George FitzGerald – Eine interstellare Angelegenheit

George FitzGerald – Eine interstellare Angelegenheit / Foto: Steve Gullick

Wie klingt eigentlich grenzenlose Freiheit? Dieser Frage widmet sich der Londoner DJ und Produzent George FitzGerald auf seinem dritten Album „Stellar Drifting“. Bekannt für seine Releases auf Labels wie Hotflush Recordings und Double Six Records hat der Brite bereits in der Vergangenheit bewiesen, über welch extraordinäre Fähigkeiten er im Bereich des Producing und Songwriting verfügt. Für seinen neuesten Langspieler, der mit großartigen Features von London Grammar, SOAK und Panda Bear daherkommt, wagte er sich nun in unerforschte Gefilde vor und wählte einen hochgradig konzeptionellen Ansatz, um das Gefühl des grenzenlosen Seins zu erforschen. So hat sich FitzGerald für „Stellar Drifting“ vom Weltraum inspirieren lassen und sich beispielsweise mit Aufnahmen des Hubble-Teleskops sowie Audio-Recordings von Raumsonden beschäftigt, die ihm letztlich den Aufbruch in völlig neue Klangdimensionen ermöglichten. Sprechen wollten wir unter anderem aber auch über seine Berliner Vergangenheit, die ihm einst die Eingangspforte in die Welt der elektronischen Tanzmusik öffnete.

Hallo, George. Wie geht es dir? Was treibst du aktuell?

Mir geht es gut, vielen Dank. Ich versuche aktuell, den Sommer zu genießen, auch wenn es mir angesichts der extremen Temperaturen nicht gerade leichtfällt. Parallel bereite ich mich auf meine anstehende Tour vor. Ich muss schon sagen: Es fühlt sich echt seltsam an, nach der Pandemie wieder durchzustarten. Ein unglaublicher Kontrast. Aber ich freue mich.

Die Hitzewelle hat auch vor Großbritannien nicht Halt gemacht. Du bist also kein Freund dieses heißen Wetters?

Ich hasse es und bin wahrlich kein Befürworter dieser extremen Temperaturen. Ich glaube, ich bin einfach nicht dafür gemacht. Dass es uns UK-ler besonders trifft, liegt aber auch an der unzureichenden Vorbereitung bzw. Ausstattung. Sowohl öffentliche als auch private Gebäude sind meist nicht klimatisiert. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie unerträglich es beispielsweise in den U-Bahn-Stationen ist. Ich versuche also, Zuflucht in meinem fensterlosen Studio oder an schattigen Plätzchen zu finden. Der Frühling und der Herbst sind meine Jahreszeiten, aber ein Hitze-Sommer wie dieser? Das ist nichts für mich.

In London hast du damals deine ersten Connections zur elektronischen Szene herstellen können. Kurze Zeit später jedoch trafst du die Entscheidung, nach Berlin zu ziehen. Warum?

Ich habe Musik nie als Karriere-Ding betrachtet. Es war ein Hobby, das ich liebte und natürlich immer noch liebe. Tatsächlich bin ich 2005 nach Berlin gezogen, um dort als Übersetzer zu arbeiten. Ich hatte allerdings eine Menge Freizeit, die ich nutzen konnte, um mich mit Musik und dem Auflegen zu beschäftigen. Berlin war aufgrund seiner Vielfalt und seines Stadtbildes mit all den leerstehenden Gebäuden einfach der perfekte Ort dafür. Ich habe mich sofort in die Stadt verliebt.

Was waren deine ersten Berührungspunkte mit der Szene der Stadt? Die musikalische Sozialisation, die du in Großbritannien genossen hast, unterscheidet sich ja deutlich von dem Sound, auf den du dann in Berlin gestoßen bist …

Die Clubmusik Berlins war Mitte der 00er-Jahre stark von Minimal geprägt, einem Genre, mit dem ich mich nie wirklich anfreunden konnte. Ich begab mich also auf die Suche nach Orten, an denen ein anderer Sound gespielt wurde. Dubstep und Dark Garage waren in Großbritannien damals sehr angesagt und ich war ein großer Fan davon. Ich suchte also nach derartigen Raves und wurde dank der Mannigfaltigkeit der ansässigen Szene auch fündig, wenngleich es nicht ganz einfach war. Über diese Verbindung bin ich dann letztlich auch auf Partys gelandet, wo Oldschool- und Detroit-Techno liefen – Musik, die mir mehr zusagte und mich letztlich auch inspirierte, selbst Musik zu machen.

Ein gutes Stichwort. Tracks wie „Don’t You“ und „Fernweh“ waren dann deine ersten Produktionen, die dir auf lokaler Ebene zu einem Durchbruch verhalfen. Der internationale Karriereschub musste dann allerdings noch ein wenig auf sich warten lassen, oder?

„Don’t You“ war der erste Track, den ich als Demo an diverse Labels rausschickte. Er landete dann auf dem „Substance“-Mixtape von Ostgut Ton, das war schon ein echter Kracher. Ich erinnere mich noch, als ich wenig später in die Panorama Bar ging und Zip den Track spielte. Total unerwartet. Einige Zeit danach zog ich vorübergehend wieder nach London, wo ich in einem Plattenladen namens Black Market arbeitete. Parallel produzierte ich weiterhin fleißig und brachte schließlich einen Deep-House-Track mit dem Titel „Child“ heraus. Das war dann wohl mein internationaler Breakthrough-Moment. Es folgten Booking-Anfragen aus aller Welt und ich machte mein Hobby zum Beruf.

Mittlerweile blickst du auf eine umfassende Vita zurück. „Stellar Drifting“ lautet der Name deines neuesten Albums. Ein großer Sprung im Hinblick auf die Vorgänger-Releases?

Definitiv, insbesondere aus Sicht der technischen Herangehensweise. Die Vorgänger waren sehr puristisch produziert, mit alten Analog-Synths und Drum-Machines. Für „Stellar Drifting“ habe ich viel mit digitalen Plug-ins gearbeitet und einen großen Wert auf das Sounddesign gelegt. Ich habe mit interstellaren Audioaufnahmen gearbeitet und versucht, Sounds „from scratch“ zu kreieren. Eine wichtige Rolle hat dabei auch die Bildsprache eingenommen. So habe ich mir Aufnahmen des Hubble-Teleskops zur Hand genommen und daraus Synthesizer- und Oszillatoren-Klänge erzeugt, die rein auf meiner Imagination basieren. Das war auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung für mich.

Faszination Weltall. In keinem anderen Genre spielen interstellare und kosmische Klangstrukturen eine derart prominente Rolle wie in der elektronischen Musik. Kannst du uns noch mehr über deinen konzeptuellen Ansatz für „Stellar Drifting“ erzählen? Du scheinst ja wirklich sehr tief in die Materie eingetaucht zu sein.

Mit dieser Herangehensweise wollte ich dem tristen Alltag der Pandemie entfliehen. Es hat mir Spaß gemacht, dieses Szenario durch Sounds und Bilder aus dem Weltall zu ersetzen. Das Album ist kein Sci-Fi-Record, es befinden sich keine Astronauten oder Aliens auf dem Cover. Das Sujet des Weltraums ist rein figurativ. Man könnte es auch durch Meereswelten oder Natur im Allgemeinen ersetzen. Mit „Stellar Drifting“ will ich dieses bestimmte Gefühl vermitteln, das man erhält, wenn man in den Sternenhimmel starrt und realisiert, wie unbedeutend und klein man als Individuum doch ist. Ich habe mich darüber hinaus gefragt, welchen Mehrwert instrumentelle elektronische Musik der Menschheit überhaupt bietet, wo wir doch in Zeiten leben, in denen Leid weltweit auf der Tagesordnung ist. Dafür habe ich zwar keine Lösung, aber ich glaube, dass ich meiner Musik mit diesem konzeptionellen Ansatz mehr Bedeutung zuschreiben kann.

Auf dem Album finden wir Features von Panda Bear, SOAK und London Grammar. Wie kam diese Selektion zustande? Gerade mit London Grammar hast du ja bereits eine erfolgreiche Backstory, oder?

Genau. Mit London Grammar habe ich gemeinsam an ihrem Album „Californian Soil“ gearbeitet, das in den britischen Albumcharts sogar auf Platz eins landete. Wir sind mittlerweile gut befreundet und Hannah wollte sich nun quasi revanchieren, indem sie mit mir einen Track für mein neues Album produziert. Panda Bear war schon immer eine Art Wunsch-Collab von mir. Während der Pandemie, als sowieso jeder zu Hause war, dachte ich mir also: „Warum nicht einfach auf die Künstler*innen zugehen, mit denen ich gerne mal ein Feature machen möchte?“ Er war von Anfang begeistert von der Idee, genauso wie ich es von seiner großartigen Stimme bin, die diesen gewissen Leftfield-Beachboy-Surfer-Vibe transportiert. Auf SOAK bin ich das erste Mal gestoßen, als ich einen unveröffentlichten Song von ihr hörte. Ich war sofort angetan von ihrer wunderschönen Stimme und verwandelte das Original in eine Version von mir, die ich ihr dann auch zuschickte. Sie fand es klasse.

Hast du einen persönlichen Favoriten auf dem Album und gab es einen Track, mit dem du dich schwergetan hast, ihn fertigzustellen?

Sehr viel Spaß hat mir „Setting Sun“ bereitet. Die Produktion lief einfach wie geschmiert. Eine schwere Geburt war hingegen das Feature mit London Grammar, „The Last Transmission“. Der Track entstand in so vielen verschiedenen Versionen, weil Hannahs Vocals einfach so unglaublich kraftvoll und einnehmend sind, dass es schwierig war, das Stück nicht nach einem London-Grammar-Song klingen zu lassen. Letztlich haben wir es aber geschafft, meine Musik auf die gleiche Ebene mit ihrem Gesang zu hieven, und ich bin sehr stolz auf das Endprodukt.

Du stehst aktuell kurz vor einer großen internationalen Tour. Die erste nach der Pandemie. Gibt es einen Gig, auf den du dich besonders freust?

Ich freue mich natürlich auf jeden Auftritt. Viele der Venues kenne ich bereits, einige sind hingegen Neuland für mich, wie zum Beispiel das ÆDEN in Berlin. Generell sehne ich mich sehr danach, mal wieder in der Hauptstadt zu spielen, zumal sie ja quasi mein zweites Zuhause ist und ich dort viele Freund*innen und sogar noch eine Wohnung habe. Ich vermisse die Zeit in Berlin wirklich. Außerdem freue ich mich auf den Gig in Chicago. Die Stadt hat eine so bedeutsame Historie und war prägend für die Entwicklung der elektronischen Musik. Es ist ein echtes Privileg, dort spielen zu dürfen.

„Stellar Drifting“ ist am 2. September via Double Six Records erschienen.

 

Aus dem FAZEmag 127/09.2022
Text: Hugo Slawien
Foto: Steve Gullick
www.george-fitzgerald.com