I’M UGLY – Im Auge des Betrachters


Nach Schönheit strebt der Mensch – liegt diese aber doch immer im Auge des Betrachters. Denn sind es nicht die unperfekten und ehrlichen Dinge im Leben, die uns nachhaltig begeistern? Mit I’m Ugly stellt sich ein neues Berliner Konzept-Label vor, das genau diese Frage behandelt. Versuchen wir also pünktlich zum ersten Release, der ungeschminkten Wahrheit einmal ins Gesicht zu blicken und die Macher ins Licht zu locken. Die da wären: Morris Stegink, Christian Schorschinski und – der wohl bekannteste Kopf der Bande – René Bourgeois.

I'm Ugly pic by jens finke5

 

Hässlichkeit ist nicht erstrebenswert, meist enttarnt erst ein zweiter Blick die wahre Schönheit. I’m Ugly wirft natürlich genau diese Frage auf: Was habt ihr euch dabei gedacht?

Morris: Irgendwer hat dieses eigenartige Bild von „schön“ erschaffen. Unsere Intention ist es, umzudenken, vor allem in der Musikbranche. Herrgott, vieles ist so anspruchslos. Wir machen es anders – einfach „ugly“ halt. Immer schön roh, dreckig, aber mit Herz. Straßenköter-Style.

René: I’m Ugly bringt zum Ausdruck, was viele schon vergessen haben: Sei real, so dreckig und merkwürdig du auch bist! Wir verbiegen uns nicht. Weder musikalisch noch optisch oder geistig. Wir wollen ein Zeichen setzen. Anders denken. Zurück denken – back to the roots. Wir sind hier, um euch mitzunehmen, zu verwundern, zu überraschen und zu belehren.

Christian: I’m Ugly hat einfach sehr viele Facetten – jeder kann es anders deuten. Fernab von glattgebügelter Top-100-Musik. Man muss sich nicht hübsch machen. Ich selbst werte „ugly“ mit Individualität. Gib Künstlern den Freiraum, den sie brauchen, um sich kreativ zu entfalten.

Ihr betreibt das Label im Kern zu dritt, tretet als Team auf. Welche Visionen verfolgt ihr und wer von euch übernimmt welche Funktion?

Christian: Da wir relativ schnell festgestellt haben, dass jeder von uns in bestimmten Bereichen besonders gut ist, haben wir auch hier eine logische Trennung vorgenommen. Ich bin der Nerd, setze das Release technisch um, stehe in Kontakt mit unserem Vertrieb und plane mit Morris zusammen die Promo. Zusätzlich pflege ich unsere Online-Auftritte.

René: Seit Anfang der 1990er-Jahre bewege ich mich in der Clubszene. Ich schnuppere seit gut 20 Jahren in sämtliche Label-Strukturen renommierter Labels rein und will nun meine gesammelten Erfahrungen in unser eigenes Baby stecken. So nutze ich mein weitreichendes Netzwerk, um das bestmögliche Endprodukt zu erschaffen. Ich bin die Schnittstelle für das ebenso wichtige Team im Background – Künstler, Grafiker, Masterer etc. – und wähle mit Morris zusammen die speziellen Ugly-Sounds aus.

Morris: Wir wollen uns mit I’m Ugly international platzieren. Ich bin mir sicher, dass wir das nur in diesem Dreiergespann erreichen können. Wir sind wie eine gute Waschmaschine: Hauptwäsche, Weichspülen und Schleudern.

Zu eurem Markenzeichen gehören künftig auch die handgezeichneten Cover vom Berliner Street-Art-Künstler Lake. Wie kam es zu der Verbindung und wie setzt er den Ugly-Style um?

René: Lake ist der Wahnsinn! Jeder Berliner kennt Sachen von ihm, ohne zu wissen, dass er das gemalt hat. Durch Zufall lernte ich ihn vor Jahren über einen Kamerakollegen kennen und er malte mir wenig später eine fabelhafte Waldlandschaft in das Kinderzimmer meiner Jungs. Kurz darauf vermittelte ich ihn meinem Freund Sascha Braemer, für den er dann das berühmte „People“-Video kreierte. Über die Jahre verbindet uns nun dieses künstlerische Band und so war es für mich die logische Konsequenz, ihn als Artdirector in unser Team zu integrieren. Er fand die Idee sofort cool und hatte nur eine Bedingung: Er möchte die Künstler auf seine ganz eigene Art entstellen. Nicht als Karikatur, sondern eher „interessant hässlich“ – eben ein Hingucker. Kein anderer hätte das so genial umgesetzt.

Nun hat die erste Veröffentlichung das Licht der Welt erblickt. Sie ist von dir, René, und ist ein offizielles Remake aus den 1990er-Jahren. Erzähl uns mehr davon!

René: Genau, ein Track der EP ist die Bourgeois’sche Umsetzung eines alten Klassikers von Mark NRG. Im Zuge meines Umzuges musste ich auch meine umfangreiche Plattensammlung einpacken und nutzte diese Chance, um sie mal wieder komplett zu begutachten. Dabei fiel mir dieses Overdrive-Schätzchen in die Hände und ich hatte sofort die Remake-Idee dazu. Wenig später fragte ich freundlich bei Overdrive an, präsentierte meine Idee und bekam die Erlaubnis. Eine absolute Ehre.

Zu deinem Remix für Toni Rios hast du letztens überraschendes Feedback bekommen. O-Ton: „Was ist denn mit René Bourgeois los? Fett!“ Hast du dich parallel zum neuen Label musikalisch auch neu erfunden oder wie darf man das deuten?

René: Ja! Irre, oder? Für mich war es ein Highlight, so eine Legende zu remixen, und eine schöne Bestätigung, wenn Größen wie Maetrik, Gene Farris oder Renato Cohen dein Werk supporten. Dass ich mich dabei neu erfunden habe, bezweifle ich. Ich bin halt Musiker aus Leidenschaft und so entscheide ich oft spontan, in welche Richtung es letztendlich geht. Dabei lasse ich mich selten in eine Stil-Korsage pressen. So entstehen technoidere Sachen wie dieser Remix oder sehr emotionale, deepe Tracks wie die neuesten Remixe für 3000 Grad – je nach Stimmungslage. Aber am wohlsten fühle ich mich schon im Tech-House. Groovig, verspielt, verrückt – das bin ich!

Rene bourgeois

 

Zurück zu eurem Label. Die ersten fünf Releases stehen bereits. Von wem stammt die Musik und wie selektiert ihr prinzipiell?

Morris: Nach Renés EP kommt ein 4-Tracker vom Hamburger Künstler Krawall, der bereits auf Moonbootica releaste und mit „Soul Condor“ einen echten Clubhit hatte. Die 003 kommt von NOSleep, einem mysteriösen Act zweier maskierter Typen. Man munkelt, unter deren Masken verbergen sich keine Unbekannten. Was man aber sagen darf: Der NOSleep-Sound wird für Furore sorgen und euch nicht schlafen lassen.

 Das vierte Release wird dann von mir selbst sein und Danielle Arielli aus Tel Aviv veröffentlicht als Fünfte im Bunde, um der Frauenquote gerecht zu werden. Wir planen stets ein Release pro Monat, damit jedes einzelne ordentlich atmen kann. 

Die Selektion unserer Perlen ist eigentlich ganz einfach. Wenn René und mir die Nummern gefallen und wir sie unbedingt im Club spielen wollen, kommen sie ins Portfolio. Wichtig dabei ist, dass wir beide dasselbe Kribbeln spüren und wir uns sagen: „Das ist echt ugly!“

René: Und wenn der Track dann noch dieses einzigartige Überraschungsmoment oder einen eingängigen Ohrwurmcharakter besitzt, wird er gesignt. Wer so einen Diamanten im Schränkchen hat, kann uns den gern an demo@iamugly.de

 schicken!

Euer Team wird neben Lake auch um weitere kleine Helfer erweitert, so unter anderem um Andreas Henneberg. Welche Kreativ-Köpfe sitzen noch im Boot?

Christian: Andreas macht für uns das komplette Mastering und sorgt für diese besondere „ugly“-Charakteristik. Er nimmt sich dafür stets die Zeit, bis Künstler und Label damit zufrieden sind.

 Hervorheben möchten wir noch den Briten Alexis, einen Werbe- & Marketingstrategen. Er wird das Label international ausrichten, wird mit Morris zusammen global Veranstaltungen organisieren und wird uns helfen, unsere Sidekicks – das Modelabel „ugly wear“ oder unsere Medien-Präsenzen „ugly tape“ und „ugly TV“ – aufzubauen.

 Jeder in unserem Umfeld, der gerade unsere Euphorie abbekommt, hat Lust, mit an dem Strang zu ziehen. Ob unsere Künstler, befreundete DJs und Produzenten, sogar meine Frau – jeder hilft mit seinen Kompetenzen. Das ehrt uns wirklich sehr.

Labels gibt es ja nun bekanntlich wie Sand am Meer. Gerade wenn man neu auf dem Markt ist, braucht man einen langen Atem, um aus der Masse herauszustechen. Wo seht ihr euch in fünf Jahren?

Morris: Ja, Labels gibt es wie Sand am Meer, aber jeder kennt wohl diese eine außergewöhnliche Muschel, die er beim Strandspaziergang findet. Wir sprudeln über vor Ideen und können es kaum abwarten, diese mit euch zu teilen. Lasst uns gemeinsam schauen, wo wir in fünf Jahren damit stranden.

 

René Bourgeois’ „Brainkill“-EP ist am 6. April auf I’m Ugly erschienen. HIER geht’s zur Review.

Aus dem FAZEmag 074/04.2018
Text & Interview: Marcel Sterling
Foto: Emi Maria Bohacek
Gruppenfoto: Jens Finke