Im Studio mit Weval

Foto: Harm Coolen

Ein etwas ungewöhnlicher Pressetermin führt nach Amsterdam. Nach dem Hauptbahnhof verlässt der Zug aber langsam die urbanen Gefilde und wirft mich in Halfweg-Zwanenburg aus. Auf dem Weg: Die letzten Ausläufer der Grachten, weite Agrarflächen, dazwischen eine verschlafene Tiny-House-Siedlung – und dann ist man da: Vor dem Sound City Studio wartet bereits Merijn Scholte-Albers, neben Harm Coolen eine Hälfte des Amsterdamer Electronica-Wunder-Duos Weval, und führt mich in das brandneu eingerichtete Produktionsnest. Der Raum wurde nahezu vollständig in Eigenregie auf die Bedürfnisse des auf der ganzen Welt tourenden Duos eingerichtet. Hier werden erstens die gefeierten Live-Gigs geprobt. Und zweitens wird hier ständig an neuen Ideen gebastelt. Eine dieser Ideen, die nun das Licht der Welt erblickt hat, ist „Remember“, Wevals drittes Studioalbum. Nach Kaffee und einem wirklich sehr entspannten ersten Eindruck der beiden Amsterdamer nehme ich Platz am optimalen Sweet Spot und habe Gelegenheit, mir die gesamte Platte, von vorne bis hinten, genau dort anzuhören, wo sie recordet, produziert und gemischt worden ist.

Alles geht los mit „Remember“ – ein Album-Intro wie gemacht für den langsamen Startsprung in eines der vibrierend-energetischen Weval-Konzerte. Und gleichsam ein sanfter Cut mit dem Sound der bisherigen Longplayer. Denn wo vorher analoge, warme, aber doch vor allem synthetische Orchestrierungen den Klang ausmachten, übernehmen nun immer mehr echte Instrumente das Geschehen. Hier geht es jedoch nicht um aalglatte Jazzchords, die Studiomusiker*innen für die beiden eingespielt haben, um gezwungenermaßen einen Hauch von Bandgefühl einfließen zu lassen. Vielmehr liegt der Akzent darauf, die eigene Klangpalette zu erweitern und zu schauen, in welche Richtung man diese ausdehnen kann. Die beiden Wevals spielten im Vorfeld immer wieder mit dem Gedanken, Richtung Big-Beat zu gehen, einem der Genres, die bei den beiden zu Hause des Öfteren auf dem Plattenspieler liegen.

Angefangen hat das Projekt der beiden, als Merjin und Harm Beats am heimischen Bildschirm bastelten, nachdem sie Tutorials über die neuesten Effekt-Plug-ins oder Sampler geschaut hatten. Nach über zehn Jahren verfügen sie in ihrem Erfahrungsschatz über ein Spektrum unterschiedlicher Produktionstechniken, das auf „Remember“ in Richtung Organik noch deutlich erweitert wird. An der anfänglichen ganz klassischen Herangehensweise zweier Bedroom-Producer, nämlich stundenlang vor einzelnen Sounds am Computer zu sitzen und an verschiedensten Reglern zu drehen, hat sich eigentlich nicht viel geändert. Interessant ist aber durchaus der Workflow, der sich über die Jahre herausgeschält hat: Bei „Remember“ sowie den meisten Vorgängern stammen die Sounds, an denen dann später gedreht wird, hauptsächlich aus teilweise stundenlangen Jamsessions aus der Hälfte des Studios, die vollbepackt mit Synthesizern jeglicher Couleur, Effektpedalen und einer Auswahl an ausgesuchten Instrumenten bestückt ist. Da muss man sich gar nicht fragen, warum man in jedem Weval-Track charmante Noise-Texturen hört, da die analogen Klangquellen sowie das hochwertige Outboard-Gear eben auch schnell zu einem solchen Klangbild führen.

Wichtig in dieser Phase der Produktion ist es, den Kontrollverlust zu zähmen und Voraussetzungen zu schaffen, aus der Komfortzone zu kommen: Studenlanges Aufnehmen lässt die beiden vergessen, dass die Record-Taste eigentlich gedrückt ist und führt zu authentischen, sehr eigenen Ergebnissen. Keine Jamsession schielt dabei auf einen bestimmten Release-Plan, sondern einzig und allein die Freude am Musikmachen ist die Motivation. Dieser Vibe scheint sehr wichtig für die beiden zu sein und Vorrang zu haben vor geplant-sterilen Recording-Terminen mit klassisch-trainierten Studiomusiker*innen. So kommt es, dass auf dem neuen Album Harms Stimme bisweilen auch als Sprachnachricht über sein Handy aufgenommen wurde, wenn dort zufälligerweise der richtige Mood getroffen wurde.

Aufnehmen, in den Flow kommen, nicht an bevorstehende Releases denken. Nach dieser Phase des Materialsammelns muss ein Gegenpol entstehen. Und der kommt für Weval mit dem Anhören des Materials. Jeden Moment der Session hört sich das Duo an und sammelt die Momente, die es sich für die Endversion eines Tracks vorstellen könnte. Aufgrund dieser Menge an Material stammt dann eben die musikalische Reichhaltigkeit der Releases, wobei sehr oft eine bestimmte musikalische Figur oder ein bestimmter Sound nur einziges Mal im Track zu hören ist. Außerdem kommt aus dieser eben beschriebenen Soundbastler-Mentalität der Anspruch, sich während des Produktionsprozess selbst niemals zu langweiligen. Wenn man einen Track jammt, recordet, editiert und mixt, wird immer wieder etwas geändert, allein weil man es schon tausendmal gehört hat. Kleines Beispiel gefällig?

Beim Titeltrack bestand das Ausgangsmaterial zum Beispiel ursprünglich aus einer unbearbeiteten Rhodes-Aufnahme. Am Ende wurde das E-Piano mehrmals mit der charakteristischen Pitch-Shift von Cubase bearbeitet, dann mit einer anderen Lautstärke-Hüllkurve versehen. Später wurde das Rhodes dann mit ausufernden Synthesizern kombiniert, die zusammen noch durch den allgegenwärtigen Elysia Distressor geschickt wurden, um eine angenehme Schärfe zu erzeugen. Schmunzelnd erzählen die beiden, dass sie mit diesem wohl ihr Album mit den härtesten Drumparts produziert hätten. Aber dass man bei Tracks wie „Forever“ auch sehe, dass jene sich auch sehr gut einbetten in weite, sphärische Flächen. Den besonderen Druck bekommen die Beats einerseits durch Drummachines, wie etwa die 808 oder Elektrons Analog Rhythm, anderseits durch recht anpackende Einstellungen der illustren Reihe an Hardware-Effektgeräten.

Foto: Harm Coolen

Beim Produzieren bedienen sich die beiden auch immer wieder an altem Material aus Demos und Jamsessions, um es in neue Formen zu packen. Damit haben Merijn und Harm immer die Möglichkeit, im Weval-eigenen Klangraum zu bleiben und können anderseits immer neue Versionen dieser Soundästhetik erschaffen. Spannend sind oft die Übergänge zwischen den Liedern. Oft hört man hier nochmal das Grundmaterial der Jamsession, ohne Klangfrickelei und überlebensgroßen Soundeindruck. Da kommen schnell Erinnerungen an Hip-Hop-Producer wie Madlib oder J Dilla hoch, die uns oft am Ende eines ihrer Beatgerüste noch kurz das Original-Sample als Reminiszenz an die verarbeiteten Soulkünstler*innen hören lassen. Weval zeigen uns in dieser Tradition ebenfalls, auf welches musikalische Material sie zugreifen, nämlich ihre eigenen Jamsessions.

Festzuhalten ist, dass Merjin und Harm unterschiedlich an den Editier-Prozess im Studio herangehen. Während Harm oft aufgrund seines musikalischen Hintergrunds etwas mehr vom Trance kommt und somit das Flächige, Repetitive fokussieren möchte, sagt Merjin an dieser Stelle oft: „Nein, so ist es doch langweilig. Lass uns an der Stelle lieber einen mutigeren Move machen und einen größeren Moment erschaffen.“ Als ich also Harm fragte, ob bei den beiden eher unreleaste Demos oder doch die fertigen Tracks die verrückteren, unkonventionellsten Ansätze seien, sagt er lachend, dass es definitiv die offiziellen Releases sind. Hier wurde sich dann noch deutlich länger hingesetzt und mehr Zeit in ungewöhnliche Arrangements gesteckt, wohingegen die Demos den beiden deutlich langweiliger vorkämen.

Viel an dem Album ist etwas anders als an den Releases zuvor. Natürlich sind die beiden nicht in ein komplett anderes Genre gewechselt, doch zeigt „Remember“ eine pointiertere, positivere und straightere Version von Weval. Während das alte Material auch immer wundervolle Soundscapes, cinematische Größe und wabernde Synthesizer beinhaltete, ging es manchmal zu lang um das pure Schweben innerhalb dieses Klangkosmos. „Remember“ nimmt genau dieses wundervoll knisternde Soundgefilde und bringt es genau auf den Punkt. In den Reviews zum letzten Longplayer „The Weight“ wurde manchmal gemunkelt, dass die Kompakt-Labelbosse das Duo wohl auch wegen ihrer Konzerte gesignt hätten, da sie hier ihre Releases mit deutlich mehr Dampf präsentieren – jedes YouTube-Video kann das eindrücklich bezeugen. Erstaunlicherweise hat die neue Platte genau diese Energie, für die Weval-Gigs so bekannt sind. Beim Anhören kamen deshalb oft Assoziationen auf, wie gut dieser oder jene Track an bestimmten Stellen eines Konzerts wirken könnte.

Apropos Konzerte: Weval sind gern gesehene Gäste auf Festivals, auf denen sie neben Acts spielen, die deutlich schnellere und härtere Grooves bringen als die beiden. Auf die Frage, ob es nicht oft am Anfang den Moment gebe, dass die Crowd irritiert sein könnte angesichts dieses Kontrasts, schmunzeln die beiden Bei ihnen habe es noch nie einen Moment gegeben, dass sich der Floor erst leere, wenn vorher Techno aufgelegt wurde und danach allmählich alle wieder zurückkämen. Wenn sie spielen, findet stattdessen ein kompletter Reset des vorherigen Vibes statt; da im Band-Kontext mehr Interaktion mit den Fans möglich ist als bei einem reinen DJ-Set möglich ist, geht das auch sehr oft sehr gut. Deutlich tanzlastigere Versionen der Tracks und eine sehr fokussierte Energie catchen die Leute immer wieder, sich ganz der Musik hinzugeben. Konzerte stellen für die beiden auch die Möglichkeit dar, die Deadlines, die Labels und Vertriebe für Releases setzen, nochmal etwas weiter zu verschieben und doch noch weiter an den Tracks zu arbeiten.

Wenn die Studioversionen für die Bühne vorbereitet werden, nehmen sich Weval mehrere Wochen intensive Arbeitszeit. Hier geht es darum, die magischen Momente zu rekreieren, die man meistens vor einigen Monaten im Flow im Studio geschaffen hat. Wenn alles fertig ist, ist das Bühnen-Setup meist ein Hybrid aus Improvisation, Planung und vorbereiteten Szenen. MIDI-Loops laufen durch Synthesizer und Effektgeräte, deren Sound jederzeit verändert werden kann, Drummachine-Patterns werden live manipuliert und neue Momente können arrangiert werden. Daneben gibt es, auch wegen der Live-Band mit Schlagzeugern und Sängern, auch festgelegte Synchronisationspunkte, die der Musik immer wieder einen roten Faden geben. Hauptsache, alle tanzen und haben eine gute Zeit. Ein ähnliches Gefühl hinterlässt auch das neue Album.

Weval – „Remember“-Tourtermine:

  1. März – Mailand, Italien
  2. März – Amsterdam, Niederlande
  3. März – Rotterdam, Niederlande
  4. März – Nijmegen, Niederlande
  5. März – Brüssel, Belgien
  6. März – Paris, Frankreich
  7. März – Dublin, Irland
  8. März – Oslo, Norwegen
  9. März – Kopenhagen
  10. März – Berlin, Deutschland
  11. März – Zürich, Schweiz
  12. April – London, UK

 

Aus dem FAZEmag 133/03.2023

Text: Bastian Gies
Foto: Harm Coolen
www.weval.net