
Mit „Necessary Fictions“ legt das britische Trio GoGo Penguin ein Album vor, das wie ein atmosphärischer Katalysator wirkt: Es leuchtet, lässt los, fordert heraus und definiert zugleich einen neuen Abschnitt im Schaffen der Band. Wer den Werdegang von Chris Illingworth (Piano, Synths), Nick Blacka (Bass, Synths) und Jon Scott (Drums) verfolgt hat, weiß, dass GoGo Penguin noch nie in klassischen Kategorien gedacht haben. Elektronische Musik, Jazz, Post-Rock, Klassik und Pop – für das Trio sind das keine Grenzen, sondern Mosaiksteine. Zwei Jahre nach ihrem von tiefer Trauer geprägten Album „Everything Is Going To Be Ok“ haben wir erneut mit dem Trio aus Manchester gesprochen.
Auf „Necessary Fictions“ sind besagte Puzzleteile so stimmig zusammengefügt wie selten zuvor. Der Titel des Albums stammt aus James Hollis’ psychologischem Werk „The Middle Passage“ – eine Reflexion über das eigene Selbstbild und dessen Transformation. Genau diese Idee eines musikalischen Selbstabstreifens, einer Neujustierung, liegt dem Album zugrunde. Nick Blacka erklärt, dass der Vorgänger „Everything Is Going to Be OK“ noch stark von persönlichen Verlusten und emotionalem Ballast geprägt war, wohingegen die neue LP einen Richtungswechsel markiert. „Diesmal wollten wir mehr Raum für Leichtigkeit und Experimente schaffen“, sagt er.
Das ist spürbar. Zum ersten Mal in ihrer Bandgeschichte luden GoGo Penguin Gäste ins Studio: das Manchester Collective, ein Streicherensemble unter Leitung von Rakhi Singh, sowie Singer-Songwriter Daudi Matsiko. Letzterer steuert seine markante Stimme zu einem der stimmungsvollsten Tracks des Albums bei. Die Zusammenarbeit wirkt integrativ. „Wir wollten, dass Daudi etwas von sich selbst einbringt und nicht einfach nur unsere Vorgaben umsetzt“, so Chris Illingworth.
Ein zentrales Element des neuen Albums ist der Einsatz von modularen Synthesizern. Zwar experimentierte das Trio bereits in der Vergangenheit mit elektronischen Texturen, doch auf „Necessary Fictions“ rücken diese Klänge mehr denn je in den Vordergrund. Illingworth beschreibt die Neugier, die er schon früh bei Konzerten von Underworld, Prodigy oder Orbital verspürte: „Ich wollte einfach mal mit diesem Equipment spielen.“ Und obwohl das Album technisch komplex ist, wirkt es nie überladen. Jeder Sound hat seinen Platz, nichts dominiert übermäßig.
Statt klassischer Songstrukturen setzt das Trio auf Erzählungen in Klangform. „What We Are And What We Are Meant To Be“ etwa verzichtet bewusst auf Improvisation und bleibt minimalistisch. Für Blacka ein Befreiungsschlag: „Früher hätten wir uns nicht getraut, so etwas Einfaches zu machen.“ Gerade diese Reduktion macht die emotionale Wirkung umso größer.
Visuell wurde das Album unter anderem von Videos der langjährigen Weggefährten Rich Williams und Luca Rudlin begleitet. Während „Fallowfield Loops“ mit sonnigem Manchester-Charme spielt, kreiert „What We Are And What We Are Meant To Be“ mit Hilfe von Lewis Howells Lichtkonzept eine düstere Club-Ästhetik. Diese visuelle Erweiterung unterstreicht den cineastischen Anspruch der Musik.
Das Video zu „What We Are and What We Are Meant to Be“:
GoGo Penguin sind zurück mit einem Album, das musikalische Grenzen dehnt, ohne die Hörer*innen zu verlieren. Es ist Ausdruck einer Band, die nicht nur ihre Sprache verfeinert hat, sondern diese auch mit neuen Stimmen bereichert. Was bleibt, ist ein Werk voller Klarheit, Tiefe und musikalischer Offenheit – und das beruhigende Gefühl, dass GoGo Penguin noch lange nicht am Ende ihrer Reise angekommen sind.
Tracklist „Necessary Fictions“:
1. Umbra
2. Fallowfield Loops
3. Forgive the Damages (feat. Daudi Matsiko)
4. What We Are and What We Are Meant to Be
5. Background Hiss Reminds Me of Rain
6. The Turn Within
7. Living Bricks in Dead Mortar
8. Naga Ghost
9. Luminous Giants (feat. Rakhi Singh and Manchester Collective)
10. Float (Loi Krathong, 2003)
11. State of Flux (feat. Manchester Collective)
12. Silence Speaks
Das Album „Necessary Fictions“ von GoGo Penguin erscheint am 20. Juni via XXIM (Sony Music). Hier könnt ihr es als CD-Format vorbestellen.
Aus dem FAZEmag 160/06.2025
Text: M.T.
Credit: Mark Gregson
Web: www.gogopenguin.co.uk