Hurts – Raus aus der Komfortzone

Hurts 2 by Bryan Adams5

Meine erste Berührung mit Hurts fand auf beziehungsweise vor der Bühne des Kölner Gebäude 9 statt, irgendwann im Herbst 2010. Die Gästezahl überschaubar, der Bühnenaufbau sowieso. Wenig pompös, eher unterkühlt. Und optisch wie akustisch voller Achtziger-Zitate: Eng sitzende Anzüge, akkurate Kurzhaarschnitte, ernste Blicke und ausladende Gesten präsentierten unterkühlten Synthie-Pop. Erinnerungen an Bands wie Ultravox, Heaven 17, Pet Shop Boys, Tears for Fears und New Order wurden seinerzeit wach. Seither ist bei Hurts viel passiert. Die Anzüge sitzen noch immer, die Haare liegen, doch mit dem wachsenden Popappeal ihrer Musik wuchs die Menge der Menschen, die die Konzerte von Theo Hutchcraft und Adam Anderson besuchen.

Startschuss dafür war 2010 mit „Wonderful Life“ die lebensbejahende Emo-Hymne der damaligen Mittzwanziger aus Manchester, die sich alsbald auf Platz 2 der Singlecharts wiederfand. Kurz darauf folgte das ebenfalls chartplatzierte Debütalbum „Happiness“. Trotzdem war noch nicht abzusehen, ob es am Ende nicht doch dabei bleiben würde. „One-Hit-Wonder oder Pop-Sensation?“ titelte damals sogar ein großes deutsches Boulevardblatt. Dennoch richtete das Berliner Design-Hotel The Weinmeister umgehend eine „Hurts Chamber“ ein. Die ab etwa 170 EUR mietbaren, in Schwarz-Weiß gehaltenen 41 Quadratmeter mit Portraits von Theo und Adam sowie Goldenen Hurts-Schallplatten an den Wänden, Kingsize-Bett, Badewanne, Flatscreen und Ledergarnitur im hippen Berlin-Mitte haben – wie die Band selbst – noch immer Bestand. Würde man allerdings ein solches Zimmer heute einrichten, wäre es womöglich weniger schlicht.

2013 kam mit „Exile“ Longplayer Nummer 2 auf den Markt, wieder voller Pathos und Synthie-Arrangements, und manifestierte den Ruf des Duos als die große neue Pophoffnung schlechthin. Auch das zwei Jahre später erschienene „Surrender“ schaffte es in die Top 10, wenngleich die Kritiken eher verhalten waren. Das Pathos, der Kitsch – das, was Hurts einst zur Sensation machte, wurde ihnen nun vorgeworfen. Allerdings hatten die zwei auch eine ordentliche Schippe draufgelegt, sich vom zuvor noch ansatzweise düsteren Synthie-Sound weiter entfernt. Vielen Fans waren die Kritiken egal – und Theo und Adam vermutlich auch. Denn die Nachfrage nach Tickets für Hurts-Shows stieg weiter an, die Locations wuchsen naturgemäß mit ihr.

Auf ihrer Tour in diesem Herbst – sieben Jahre nach der Köln-Premiere – spielen Theo Hutchcraft und Adam Anderson nun im Palladium, um beim Domstadt-Beispiel zu bleiben. Die 4000-Mann-Location wird vermutlich ausverkauft sein, das Publikum am Ende wie üblich verzaubert, denn es bekommt, was es von Hurts erwartet: Bombast-Pop mit exzellentem Stil und viel Tamtam. Weil auch das vierte Album „Desire“ auf Altbewährtes setzt – mit ein paar kleineren Unterschieden. Mehr dazu erzählt mir Keyboarder und Gitarrist Adam Anderson im Interview Mitte September.

Eure Musik hat sich im Laufe der Jahre immer weiter vom coolen Synthie-Pop der Achtziger entfernt und auf ein massenkompatibles Pop-Niveau begeben. War das eine bewusste Entscheidung oder eher eine natürliche Weiterentwicklung eures Sounds?

Wir haben schon immer ganz klar Popsongs geschrieben, doch hat sich tatsächlich die Atmosphäre unserer Musik geändert. Und die spiegelt wider, wie wir uns in dem Moment fühlen, in dem sie entsteht. Es ist für uns als Band wichtig, nicht immer wieder uns selbst zu kopieren, sondern uns stetig weiterzuentwickeln und fortzubewegen.

Wie einfach oder wie schwer fällt es euch, euch neu zu erfinden? Es gibt auf „Desire“ ja schon durchaus Songs, bei denen ihr euch zumindest selbst zitiert.

Es ist dennoch gar nicht so schwer. Wir haben beide ständig Unmengen an Ideen – und auch wenn die Zukunft noch völlig in den Sternen steht: Wir suchen immer nach neuen Wegen, um unsere Vision zu kommunizieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns jemals die Ideen ausgehen werden.

Gibt es vor dem Gang ins Studio für die Produktion eines neuen Albums bereits ein Grundkonzept, eine grobe Idee, wie es am Ende klingen soll, oder lasst ihr das lieber locker auf euch zukommen? Wie war es konkret bei „Desire“?

Für dieses Album wollten wir die Songs mal auf eine etwas andere, für uns neue Art schreiben. Bislang haben wir das immer recht konventionell betrieben: Klavier und Vocals. Dieses Mal haben wir uns zuerst an die Grooves gewagt und den Song dann drum herumgebaut. Es war befreiend, inspirierend und hat eine Menge Spaß gemacht, sich einfach mal aus der gewohnten Komfortzone heraus zu bewegen.

Ein bisschen überrascht war ich schon, als ich vor einigen Jahren von eurer Kollaboration mit Calvin Herris und Alesso erfuhr, mit denen ihr gemeinsam den Track „Under Control“ gemacht habt. Wie sehr beeinflussen solche Kooperationen euren eigenen Sound? Viele gibt es davon ja nicht …

Nicht besonders, um ehrlich zu sein. Es macht eine Menge Spaß, einmal etwas völlig anderes auszuprobieren und eine doch etwas andere Musikrichtung zu entdecken. Doch unsere Musik hat ihre eigene Identität und wir haben normalerweise eine sehr klare Vorstellung von dem, was wir als Nächstes tun wollen. Wir lassen uns also eher von innen heraus inspirieren. Unsere größte Inspiration sind wir daher quasi selbst.

Für mich klingt „Desire“ wie eine Essenz aus den drei vorangegangenen Alben mit einigen neuen Ideen. Was waren für euch die Hauptthemen und die wichtigsten Einflüsse?

Besonderen Wert haben wir dieses Mal auf die Direktheit und Präzision der einzelnen Songs gelegt. Die meisten Stücke sind keine drei Minuten lang. Es ging uns vor allem um eine gewisse Strahlkraft, die die Nummern haben sollten, jede einzelne von ihnen ist sehr leidenschaftlich.

Die Alben „Exile“ und „Surrender“ konnten nicht 1:1 an den Überraschungserfolg von „Happiness“ anknüpfen. Denkt ihr überhaupt in Platten- und Ticketverkäufen, Download- und Streamingzahlen?

Die gesamte Musikindustrie hat sich in den letzten sieben Jahren komplett gewandelt. Es wäre heute unmöglich, noch einmal mit dem um die Ecke zu kommen, was wir auf unserem ersten Album gemacht haben, und damit erfolgreich zu sein. Für riesige Abverkäufe musst du schon Adele oder Ed Sheeran sein. Tatsächlich achten wir weniger auf unsere Verkaufszahlen und legen den Fokus vielmehr auf die Live-Shows, die mit jedem Mal größer wurden, auch wenn wir von den Alben selbst weniger Einheiten verkauften.

Richtig, „Happiness“ erschien 2010, etwa zur selben Zeit begann das rasante Wachstum der Streamingdienste. Wie sehr hat das eure Art, einen Song oder ein Album zu produzieren, verändert?

Wir schätzen nach wie vor das Albumkonzept sehr. Es ist als Manifest einer aktuellen Periode zu verstehen, die den Status dingfest macht. Es macht wenig Sinn, über die veränderten Umstände allzu viel nachzudenken und sich dem neuen Klima anzupassen. Stattdessen wollen wir tun, was uns gefällt, und uns auf unsere eigene Reise begeben.

Euer Video zu „Beautiful Ones“ hat viel Aufsehen erregt. Dort erfährt ein Transgender, gespielt von Theo Hutchcraft selbst, extreme körperliche Gewalt – abgespielt wird das Ganze zudem rückwärts. Warum war es euch so wichtig, diese Story so schonungslos zu zeigen? Glaubt beziehungsweise hofft ihr, beim Betrachter damit etwas auszulösen, eine negative Einstellung zu dem Thema möglicherweise sogar zu verändern?

Wir hoffen vor allem, mit dem Song, dem Video den Menschen Kraft zu geben, die in ihrem Leben nicht sie selbst sein können oder glauben, nicht sie selbst sein zu können – aus welchen Gründen auch immer. Es ist eine furchtbare Bürde, die Wahrheit über dich selbst geheim halten zu müssen, weil du Angst vor den Reaktionen anderer hast und in vielen Teilen der Welt ja leider auch haben musst. Das Video zeigt die schonungslose Realität, in der einige Menschen auch heute immer noch leben.

Auch die Single „Ready To Go“ wurde bereits im Vorfeld veröffentlicht.

Das ist wiederum ein Song, der das Leben zelebriert. Er ist eine Art Schnappschuss von „Desire“ und steht auf dem Album dennoch für sich. Uns selbst immer weiter zu treiben und mit verschiedenen Emotionen und Genres zu experimentieren, ist etwas, das wir lieben. Der Refrain funktioniert wie ein alter Blues- oder Gospelsong, der sich immer weiter steigert. Das Video erzählt von Leidenschaft, Trauer und einer inneren Zerrissenheit, die viele Männer umtreibt, wenn sie ihre Emotionen offen zeigen.

Ihr selbst legt auf der Bühne beziehungsweise im Rahmen öffentlicher Auftritte großen Wert auf euer Äußeres, steht für einen bestimmten Stil, für Eleganz. Wie wichtig sind Äußerlichkeiten für euch als Musiker?

Stil ist auch immer eine Form der Kommunikation. Du kannst so viel über einen Menschen allein dadurch erfahren, wie er sich selbst präsentiert. Ich mag es, nach ganz eigenen Wegen zu suchen, ohne Worte zu kommunizieren, mein Äußeres sprechen zu lassen. Das macht mir riesigen Spaß. Als Band kreieren wir eben mehr als nur Musik. Wir wollen unseren Fans eine ganz eigene Welt präsentieren, in der sie sich verlieren können. So haben es sämtliche Bands, die wir verehren, in der Vergangenheit auch schon getan. Sie waren alle mehr als nur die Summe ihrer Songs. Es geht eben immer ums Gesamtpaket, wenn man authentisch und visionär arbeiten möchte.

Welche Werte stehen für euch privat an erster Stelle?

Ehrlichkeit, Leidenschaft und definitiv Menschlichkeit. Niemals sollte das eigene Ego diesen Werten im Weg stehen. Das ist superwichtig.

Ihr haltet euer Privatleben weitgehend geheim. Warum ist es euch so wichtig, Job und Privates klar zu trennen und so wenig wie möglich öffentlich zu machen?

Du musst dir etwas Eigenes bewahren, das du mit der Öffentlichkeit nicht teilst. Das ist wichtig, um in der Showwelt bestehen zu können. Das schützt deinen Verstand. Als Pop-Act unterwegs zu sein, ist bisweilen ganz schön turbulent, man kann sich leicht in diesem Leben verlieren. Aus diesem Grund ist es mir persönlich wichtig, einiges über mich für mich zu behalten.

Gibt es nicht doch irgendwas Privates, das noch nicht so viele Leute über dich wissen, du dich aber traust, zu verraten?

Ich bin ein exzellenter Jongleur.

Im Laufe der letzten sieben Jahre habe ich euch mehrfach live gesehen, in unterschiedlich großen Locations mit verschiedenen Setups. Mal mehr, mal weniger Musiker auf der Bühne, mal zurückhaltend, mal pompös. Was steht für die neue Tour Ende des Jahres auf dem Programm?

Wir sind immer dabei, unsere Live-Shows weiter voranzubringen. Jetzt gerade stellen wir das Set für die „Desire“-Tour zusammen. Wir können es kaum erwarten, es den Fans zu präsentieren. Wie auch bei der Musik besprechen wir uns dafür mit jedem einzelnen Bandmitglied, das uns auf der Tour begleiten wird. Es wird eine riesige Lightshow geben, einen Opernsänger, ein Streichquartett … Auf jeder Tour gibt es etwas völlig Neues. Versprochen.

 

Die Termine der „Desire“-Tour:
14.11.            Hamburg, Mehr! Theater
15.11.            Berlin, UFO im Velodrom
03.12.            München, Tonhalle
04.12.            Köln, Palladium

Aus dem FAZEmag 068/10.2017
Text: Nicole Ankelmann
Fotos: Bryan Adams
www.informationhurts.com