicklungen oder Veränderungen, die du im Studio festgestellt hast? Vor allem in Bezug auf das neue Album?
Es gibt immer Eindrücke und Umstände, die Einfluss auf die Produktion nehmen. Eher technische Neuerungen sind neue Plug-ins, neue Wege, die man gehen kann. Dann gibt es auch so Sachen, die man, obwohl es die Möglichkeiten gibt, eigentlich eher weniger einsetzen möchte. Splice etc. ist immer noch ein großes Thema. Ich mache es jetzt schon so lange, dass ich das nur sehr sparsam zum Einsatz bringe und doch lieber noch Sachen zur Verwendung kommen lasse, die ich entweder ausgebuddelt oder am Synthie zusammengelötet habe.
Ich nehme meine ganzen Sachen beim Ingenieur in den Riverside Studios auf, da sind 20 Studios Seite an Seite und man kommt allgemein in den Austausch und hört, welche neuen, modernen Sachen es gibt oder womit andere arbeiten. Wenn man nicht taub und stumm ist, dann kann man gar nicht den Einflüssen entgehen. Von daher ist das ein zwingender Prozess.
Muss man heutzutage aufpassen, seiner Musik treu zu bleiben? Die Fluktuation auf dem Markt ist enorm. Viele lassen sich leicht davon beirren und kommen vom Pfad ab.
Ich weiß nicht, ob man aufpassen muss, seiner Musik treu zu bleiben. Ich verstehe, worauf das abzielt, aber ich selbst habe diese tiefe „Notwendigkeit“ nicht, mich mit meinem ganzen Schaffen dem neuen Sommertrend hinterherzuwerfen. Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber bisher ist das für mich nicht in Frage gekommen. Es ist hilfreich, sich neuen Einflüssen nicht zu verschließen, aber wenn man das Glück hat, eine eigene Signatur zu besitzen, dann sollte man die auch nicht zu schnell und zu übereilt über Bord werfen.
Weihnachten steht vor der Tür. Wird’s anstrengend oder eher gemütlich?
Wenn ich das wüsste, wäre ich jetzt schon schlauer.
Ein kurzer Ausblick auf 2025?
Ich gehe davon aus, dass es im Frühjahr und dann Herbst auf europäische Clubshows gehen wird und in der Sommersaison sicherlich auch auf einige Festivals. Dazwischen gibt es hoffentlich neue Veröffentlichungen, die aber so noch nicht spruchreif sind – da müssen wir uns alle noch etwas gedulden.
Hier könnt ihr in das Album „Third Place“ von Fritz Kalkbrenner reinhören und dieses käuflich digital erwerben:
Das Album „Third Place“ von Fritz Kalkbrenner ist am 1. November via Virgin (Universal Music) erschienen.
Aus dem FAZEmag 154/12.2024
Text: M.T.
Credit: Sarah Storch
Web: www.fritzkalkbrenner.com