Gruß aus Dunkeldeutschland – die Kolumne von Marc DePulse

Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Gruß aus Dunkeldeutschland

 

Na, zusammengezuckt bei der Überschrift? Sachsen und Brandenburg haben gewählt und es hat „Rums“ gemacht. Blau und Braun können schöne Farben sein, aber wehe, man bringt sie mit Politik oder Geschichte in Verbindung.

Es war der 1. September 2019, gegen 18:00 Uhr, als ich beschwipst auf einem wunderbaren Festival beschloss, mein Closing-Set noch ein wenig zu verlängern. Es war aber auch der Moment, als in Sachsen und Brandenburg die Wahlkabinen schlossen. Die gute Nachricht: Über 70 Prozent der Menschen haben Blaubraun nicht gewählt – meinen Beitrag dazu habe ich als Briefwähler geleistet. Dennoch ist das Ergebnis ernüchternd, selbst wenn man es voraussehen konnte.

Ich bin gebürtiger Sachse, lebe seit nun bald 40 Jahren in Leipzig, wenngleich die Stadt politisch gesehen wie eine Insel wirkt. Es macht mich aber traurig, wenn man den Freistaat als Dunkeldeutschland darstellt, die Leute über einen Kamm schert. Aussagen wie „Da fahre ich nicht mehr hin“, „Ich ziehe hier weg“, tun mir im Herzen weh, auch wenn sie vielleicht nur aus der Emotion heraus kamen.

Man muss nicht gleich politisch motiviert sein, um für Grundprinzipien einzustehen. Wer sich gegen Rassismus, Diskriminierung und Sexismus stark macht, ist übrigens nicht links, sondern völlig normal. Das sollte eigentlich auch jedem klar sein, der sich innerhalb unserer Musikszene bewegt, die Woche für Woche Kulturen und Menschen verbindet, ihnen Schutzräume bietet, Freiheiten ermöglicht, soziale Gerechtigkeit vorlebt. Die Szene zeigt damit klare Kante und empfängt jeden Menschen mit offenen Armen, der sich mit diesen Werten identifiziert. Um so erstaunlicher ist es, wie ein Teil meiner Kontakte im Netz zwar die Vorzüge dieser Offenheit genießen, wochentags aber wieder von der anderen Uferseite aus hetzen.

Ursachenforschung ist weitläufig. Es sind nicht die mangelnden Geschichtskenntnisse. Die Menschen sind klug, doch es fehlt mitunter die Fähigkeit, über den Tellerrand hinaus zu schauen, zwischen Falschmeldungen und Fakten zu unterscheiden und sein Jammern auf mitunter höchstem Niveau einzusehen. Relativieren heißt auch zu verstehen: Idioten gibt es überall auf der Welt. Sie sind weiß, gelb, rot, schwarz, klein, groß, dick, dünn, dumm. Ein guter Mensch definiert sich nicht über seine Herkunft oder Hautfarbe, ein schlechter auch nicht.

Schon Alexander von Humboldt sagte einst völlig zurecht: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben“. Ich wünsche jedem Zweifler, die Welt mit den Augen gesehen zu haben, wie ich sie bislang gesehen habe. Die wenigsten Menschen sagen sich wohl: „Komm, lass mal ein Wochenende nach Beirut fliegen“ oder: „Lass mal Urlaub in Jekaterinburg machen“. Als DJ bekommt man diese Privilegien. In Städten zu spielen, deren geografischen Ort man erst einmal googeln muss. Doch genau diese Reisen sind es, die das Bewusstsein erweitern. Denn nur so lernt man Menschen und Kulturen kennen, kann sich gegenseitig beschnüffeln, aus gleichen Tassen trinken, den gleichen Teller ablecken. Na ja, ich 
mach´s gerade mal bildlich. Musik verbindet nicht nur Generationen, sondern auch viele Kulturen. Man kann mediale Dramatik viel besser einordnen, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat. Reisen bildet, ohne dass man dafür büffeln muss.

Aber man muss kein Vielflieger sein, um seinen Horizont zu öffnen. Aus dem Fenster schauen genügt zumeist. Ist draußen wirklich alles so schlimm, wie man es in den Nachrichten hört? Lernt zu differenzieren, lernt die Menschen kennen, gebt ihnen eine Chance. Seid offen, seid tolerant, seid demütig, vor allem verliert zwischen all dem Druck und Konkurrenzkampf im Berufsleben eure Menschlichkeit und Herzlichkeit nicht.

„Sachsen, wo die schönen Mädchen auf Bäumen wachsen.“ Das sind keine Fake-News. Schaut es euch an und überzeugt euch selbst. Ganz ohne Vorurteile. Auf meinem Beutel steht übrigens: „Mehr Geld von Oma für Synthies von Roland“. Konzentrieren wir uns also auf die wirklich wichtigen Sachen: Musik. Grüße aus dem schönen Sachsen.

 

 

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Foto:
 Jörg Singer/Studio Leipzig