GOLDEN FEATURES – Das Bedürfnis nach Veränderung

Foto: Jordan Munns

Das Markenzeichen von Thomas George Stell alias GOLDEN FEATURES ist zweifelsfrei sein avantgardistischer, genreübergreifender Stil, mit dem er seit Jahren seine stetig wachsende Audienz in seinen eigenen Bann zieht. Nun veröffentlicht der Australier nach „SECT“ in 2018 seinen zweiten Longplayer. Unter dem Titel „Sisyphus“ gelingt Stell damit eine Reaktion auf seine mentalen Kämpfe und auch kreativen Qualen, die er seit der Veröffentlichung seines ersten Albums durchlebte. Somit gilt das neue Werk, das am 7. Juli über Foreign Family Collective erscheint, für ihn auch als eine musikalische Renaissance, er erforscht dabei die Philosophie hinter dem Mythos der griechischen Figur Sisyphos und stellt diese Allegorie für die sich wiederholenden Tendenzen des menschlichen Zustands in den Mittelpunkt seines neuen Albums. Auch die deutsche Hauptstadt spielte eine zentrale Rolle.

Ein erster Indikator dazu lieferte Golden Features mit seiner Single-Auskopplung „Flesh“ ab, eines der früheren Demos für das Album: „Der Song fast alles zusammen, was mir auf meinen Reisen gefallen hat. Ich schrieb den Track, um die Gefühle auszudrücken, die ich nach einer achtstündigen Session auf einem Rave in Berlin hatte. Überreizt, ängstlich und völlig verängstigt vor der realen Welt da draußen. Schließlich fasste ich den Mut, die Nacht zu beenden und erlebte die surreale Veränderung, die es bedeutet, aus einem fensterlosen Kerker in einen wunderschönen Sonnenaufgang zu gehen. Nachdem ich jahrelang mit der gleichen Musik auf Tournee war, fand ich mich an einem Punkt wieder, an dem ich abgestumpft war und die Begeisterung verloren hatte, die mich dazu gebracht hatte, Musik zu machen.“ Die neun Titel wurden also von den Nächten inspiriert, die er vor der Pandemie in intimen Berliner Clubs verbrachte, um sich wieder mit elektronischer Underground-Musik zu verbinden: „Meine Zeit in Berlin hat definitiv den Grundstein für die Platte gelegt, aber mit der Zeit ist sie natürlich gewachsen und hat sich in viele verschiedene Richtungen entwickelt. Mein Plan war es, meiner Komfortzone zu entfliehen und mich wieder mit den Gefühlen zu connecten, die ich hatte, als ich zum ersten Mal elektronische Musik entdeckte. Ich ging vier Nächte pro Woche in Clubs, in die ich sicher war, dass sie mich nicht mal reinlassen würden, um Künstler zu hören, die ich nicht kannte und die Platten spielten, die ich noch nie gehört hatte. Es war unglaublich befreiend, in diesen Räumen zu sein. Es gibt dort ein Gefühl von Freiheit und Respekt, das ich in nur wenigen anderen Ländern gefunden habe. Das Fehlen von Telefonen und die strenge Türpolitik führen zu sehr reinen Erfahrungen, die anderswo nur schwer zu finden sind.“

Dabei war dieses Projekt das arbeitsintensivste, an dem er je gearbeitet hat: „Ich bin an das Schreiben dieses Albums anders herangegangen als sonst und nach mehr als 200 Demos und unzähligen Versionen der fertigen Songs fühlt es sich seltsam an, endlich eine Sammlung von neun Songs zu haben. Ich würde aber lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mit dem Album zufrieden bin, denn ich glaube nicht, dass ich jemals mit einer meiner Veröffentlichungen zufrieden war. Ich kann aber sagen, dass ich noch nie so stolz auf ein Werk war, das ich geschaffen habe. Denn es entspricht genau dem Konzept, das ich bei seiner Entstehung entworfen habe. ‚Sisyphus’ ist eine Platte, die aus dem Bedürfnis nach Veränderung geboren wurde“. Genau dort haken wir beim Interview ein, mit der Bitte um ausführlichere Erklärung: „Es ist ein bisschen so, als würdest du bemerken, wie sich dein Gesicht über Jahre hinweg verändert. Eines Tages schaust du in den Spiegel und sagst: ‚Oh, das ist anders als vor fünf Jahren‘. Es passiert so allmählich, dass es schwer ist, es im Moment zu bemerken. Ich würde sagen, die grundlegendste Veränderung war, dass ich das erste Jahr damit verbracht habe, Hunderte von Demos zu schreiben, neue Sounds und Stile zu erforschen, bevor ich meine Favoriten auswählte. Das war ein ganz anderer Prozess als bei SECT, wo ich zwölf Songs von Anfang bis Ende geschrieben und die zehn besten davon veröffentlicht habe. Was die stilistische Veränderung angeht, so war ich schon immer vom Ethos von Künstlern wie Radiohead, Tame Impala und The Chemical Brothers besessen. Jedes Album ist anders als das letzte, eine Erkundung auf unbekanntem Terrain, ohne dass die Kern-DNA von ihnen verloren geht. Ich will mich nie wiederholen, auch wenn ich damit riskiere, einige der Leute zu verlieren, die das alte Ding mochten. Wenn ich mir meine veröffentlichten Stücke anhöre, höre ich manchmal, wie ich zu viel nachdenke, und das hasse ich. Langsam lerne ich, dass die beste Kunst immer ein bisschen grob ist. Musik muss nicht perfekt gestimmt sein, Noten sollten nicht perfekt auf dem Raster liegen. Du kannst dich nur so lange vor dem Scheitern schützen, bis du anfängst, es einzuladen.“

Seit Mitte Juni ist der Australier auch wieder auf Tour in den Staaaten: „Ich freue mich, wieder rauszukommen und die Welt zu erleben. Ich war das letzte Jahr ständig auf der Jagd nach Deadlines und konnte es daher nicht rechtfertigen, auch nur einen Tag frei zu nehmen. Es klingt wie ein Klischee, aber ich möchte einfach langsamer werden, die Realität annehmen und im Moment leben.“

 

Aus dem FAZEmag 137/07.2023
Text: Triple P
Foto: Jordan Munns
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