Fusion Club: Thomas Pieper über 2022, die Corona-Politik und die Vorfreude auf 2023

 

Foto: Paul Popanda

Hallo Thomas, ein spannendes und aufregendes Jahr neigt sich dem Ende entgegen. Und – wer hätte das gedacht – es war nicht alles schlecht. Zieh doch gerne einmal Bilanz, vom Re-Opening des Fusion Clubs mit der ersten Veranstaltung „nach“ der Pandemie – bis zur bevorstehenden Silvester-Party.

Foto: Maren Kuiter

Hi Torsten – und ja, es war ein wirklich gutes Jahr. Das hat zum einen sicherlich mit der allgemeinen Euphorie nach den Lockdowns zu tun, aber zum anderen auch mit der Neugestaltung des Clubs und den vielen neuen Veranstaltern, die sich während der Pandemie prächtig entwickelt haben. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass die Pandemie bei einigen Protagonisten einen gewissen kreativen Schub ausgelöst hat. Raus aus dem Hamsterrad und rein ins Ungewisse. Allerdings bin ich weit davon entfernt, die Pandemie schön zu reden. Alles in allem mussten wir zu Beginn ein hohes KfW-Darlehen aufnehmen, um überhaupt unsere Rechnungen zahlen zu können und dieses Darlehen ist jetzt gerade in die Tilgung gegangen. Wir haben jetzt also schon noch eine zusätzliche Belastung auf der Pay Role und einen gewissen Weg zu gehen. Als Berufsoptimist bin ich aber positiv gestimmt, und wenn ich auf all die großartigen Events in diesem Jahr zurückblicke, dann habe ich auch allen Grund dazu. Vom Re-Opening am 5. März mit Âme live und DJ Pierre bis heute gab es nicht ein Event, das nicht gerockt hat, und so viele tolle Künstler*innen, die wir in unserer Kathedrale begrüßen durften. Zum Jahresende freue ich mich ganz besonders auf den 25.12., wenn Westbam im 28. Jahr zurück in seine Heimat kommt, um ein etwas anderes Weihnachtsfest mit uns zu bestreiten. Special Guest diesmal: Detroit-Techno-Legende DJ Stingray 313. Silvester gehört dann traditionsgemäß wie immer komplett unseren großartigen Resident-DJs.

Foto: Paul Popanda

Du bist nicht nur der Head des Fusion-Clubs, sondern auch der kreative Kopf. Wie du mir mal verraten hast, machst du alle Bookings selbst. Außerdem sind du und dein Team diejenigen, die hinter dem Docklands Festival und den Events am Coconut Beach stecken. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie zufrieden bist du als Veranstalter, was die Besucherzahlen, die Umsetzung und Resonanz der Festivitäten angeht? Wobei 1 = top und 10 = flop ist.

Was die Besucherzahlen angeht, würde ich eine 2+ vergeben. Etwas Luft nach oben muss ja noch sein und gegen Ende der Saison hat man schon gemerkt, wie viel in Europa eigentlich los ist. So einen Sommer habe ich jedenfalls noch nie erlebt. Zudem war unsere Taktung enorm. Nächstes Jahr werden wir auch ein paar Events weniger machen. Das war wirklich too much. Auch was das Arbeitspensum anging. Was die Umsetzung des Docklands Festivals angeht, gebe ich uns nur eine 3, was aber auch an den brutalen Umständen lag. Dass weit und breit kein geschultes Personal zu finden war und wir zwei Jahre off waren, hat es uns nicht so leicht gemacht. Umso mehr freuen wir uns auf das Docklands Festival 2023, wo wir gerade logistisch und vom Aufbau her grundlegende Neuerungen umsetzen wollen. Wir sind aktuell schon mitten in den Vorbereitungen und ich kann versprechen, dass es ein perfekt organisiertes Event wird. Insofern waren die widrigen Umstände in 2022 auch ein Segen, weil wir daraus wahnsinnig viele Schlüsse ziehen konnten.

Der Herbst ist längst passé und der Winter steht vor der Tür. Letztes Jahr um diese Zeit herrschte Stille in der Szene. Blickst du in Anbetracht von Corona mit einem mulmigen Gefühl ins kommende Jahr oder seid ihr im Team sehr zuversichtlich, dass es keine weiteren Restriktionen geben wird?

Da bin ich total zuversichtlich. Auch wenn es einige Leute immer noch nicht hören wollen, aber Stand jetzt hat Corona seinen Schrecken verloren, weil die neuen Virusvarianten einfach nicht so gefährlich sind. Hinzu kommt die Möglichkeit, sich impfen zu lassen und so gesehen ist wieder jeder seines eigenen Glückes Schmied. Mir ist natürlich klar, dass Corona für einige Menschen im Land immer noch sehr gefährlich werden kann, aber das darf und wird auch nicht dazu führen, dass Millionen von Menschen ihres sozialen Lebens beraubt werden. Besonders Vulnerable müssen halt auf sich aufpassen, und das tun die meisten sicherlich auch. Es darf auf jeden Fall nicht mehr passieren, dass die Gruppe der … sagen wir mal 16- bis 25-Jährigen …  komplett außen vorgelassen wird und ihrer wichtigsten Jahre beraubt wird. Das war der größte Fehler, den die Politik seinerzeit gemacht hat. Wir Älteren hatten immer unser gewachsenes soziales Umfeld, was all die Jungen Menschen im Land nicht hatten und sich genau in dieser Zeit aufbauen wollten, aber nicht durften. Das war neben den Toten meines Erachtens die eigentliche Tragik der Pandemie so far.

Die Politik hat sich – und das darf man getrost sagen – während der diversen Lockdowns in Bezug auf die Event-Branche nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Wie habt ihr diese harten Zeiten erlebt, durchlebt und überlebt? Und: Wie habt ihr die Zwangspause nutzen können, um dann wieder mit aller Kraft zurückzukehren?

Das sehe ich etwas differenzierter. Der größte Fehler der damaligen Regierung war sicherlich, die allzu offensichtliche Klientelpolitik vor den Wahlen. Hauptsache Fußball-EM, Hauptsache Mutti und Vatti können im Gasthof ihr Schnitzel essen, Hauptsache der Urlaub auf Malle ist gesichert und maximal noch was für die Kleinsten tun, weil deren Eltern auch potentiell konservative Wähler sein könnten, wohingegen die Mehrzahl der jungen Menschen im Land aufgrund der verfehlten Klimapolitik und grundsätzlich mangelnder Empathie seitens der Regierenden ohnehin schon längst als Wähler*innen aufgegeben wurden.

Unter diesen Voraussetzungen war es natürlich für unsere Verbände und Interessenvertretungen nicht einfach, sich Gehör zu verschaffen. Und sicherlich hat es teilweise auch an der schlimmen Bürokratie in Deutschland gehakt, aber am Ende zählt das Ergebnis und das kann sich im Verhältnis zu anderen Ländern durchaus sehen lassen. Ich tu mich etwas schwer damit, über mangelnde Unterstützung der Politik zu jammern, wenn ich sehe, wie es Menschen in anderen Ländern geht und wie es z. B. um mein Lieblingsland Südafrika steht, wo der so wichtige Tourismus komplett weggebrochen ist und ohnehin schon seit Jahren massive Probleme mit der Wasser- und Stromversorgung bestehen. Ganz zu schweigen von der allgemeinen Armut, und da steht Südafrika irrsinnigerweise auf dem afrikanischen Kontinent noch ganz gut da.

Wir haben auf jeden Fall jede Gelegenheit genutzt, unsere Pforten zu öffnen, den Menschen eine Perspektive zu geben und einen kleinen Notgroschen einzunehmen, um zumindest etwas Liquidität zu haben. Irgendwann kamen dann auch die Hilfen, und in diesem Jahr konnten wir dann sehr gut von den Neustartkultur-Programmen profitieren. Zudem haben wir in der Zwangspause unsere Kreativität wiederentdeckt und unsere Läden, wie auch das Festival, neu gestaltet als auch neue Eventformate entwickelt. Kreativität braucht Freiraum für Gedanken, Zeit und Nichtstun. Das alles hat man aber oft nicht, wenn man nur noch arbeitet und vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht.

Foto: Paul Popanda

An das Jahr 2022 kann man quasi schon einen Haken setzen. Welche Pläne habt ihr bereits für 2023 geschmiedet, welche Specials erwartet die Besucher – und: Wovor habt ihr am meisten Angst als Veranstalter und worauf freut ihr euch am meisten?

Wir freuen uns auf jeden Fall riesig auf das neue Jahr! Im ersten Halbjahr werden wir einmal pro Monat ein echtes Highlight im Fusion Club setzen, beginnend im Februar. Leider können wir die Acts noch nicht verraten. Wird aber ziemlich nice. Wenn es dann wärmer wird, startet auch unsere Freiluftsaison. Das offizielle „DIGITALKANAL“-Opening (unser härteres, technoides Konzept) findet am 6. Mai statt, und eine Woche später, am 13. Mai, folgt dann das „KANELLO GALORE“-Opening (Takatuka Follow-up) für die etwas housigere Fraktion. Beide Events sind Day- & Night-Editionen und somit kleine Mini-Festivals, die über 15 Stunden und mehr gehen. Am 10. Juni findet dann das Docklands Festival statt und danach geht es munter mit den besagten Open Airs weiter. Vom 3. Bis zum 9. September begeben wir uns mit 700 Freunden auf unser ziemlich einzigartiges, intimes, kleines „The Island Festival“ in Kroatien. Sollte man mal erlebt haben. Zudem werden wir am Beach unser Dekokonzept erneuern und auch noch ein paar sinnvolle bauliche Maßnahmen umsetzen. Ganz bestimmt wird uns also nicht langweilig. Angst haben wir keine. Jedenfalls nicht, was unsere Unternehmungen angeht. Sorgen mache ich mir nur über die Zukunft meiner beiden Kinder, die auf einem Planeten leben müssen, den wir in keinem guten Zustand hinterlassen.

 

Aus dem FAZEmag 130/12.2022
Foto Thomas Pieper: Maren Kuiter
Fotos Fusion Club: Paul Popanda
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