
Wenn der Name Väth fallt, müssen wir als erstes an einen Mitschnitt der legendären ,,Hessen-Night“ im Dorian Gray denken, der einen guten Kumpel einst vor dem nahenden Söldner-Exitus bewahrt hat. Als nämlich der Spieß des damals frisch einberufenen Sandkastenfreundes besagtes Tonband durch die frischgewienerten Kasernenraume dröhnen hörte und daraufhin im Laufschritt in die Stube des besagten Kollegen einfiel, ertönte anstelle des erwarteten Primatenschreis ein wehmütiges ,,Hast Du ihn damals etwa auch gesehen!?“. Die flehende Bitte nach einer Kopie des Tapes ist selbstverständlich erfüllt worden, aus dem Untergebenen wurde so ein Gesinnungskamerad und die sonst üblichen Themen wie ,,Spindordnung“ oder ,,Korrekterr Gruß“ wurden durch den einen oder anderen gepflegten Talk über Techno ersetzt.
Aber bei der ,,Faszination des Schamanen Väth“, die ihm selbst härteste Kritiker neidvoll zugestehen müssen, spielt er selbst sicherlich eine mindestens eben so große Rolle wie das von ihm gedrehte Vinyl. Irgendwo hat das natürlich ziemlich viel mit Rock’n’Roll zu tun, und davon wollten wir doch eigentlich alle mal so weit wie möglich weg.
Hat Sven Väth den Personenkult in die Technoszene eingebracht?
SV: Absolut. lch steh‘ ja zu dem, was ich mache. lch muss mich doch nicht verstecken und sagen: Es darf mich keiner sehen, wenn ich auflege, denn es kommt nur auf die Musik an. Blödsinn! Die Leute brauchen immer irgendeine Verbindung, etwas, mit dem sie sich auch identifizieren können. Es ist bei mir schon immer so gewesen, dass ich mit meiner Person die Musik noch überzeugender rüberbringe. Weil ich den Leuten ein ehrliches Gefühl vermittle. Das ist nicht die Rolle ‚Sven Väth auf der Bühne“ – das ist Sven Väth. lch bin z.B. jedes Mal darum bemüht, früh da zu sein, um mir die Leute anzugucken, und meistens auch bis zum Schluss da zu bleiben, so dass sie das Gefühl bekommen, ‚der Sven war heute Nacht für uns da‘. Und nicht irgendwie dieses kurz gekommen, zwo Stunden aufgelegt, Backstage ein bisschen Laber-Laber, Kohle geschnappt und dann, wenn möglich, noch auf dem nächsten Rave gespielt. Es ist für mich nach wie vor das
Wichtigste, dass die Leute zum Schluss glücklich auf der Tanzfläche stehen und sagen: OK, wir haben zusammen
’ne schöne Zeit gehabt.
lch hab‘ da durch so ’ne Art Vertrauensbonus. Da wird auch nicht groß überlegt, was spielt er heute für·’ne Musik, sondern da ist klar, der Sven ist da, wir lassen uns fallen. Wenn ich nicht DJ wäre, wäre ich vermutlich Schauspieler oder Zirkusartist geworden. lch hab‘ den Leuten schon immer gerne etwas geschenkt, ein Gefühl, ein Lächeln, es kostet ja nichts.
Steffi Graf, John Lennon, Princess Diana. Pop-Stars haben ja immer wieder das Problem von irgendwelchen manischen lrren verfolgt zu werden, die meinen, göttliche Stimmen zu empfangen, außerirdische Aufträge zu erfüllen und Ähnliches. Hast du in der Richtung auch deine Erfahrungen gemacht?
SV: Na ja, Drohungen hab‘ ich noch keine bekommen, aber es gibt ein paar Psychopathen, die bei mir anrufen. Verrückte, die meinen, sie waren Sven Väth. Vor ein paar Tagen war erst wieder ein Typ da, der fest davon überzeugt ist, dass ich in Indien bei einem Guru durch eine spezielle Art von Körperreisen gelernt habe, in seine Seele zu gehen, um seine ganzen ldeen, seine ganze Energie auszusaugen und das Ganze als meine Sache zu verkaufen. Er behauptet auch, der Inhaber von EyeQ und Harthouse zu sein und kam einmal in die HR3-Clubnight und stand auf einmal mit Platten in der Hand neben mir und meinte: ‚So Sven, ich mach‘ jetzt weiter!‘ Ja, von so Psychos laufen halt schon einige frei herum, wo du echt denkst, ‚Mein Gott, was geht’n ab?‘ Tja, damit muss man rechnen, wenn man sich derartig im Rampenlicht bewegt.
Hat dich Dr. Alban eigentlich noch mal gefragt, ob du wieder bei ihm im Vorprogramm spielen würdest?
SV: Nee, die Verbindung war damals durch Logic und Mathias Martinsohn zu Stande gekommen. Weil die erste Alban-Scheibe so ein Knaller war, und die damals im Omen live gespielt haben, war klar, Alban geht mit Sven Väth auf Tour. Und ich mein‘, Alban fanden wir ja damals alle geil. Das kann man ja auch ehrlich zugeben, ,,Hello Africa“ und das erste Album sind auch gut produziert worden. Mit geilen Afro-Rhythmen, und das ging doch gut ab. Wo es danach hin ging, na ja, ich glaub‘, darüber müssen wir nicht reden.
Einmal mehr stellt sich an dieser Stelle die Frage nach den ‚Original Creators‘ der alemannischen Technobewegung. Vermutlich gibt es auf die Problematik, welcher der beiden urbanen Knotenpunkte, Frankfurt oder Berlin, sich denn nun die Mutterschaft auf den knackigen Rücken schreiben darf, keine wirkliche Antwort. Dafür lagen die musikalischen Definitionen der beiden einfach viel zu weit auseinander. Denn Frankfurter Dauerbrenner wie Snap, Erdbeermund oder eben jener Dr. Alban waren für die Berliner Tekknos, wo das Vinyl zu diesem Zeitpunkt nur ab +7 rotierte und Roland BPM getreu dem Motto ‚Härter, schneller, weiter‘ die Devise ,’Abfahrt‘ groß geschrieben hatte, schlicht und ergreifend ‚Disco‘.
Damit wollte man in der frisch geeinten Metropole beim besten Willen nichts mehr zu tun haben, und so kam es, dass der Veranstalter der ersten deutschen Groß-Rave-Serie Tekknozid Wolle Neugebauer, die Väthsche Bitte um einen Auftritt bei eben jener Großveranstaltung dann auch mit einem unmissverständlichen ,,Du machst kein Techno, sondern Pop“ abwies. Sven sieht das natürlich nach wie vor ein bisschen anders, denn …
SV: Bei uns ging es ja eigentlich schon mit Electronic Dance Musik Anfang der 1980er los. Zuerst mit Talla und seinem ,,Tekno-Ta1k“ 1983, dann kamen 85/86 Off und 16 Bit. Auch Alban, Snap etc. haben wir mit Technologie produziert. Das war schon eine Art von Techno-Frankfurt-Dance. Wir haben schon Techno bzw. Acid-House gefeiert, als es in Berlin noch gar nicht aktuell war.
Wie auch immer: Stichwort Frankfurt. Heutzutage werden ja auch immer wieder Klagen vorgebracht, dass sich in Frankfurt nightlifemäßig lange nicht so viel abspielt, sich die Partywut doch in wesentlich engeren Grenzen halt, als das von Außenstehenden gelegentlich vermutet wird. Bereust Du manchmal nicht die Machtkonzentration auf einen bestimmten Personenkreis, der in der Vergangenheit vielleicht auch dazu beigetragen hat, dass sich gar nicht so viel entwickeln konnte?
SV: Das darf man, glaub‘ ich, nicht so eng sehen. Wenn man mal zurückschaut, so vor zehn oder fünfzehn Jahren gab’s ja nicht viel, da war das Dorian Gray, und das war letztendlich der Aufhänger für die Technoszene in Frankfurt. Na ja, es gab halt gewisse Key-Funktionen. Wir haben versucht, unsere Sache professionell zu machen, und ich glaub‘, wir haben damit zu jener Zeit ziemlich viele Leute motiviert.
Du hast ja auch mal gesagt: Pass auf, dass du nicht irgendwann mal sagen musst, ‚Ich hab‘ zu wenig gefeiert.‘ Das klingt fast so ein bisschen wie „Live Fast – Die Young“. Denkst du, um richtig groß zu werden, fehlt dir vielleicht nur noch der richtige Abgang, tot auf E in der Badewanne oder so…
SV: Ich nehm‘ seit ’nem halben Jahr gar nichts mehr. Ich trinke jetzt nur noch mein Bier und rauch‘ vielleicht einen Joint. Ich hab‘ aufgehört mit Ecstasy, Kokain habe ich seit sechs Jahren nicht mehr angerührt, Speed war nie meine Ehe und LSD ist was, was ich vielleicht nehmen würde, wenn ich in Asien irgendwo unterwegs bin und hab‘ ’ne schöne Zeit irgendwie mit ein paar Leuten auf’m Berg oder so. Ich kann das nicht in geschlossenen Räumen. Ich habe alles durchexerziert. Schön und gut. Aber jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich sage: Save the energy für neue Power, neue Konzentration und neue Projekte.
Das ist schön. Wir haben dann nur noch ein Frage. Wir fahren jetzt nach Heidelberg zum Kongress zu Bewusstseinserweiterung. Albert Hofmann, der Erfinder von LSD und Alexander Shulgin, der Wiederentdecker von XTC sind auch da. Sollen wir den beiden eine Frage von dir stellen?
SV: (zögert ein Weilchen) Der Platz ,Megatripolis“, sagt der euch was? Das ist der Ort da oben, wo sich die Schamanen treffen, wo die Leute hinreisen, um neue Kraft und Energie zu tanken, eben der Platz der Schamanen und der Zauberer. Ich glaub‘, da kommst du auch hin über Peyote, LSD und so Sachen – fragt doch mal, ob’s da ’ne Wegbeschreibung gibt.
Aus Raveline 04/1996