Green Lake Project – Raketenwissenschaft

Als DJs, Live-Acts, Festivalveranstalter und Labelchefs von 3000Grad gehören Ronny Mollenhauer aka Mollono.Bass und Stephan Witzovsky zu den bedeutsamsten Figuren der elektronischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern. Neben ihren jeweiligen Soloprojekten treten die beiden seit geraumer Zeit als Green Lake Project in Erscheinung, ein höchst ambitioniertes Weltraum-Techno-Projekt, das nun sein zweites Album „Thrusted“ hinaus in den Orbit schickt. Wir haben die beiden gesprochen.

Hallo, Jungs. Wie geht es euch aktuell? Als Labelbetreiber, DJ und Produzent habt ihr derzeit wahrscheinlich einen prall gefüllten Terminplan, oder?

Ronny: So ist es! Auf der Startrampe von 3000Grad steht gerade eine funkelnde Rakete, die von Add-Us konstruiert wurde. Der Label-Sound ist ja recht breit aufgestellt, aber dieses angenehm harte Release geht ordentlich nach vorne – genau nach unserem Geschmack als GLP. Ganz anders, aber ebenfalls ein leuchtendes Ereignis, das sich am Ereignishorizont abzeichnet: Im Frühjahr starten wir das neue Album von jPattersson. Davon abgesehen freuen wir uns natürlich ganz besonders, dass wir nun unser neues Album „Thrust“ mit den Dancefloors der Erde teilen können.

Stephan: Als Teil der Crew auf unserem 3000Grad-Mutterschiff freuen wir uns außerdem, Kurs auf viele Showcases und Partys in ganz Deutschland, in Österreich und der Schweiz zu nehmen. Außerdem programmieren wir fleißig die Koordinaten für einen Trip zum Meer – zu 3000Grad am Meer, um genau zu sein. Das ist unser langes Partywochenende am mediterranen Strand, optional sogar mit eigenem 3000Grad-Camp. Die Premiere letztes Jahr war großartig und wir sind extrem motiviert.

Sprechen wir über „Thrust“. In der Ankündigung hat man ja von „rollendem Weltraum-Techno” gelesen. Das klingt schmackhaft. Wie habt ihr das umgesetzt?

Ronny: „Thrust“ (dt.: Schubkraft) ist eine Sammlung von Reisen durch das Techno-Universum. Deshalb ist der Name auch Programm: Für unser neues Album haben wir die Schubregler auf dem Flugdeck so weit nach oben geschoben, bis es geknackt hat. Mit dieser Beschleunigung sind wir durchs Dunkel der Clubnacht gerauscht, irgendwo wurde unsere Flugbahn dann vom Gravitationsfeld von Trance gebogen, wir sind durch die Wurmlöcher von Techno geglitten und in den Drift von progressiver Hintergrundstrahlung geraten. Und irgendwann hat unser Sternenkreuzer sogar eine Turbulenz im Raum-Zeit-Kontinuum verursacht, wir haben plötzlich Bilder von karierten Kochhosen, weißen Handschuhen und gelben Signalwesten gesehen und Trillerpfeifen gehört … nein, es war keine Weltraumbaustelle – das war ein Rave aus längst vergangenen Tagen. In den Aufzeichnungen auf „Thrust“ kommt all das zum Ausdruck. Es sind aber auch ein, zwei Ausreißer dabei, die auf einem etwas anderen Kurs zünden – zum Beispiel unsere Zusammenarbeit mit Andy’s Echo.

Mit Andy habt ihr euch für das EP-Vorab-Release „The Breach“ zusammengetan. Wie kam es zur Zusammenarbeit und welches Potenzial habt ihr in ihm entdeckt?

Ronny: Andy hat damals auf dem 3000Grad Festival gespielt. Ehrlich gesagt haben wir ihn damals gar nicht wirklich live gehört, sondern nur wie unsere ganze Crew danach in den höchsten Tönen von ihm gesprochen hat. Das hat uns wiederum hellhörig gemacht. Wir haben uns eine Aufzeichnung besorgt und waren begeistert. Schnell wurde klar, dass der talentierte Andy hervorragend auf unser Mutterschiff 3000Grad passt. Je öfter er mit uns unterwegs war, desto enger freundete man sich an. Als wir dann die Sammlung für „Thrust“ finalisiert haben, dachten wir: Der kann doch noch etwas hinzufügen, was wir nicht können – Gesang. Und so ist diese Nummer entstanden.

„Thrust“ im Vergleich zu eurem Debütalbum „GLP“: Was ist neu? Was bleibt gleich? Habt ihr viel experimentiert?

Stephan: Es klingt etwas vollmundig, aber zwischen „GLP“ und „Thrust“ kam es zu einem kosmischen Quantensprung. Er hat sich auf den ausgedehnten Reisen ereignet, die wir während der letzten Erdjahre im Clubuniversum unternommen haben. Wir haben neue Techniken erlernt, die den Antrieb unseres Sounds noch effizienter machen und Erfahrungen gesammelt, wie wir unsere Reiseaufzeichnungen noch funktionaler kodieren können, damit sie in Form irdischer Schallwellen noch intensiver ins menschliche Bewusstsein übertragen werden können. Auf „GLP“ haben wir Elemente verwendet, die in der DJ-Szene eher selten waren, das war experimenteller. „Thrust“ ist ganz klar darauf ausgelegt, dass der Sound sowohl den DJs als auch dem Dancefloor Spaß macht. Genau darin spiegeln sich unsere Reisen durch das Dunkel der Clubnacht.

In diesem Jahr konnte das 3000Grad Festival zum ersten Mal wieder nahezu unter „normalen“ Bedingungen stattfinden. Wie habt ihr es erlebt?

Ronny: Unsere Erwartungen an das 3000Grad Festival wurden nicht erfüllt – sie wurden weit übertroffen! Wir hatten den Eindruck, dass während unseres Sets mindestens so viel Energie freigesetzt wurde, wie von der irdischen Sonne während des gesamten Festivalwochenendes. Ein absolut denkwürdiges Ereignis, das einen ganz besonderen Platz im Album unserer Erinnerung verdient.

Woran liegt es eigentlich, dass „McPom“ so eine Hochburg für unabhängige Festivals und Kollektive ist? Die Nähe zu Berlin und die landschaftlichen Bedingungen?

Ronny: Mecklenburg ist tatsächlich ein Phänomen, denn genau in dieser Ecke des Planeten konzentriert sich eine ganz besondere Energie. Das hat sich in den letzten 20, 30 Erdjahren aufgebaut. Die Qualität dieser Energie wurde immer wieder als untergründig beschrieben, sie hatte ihren Ursprung immer im Spaß an der Sache – oder besser gesagt: dem Spaß am Technotanzen. Es ging um nichts anderes, etwa Geld oder Ruhm. Das spürt man dort bis heute. Natürlich ist man im Orbit von Berlin, und der Sound der Metropole war und ist sicher ein wichtiger Zündfaktor. Im Laufe der Zeit hat sich das aber verselbstständigt, und aktuell gibt es in Mecklenburg eine tief verwurzelte und gewachsene Szene, die ihren ganz eigenen Charakter hat. Im Februar feiern wir dort übrigens mit der großen Crew von unserem Mutterschiff 3000Grad das 25. Jubiläum der SOS-Partys, da bringen wir das alles auf den Punkt.

Im Sommer wurde bekannt, dass das Fusion Festival unter erheblichen finanziellen Einbußen leidet, die unter anderem den enormen Preissteigerungen für Materialien, Dienstleistungen, Technik und Infrastruktur geschuldet sind. Macht ihr euch Sorgen um die Fusion? Hattet auch ihr finanzielle Schwierigkeiten beim 3000Grad?

Stephan: Wir sind mit der Fusion-Rakete aufgewachsen und seit Langem ein Teil ihrer großen, großen Besatzung. Deshalb hat uns das natürlich auch sehr mitgenommen. Wir hatten große Sorgen, aber mittlerweile sind wir guter Dinge, dass die Fusion es mit all ihren Ideen und Initiativen schaffen wird, weiterhin auf ihrer einzigartigen Flugbahn zu bleiben.

Ronny: Ja, wir spüren die Turbulenzen der Zeit auch auf dem 3000Grad Festival. Viele Kosten sind wahrhaft astronomisch gestiegen. Das führte dazu, dass der Rotstift schon dieses Jahr deutlich öfter angesetzt werden musste. Denn die Kosten, die sich nicht vermeiden lassen und die stark ansteigen, müssen natürlich woanders wieder eingespart werden, wenn man nicht unbegrenzt wachsen will. Das ist schwierig, denn wir möchten natürlich den musikalischen Anspruch und die Vielfalt aufrechterhalten, für die das 3000Grad Festival steht. Wir denken, dass die Szene da vielleicht wieder ein bisschen enger zusammenrückt und dass sich zeigt, wer auf uns zukommt und wer von uns weggeht. Natürlich sind wir auch sehr froh, dass wir dabei auf die Vielfalt unseres 3000Grad-Künstlerkollektivs zurückgreifen können.

Eure Erwartungen, Hoffnungen und Vorsätze für 2023?

Ronny und Stephan: Wir hoffen auf ein paar spektakuläre Flüge mit unserem „Thrust“ -Album, die ersten Gigs stehen bereits auf der Startrampe. Wir erwarten von uns selbst, dass es weiterhin so viel Spaß macht und dass unser Sound weiterhin konsequent nach vorne geht, im Studio, in den Clubs und auf den Festivals dieses Planeten.

„Thrust“ ist am 9. Dezember via 3000Grad erschienen.

 

Aus dem FAZEmag 130/12.2022
Text: Hugo Slawien
www.soundcloud.com/greenlakeproject