Hey, DJ! Mach doch mal lauter!!! – die Kolumne von Marc DePulse

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Hey, DJ! Mach doch mal lauter

Liebe Freunde des geschützten Trommelfells,

eure Zuschriften haben mich ermutigt, meinen Blog an dieser Stelle fortzusetzen. Deshalb lasst mich heute mal ein Thema aufgreifen, was mich am vergangenen Wochenende wieder sehr beschäftigt hat und was ehrlich gesagt nur noch Unverständnis in mir weckt. Nämlich Leute, die vor dem DJ-Pult herum hampeln und einen ständig anschreien: „Mach mal lauter, mach mal lauter!!!“.

Liebe Freunde der lauten Musik: die Hersteller unserer Technik haben sich schon etwas dabei gedacht, den Ausschlag der Klänge mit einem roten Balken zu kennzeichnen. Im Handwerk sagt man „Nach fest kommt ab“ – bei Lärm kann man sagen: „Nach laut kommt taub!“. Klar ist natürlich: Techno ist nicht leise, House oder Minimal ebenso wenig. Wir sind bei Clubmusik auch nicht zimperlich, schließlich will der Körper auch nach ein paar lockeren Drinks so richtig zappeln und da sollte die Musik schon ordentlich laut sein.

Ich bin aber der Meinung, dass man als DJ gewissermaßen eine Verantwortung für die Leute zu tragen hat und da muss man der Tatsache schon Respekt zollen, dass der rote Balken am Mischpult tatsächlich so etwas wie eine akustische Obergrenze darstellen soll. Lauter sollte man dann also nicht noch drehen, abgesehen davon dass der Klang dann nicht mehr schön ist und gefühlvollere Tracks einfach nur noch nach Hardtechno klingen. Und wie man auch an vielen Decks lesen kann: „Good DJ´s don´t do it red!“. Da ist was dran.

Jeder, der hobbymäßig oder von Berufswegen aus mit Musik zu tun hat, wird sich zwangsläufig mit einem Thema irgendwann einmal beschäftigen: dem Tinnitus. Das kleine pfeifende, rauschende, summende und vor allem konstante Geräusch im Ohr, was je nach Ursprung eine völlig unterschiedliche Frequenz hat. Ja genau, dieses schreckliche Geräusch, weswegen sich ein berühmter holländischer Maler aus dem 18. Jahrhundert das Ohr abgeschnitten hat. Auch er hat damals gemerkt: ‘Das hat mir jetzt nicht viel gebracht’ – denn der Ursprung liegt tiefer im Kopf – nicht in der Ohrmuschel. Und das resultiert zumeist aus einem Knalltrauma oder einem Hörsturz – und dies wiederum passiert, wenn man nicht gut genug auf sich aufpasst.

Um den Bogen zu meiner Geschichte zu spannen: ich habe seit nun fast 15 Jahren einen Tinnitus im linken Ohr und möchte gleich vorne weg greifen: ich bin weder Arzt noch habe ich irgendetwas in der Richtung gelernt oder studiert. Was ich hier schreibe, ist einfach nur ein Erfahrungsbericht – nämlich wie ich gelernt habe, mit meinem kleinen Freund im Ohr zu leben.

Es passierte in der Silvesternacht 1999/2000. Wir waren feuchtfröhlich in den Abend gestartet, haben im Freundeskreis angestoßen und sind dann ins Leipziger Zentrum zum Feiern aufgebrochen. Es war ja die Milleniums-Nacht, also waren auch irgendwie 3x so viele Menschen auf den Beinen. Aber aus dem Feiern wurde nichts, denn sprichwörtlich „aus heiterem Himmel“ flog ein China-Böller der aller übelsten Sorte vom Himmel und explodierte direkt vor meinem linken Ohr. Der Abend war gelaufen, ich war auf einem Ohr taub, habe rein gar nichts mehr gehört. Später wurde mir übel, was aber nicht am Alkohol lag, sondern weil ich das Gleichgewicht verloren habe. Das Ohr hat´s also mal so richtig erwischt.

Da ich damals ein Bundi war, habe ich mich ins Bundeswehrkrankenhaus einliefern lassen und habe dort diverse Infusionen bekommen, um das Blut verdünnen zu lassen und somit die Blutzufuhr im Ohr zu erhöhen. Das hat ein paar Tage gedauert, das Gehör kam zurück, aber leider stellte sich auch ein paar Monate später ein Pfeifton ein. Das hatte der Arzt auch angekündigt: „Gut möglich, dass Sie dadurch Folgeschäden davon tragen werden.“ Und seit dem hatte ich ihn also: den Freund im Ohr. Ich habe ihn liebevoll „Mister T“ genannt. Der Name passte ja auch gut in die Zeit. Hahahaha…

Das Geräusch in meinem Ohr muss man sich etwa vorstellen wie einen defekten alten Röhrenfernseher, der beim Ein- oder Ausschalten so einen furchtbar hohen Piep-Ton von sich gibt. Ein Ton, der einem den Gesichtsausdruck verleiht, wie wenn man kraftvoll in eine Zitrone beißt.

Angeblich haben über 10 Millionen Menschen in Deutschland die Volkskrankheit „Tinnitus“ und bestimmt auch einige von euch, die meinen Artikel hier lesen, also möchte ich auch mal ein paar Tipps geben, wie ich über die Jahre gelernt habe, den kleinen Quälgeist im Ohr zu mögen.

Ich war seit dem Jahr 2000 regelmäßiger Patient beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt (kurz HNO). Das ganze fing mit Vitamin-Kapseln an, die das Blut verdünnen sollten. Später folgte Akupunktur und eine Reizstromtherapie. Dafür sitzt man auf einem Stuhl, neigt den Kopf zur Seite, es wird etwas Wasser ins Ohr gefüllt, eine Elektrode reingesteckt und dann wird der Strom aufgedreht. Liest sich schrecklich, was? Ist es auch. Der ganze Kopf brummt und die Stromzufuhr wurde automatisch von Minute zu Minute stärker. Das merkt man daran, dass die Augen zittern wie bei einem Erdbeben. Am schlimmsten fand ich es immer, als die Maschine dann nach 15 Minuten aus ging. Da wurde einem richtig schwarz vor Augen und dann auch gleich schwindelig und schlecht. Der Zustand hielt dann übrigens den ganzen Tag an. Ziel war es, die abgestorbenen (liegenden) Härchen im Ohr zu sensibilisieren. Ehrlich: gebracht hat mir das alles überhaupt nichts.

Es kamen Phasen, da war dann wieder alles gut. Ich konnte laute Musik hören, in Clubs gehen, ausgelassen feiern und dann kamen wieder Phasen, da hat mich das Zwitschern der Vögel vor dem eigenen Zimmerfenster wahnsinnig gemacht. Wenn der Fernseher lief, hatte ich das Gefühl, dass heute alles 5-mal so laut ist wie sonst.

Natürlich kann man fernab von Medikamenten und ärztlichen Eingriffen auch selber etwas zur Besserung beitragen, nämlich:
– aufhören zu rauchen (denn das verdickt das Blut)
– sich gesund ernähren
– Sport treiben
– wenig(er) Alkohol trinken, dafür viel mehr Wasser
– Stress reduzieren, viel Entspannung und körperlichen Ausgleich schaffen
– viel und regelmäßig schlafen

Mein Doc hat immer gesagt: „Schlimm ist es bei alten Leuten, die niemanden mehr haben und sich den ganzen Tag nur selber leid tun. Die sitzen dann nur in ihrer Wohnung herum oder schauen aus dem Fenster und sagen sich ständig ‘Ach das ist alles so schlimm in meinem Ohr’“. Denn wenn man sich das jeden Tag einredet, dann ist es auch schlimm und wird immer schlimmer. Vielmehr sollte man „Mister T“ als Kumpel betrachten. Und auch wenn es vielleicht albern klingt, aber wenn es wieder ganz schlimm bei mir war, habe ich mit meinem kleinen Freund im Ohr gesprochen. Wer kann schließlich schon von sich behaupten, mit Mister T befreundet zu sein??? 😉

2006 war etwa so die Wendezeit in meinem Hobby. Wie ich es bereits im vorigen Blog-Eintrag geschrieben hatte: irgendwann wurde es ernst mit der Musik. Nur hat mir natürlich jeder den Vogel gezeigt á la „Mit deiner Diagnose willst du hauptberuflich DJ werden? Du bist doch verrückt“. Ja, das war ich.

Über die Jahre war ich bei insgesamt 4 HNO-Ärzten in Behandlung. Immer in der Hoffnung, dass einer von ihnen DAS Heilmittel schlechthin für mich hatte. Weit gefehlt. Jeder Arzt sagte mir, dass die Krankheit unheilbar sei, man sie aber für sich erträglich gestalten könne.

Also bin ich selber auf die Suche gegangen, was mir helfen könnte: Fachzeitschriften, Internet. Und wie durch ein Zufall bin ich im Netz auf einen Beitrag von einem jungen Kerl in meinem Alter gestoßen, der hatte ähnliches erlebt wie ich: Knalltrauma und daraus resultierend Tinnitus. Er schrieb, dass er sich seit einiger Zeit Ginkgo-Tee kauft und davon jeden Tag einen Liter trinkt. Das fördert auf pflanzlichem Wege die Durchblutung und hat heilende Wirkung. Das fand ich sehr interessant. Der Ginkgobaum soll also die Wundermedizin in sich tragen? Aha.

Also bin ich losgezogen, bin durch sämtliche Supermärkte in meiner Umgebung gerannt und habe mir diesen Tee gekauft. Überwinden musste ich mich gar nicht, denn ich bin schon seit meiner Kindheit ein leidenschaftlicher Tee-Trinker. Den Ginkgo-Tee gibt es bis heute in mehreren Sorten: Apfel-Ginkgo, Zitronengras-Ginkgo, Orange-Sahne-Ginkgo, Hibiskus etc. – und das schmeckt auch alles super lecker, wenn ihr mich fragt.

Fakt ist: seit 2006 bis heute trinke ich fast jeden Tag meine Dosis Ginkgo-Tee und seit dem war ich nie wieder beim Arzt und habe kaum Beschwerden im Ohr. Zugegebenermaßen ist das natürlich nicht das alleinige Wundermittel, ich denke mal es ist die Summe aus allem: ich habe aufgehört mit rauchen, gehe joggen, fahre Fahrrad, ernähre mich gesünder als früher und vor allem: halte den Arbeitsstress in Grenzen und gönne mir auch nach mehreren Gigs am Wochenende die nötige Ruhe danach. Das ist unglaublich wichtig.

Heute ist es meistens so: das Ohr reagiert empfindlich, wenn das Wetter umschlägt oder wenn ich in einem Club gespielt habe, der eine sehr laute Anlage hatte. Aber hey, dafür braucht man nicht unbedingt einen Tinnitus um am nächsten Tag festzustellen: „Uff, war das laut!“

Seit ein paar Jahren trage ich übrigens einen eigens für mich angefertigten (durchsichtigen) Hörschutz. Das kann sich übrigens jeder von euch auch machen lassen. Man sieht die Dinger so gut wie gar nicht und sie dämmen um die 15-20db. Im Club ist das absolut Gold wert! Die normale Version davon kostet keine 50,- EUR, wenn man sich aber einen zusätzlichen Filter einbauen lässt, kostet das um die 200,- EUR – aber die Gesundheit ist es allemal wert. Das bietet übrigens jeder x-beliebige Hörgeräteladen in eurer Gegend an.

Viele von euch werden es kennen: plötzlich hat man von jetzt auf gleich einen Pfeifton auf einem Ohr, es fühlt sich für ein paar Sekunden völlig taub an, man spürt richtig den Druck – und dann ist es wieder weg. Keine Sorge: das ist kein Tinnitus, das ist nur eine Sinneszelle im Ohr und davon hat der Mensch ein paar tausend. Aber wenn so etwas passiert, ist das meist der Indiz für zu viel Stress und zu viel Umgebungslärm. Dann wird es mal wieder Zeit für ein wenig Ruhe oder bestenfalls gleich Urlaub. Von Tinnitus spricht man erst dann, wenn dieser Pfeifton beständig ist und immer wieder kehrt. Ursachen kann er unzählige haben, aber bei allen Anfängen kann ich nur den gleichen Tipp geben: verschwendet keine Zeit, geht so schnell wie möglich zum HNO-Arzt.

So, jetzt haben wir aber genug über Krankheiten gesprochen. Meine erste Tasse Tee ist leer. Jetzt geht’s mit Mister T erst einmal eine Runde ins Studio. Ordentlich laute Musik machen – immer mit dem kritischen Blick auf den roten Balken!

Piiiiiiiiiiep,

Dr. Marc

 

Und hier gibt es noch mehr von Marc DePulse:

Aus dem Leben eines DJs
Das Publikum aus der Sicht des DJs