Iron Curtis – Housemusik par excellence

Auf dem Kontinent der elektronischen Musik ist Johannes Paluka aka Iron Curtis bereits weit gereist und hat dabei musikalische Grenzen mit beneidenswerter Leichtigkeit gebrochen. Der Berliner kreiert seine komplexen, eindringlich schönen Inszenierungen aus den verschiedensten eklektischen Stilen und Einflüssen. House, Acid oder Soul-Techno – sein Sound bewegt sich im Gleichgewicht, eher reduziert. 2008 debütierte er mit einer EP auf dem Hamburger Label Mirau, auf Deetrons Fuse spielt er ebenfalls eine gute Rolle und auch Imprints wie Office, Retreat oder Smallville reihen sich in seiner Diskografie aneinander. Mit seinem langjährigen Freund Jool aka Edit Piafra betreibt er das Projekt Achterbahn D’Amout, wo auf mit Acid infiziertem Techno der Fokus liegt. Generell ist Curtis einer dieser Akteure, die sich schlichtweg in keine musikalische Schublade stecken lassen. Zu vielfältig sind die Welten, in denen er sich bewegt und die er immer wieder miteinander verschmelzen lässt. So auch bei seinem neuen Projekt Moon, einer Zusammenarbeit mit Johannes Albert von Frank Music, mit der die beiden ihrer Liebe für den klassischen Electro frönen. Nun erscheint – nach seinem Debütalbum „Soft Wide Waist Band“ aus 2012 – mit „Upstream Colour“ sein neuestes Solo-Album. Dabei porträtiert der Berliner verschiedenste Facetten der Housemusik auf insgesamt zwölf Titeln.

 

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Von ambientlastigen bis hin zu clubaffinen Stücken: Curtis präsentiert eine gänzlich eigene Ästhetik und passt somit perfekt zu Tamed Musiq, dem Label von Ripperton, auf dem das Werk am 24.09. erscheint, das zugleich sein erstes Album auf dem in Amsterdam beheimateten Label ist. Das Album ist das Resultat einer zweijährigen intensiven Schaffensphase, an deren Anfang, im Jahr 2016, es eine schwierige Lebensphase zu meistern galt. „Es war ein intensiver Prozess und der ist nun abgeschlossen. Es passiert gerade viel Positives und ich bin gut beschäftigt, darf um die Welt reisen und Musik spielen – fühlt sich also großartig an. Ich habe mich in der Zeit seit dem letzten Album redlich bemüht, den sprichwörtlichen Arsch in Bewegung zu halten. Ich habe Alben als Achterbahn D’Amour auf Acid Test und als Moon veröffentlicht, immer fleißig 12Inches und Remixe gemacht, bin viel getourt und habe noch dazu einen Job bei einer Musiksoftware-Firma angefangen. Ein Privatleben obendrauf. Müßiggang war da nicht viel.“

Soundtechnisch sieht Curtis in seinen aktuellen Sachen eine Art Befreiung. „Das teils doch strenge House-Korsett, das ich meinem Iron-Curtis-Alias früh übergestreift habe, kneift jetzt doch immer mehr und ich musste da mal raus und Luft holen. Mich als Künstler weiterentwickeln sozusagen – das klingt aber immer so bedeutungsschwer, denn eigentlich war’s der normale Prozess. Älter werden, die ein oder andere Schramme davontragen und vor allem viel lernen. Ich traue mich jetzt einfach mehr, lasse es öfter als früher rauschen und knistern und komme auch mal gut ohne Kickdrum aus.“ Inspiration zieht Curtis dabei meist aus der Zeit, die er im Studio verbringt, sowie aus einem Film von Shane Carruth. „In eher manischen Phasen verdichtet sich dann alles – und dann kommt der Flow. Es waren eigentlich nur drei, vier Monate, in denen das Album entstanden ist, und ich habe früh gespürt, dass die Stücke aus dieser Zeit zusammengehören. Dazu hatte ich den Titel-Namen im Notizbuch stehen und der hat dann den Rahmen geschaffen. ,Upstream Color‘ von Shane Carruth hat mich enorm berührt, auch wenn er nicht ganz so zum Lieblingsfilm avanciert ist wie ,Primer’, sein Debüt. Aber die Stimmung und die Farben haben mich bewegt und ich habe mir oft vorgestellt, wie der Film wohl bei mir klingen würde. In der Zeit habe ich auch ,We Are Monster‘ von Isolee und Alben von Jan Jelinek und Ben Frost gehört, oft beim Laufen im Park. Und halt DJ Koze, die ewige Konstante.“

Einen konstanten Workflow versucht Curtis im Studio eher zu vermeiden. Stattdessen setzt er auf Variation. Das halte den Geist und auch ihn frisch und vermeide zugleich Blockaden, so sagt er. „Für das Album wichtig waren mein Casio CZ-3000, DX7IID und der TASCAM 246 Tape Recorder, aber natürlich auch Software wie Live, PaulStretch und Pulveriser Demolition in Reason. Favoriten haben ich eigentlich nicht, das wechselt oft. Ich weiß jetzt ungefähr, was ich tun muss, um einen bestimmten Sound zu erzeugen. Oft klappt aber auch gar nichts, was allerdings nicht schlimm ist, denn dann muss es eben wieder von vorne losgehen – und etwas ganz Neues entsteht.“ So auch im privaten Kontext. Eine Phase, die er auf dem Album sicherlich verarbeitet. „Kristoffer Cornils hat das in einem Artikel mal gut zusammengefasst: In dem Beruf musst du einiges wegstecken – körperlich wie auch geistig. Selbstzweifel, Entfremdung, Stress, Erfolgsdruck und Zukunftsängste sind treue Begleiter und wenn man schon mit einer Vorgeschichte in die Sache reingeht, hat man es nicht unbedingt leichter. Viele meiner Kollegen sind von ihrem Wesen doch eher zart – und da zähle ich mich auch dazu. Es muss dann viel kompensiert werden, denn im Club soll ja ,Happy Time’ sein. Ich hatte oft damit zu kämpfen, mich eigentlich nicht beschweren zu können. ,Bin doch privilegiert, darf genau das machen, wovon ich immer geträumt habe.’ Das erzeugte zusätzlichen Druck. Ich finde es gut, dass Depression und Angststörungen jetzt öfter im Kontext von Clubkultur thematisiert werden. Ich denke, dass das Thema eigentlich viel größer ist, da der Vergleichsdruck durch soziale Medien ja stetig wächst.“ Sein Rezept, eine Art Lösung, die er dafür gefunden hat, war so simpel wie auch schwierig. „Immer weitermachen – your mind will follow. Sich einen Werkzeugkoffer zurechtzulegen, auf den man im Notfall zurückgreifen kann, ist wichtig. Da kann man Sachen reintun, die einem beim ,Writer’s Block’, aber auch bei Ängsten und Verzweiflung helfen. Neben der Musik wieder etwas anderes zu machen und einen Job anzufangen, hat mir enorm geholfen. Das hat für Struktur gesorgt, auch wenn es jetzt gerade schwieriger wird, die beiden Welten unter einen Hut zu bekommen.“ Generell sieht er in der heutigen digitalen Social-Media-Welt Fluch und Segen zugleich. „Ohne MySpace und SoundCloud hätte ich mich enorm schwer getan. Aber damals war das auch noch überschaubar. Heute kannst du dich zwar mit jedem auf der Welt 24 Stunden am Tag connecten, aber eben auch vergleichen. Und du wirst immer jemanden finden, der’s besser macht als du. Daher: Einen Gang runter schalten und begreifen, dass das Zurschaustellen von Erfolg und guter Zeit im Internet oft nicht die Realität abbildet, sondern meist nur der Selbstvermarktung dient. Das hilft dabei, sich locker zu machen.“ Und so versteht Curtis den Begriff „House“ noch immer so wie früher, „nur eben dehnbar und nicht zu eng geschnürt.“

In den nächsten Wochen geht es für ihn erstmals nach Hongkong und Seoul. Seine Album-Release-Party findet hingegen in Nürnberg statt. „Da haben meine Freunde von Musikverein und Desi den berühmt-berüchtigten Kunstbunker als Location klargemacht. Das wird gut.“

 

Aus dem FAZEmag 079/09.2018
www.facebook.com/ironcurtismusic

Text: Rafael Da Cruz
Foto: Kai von Kotze

 

 

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