Italo Brutalo – “It’s all about feeling”

Foto: Gerald von Foris

Vincent und ich telefonieren an einem sonnigen Frühlingsvormittag. Er wirkt aufgeregt, als wir das Gespräch beginnen. Seine Ehrlichkeit beeindruckt mich, schließlich kannten wir uns vor diesem Treffen nicht. „Ich konnte mir als Kind schon vorstellen, dies bis an mein Lebensende zu tun“, sagt der 42-Jährige über die Musik. „Jetzt, 25 Jahre später, weiß ich, dass dies wahr werden wird“. Durchhaltevermögen, das er mit 13 Jahren gebraucht hätte, als er anfing, Musik zu machen – „Ich habe in meinem Leben Hunderte Demos aufgenommen. Teilweise stolpere ich heute über Aufnahmen aus den 90ern, die ich noch auf Kassette aufgenommen habe und denke mir, Wahnsinn ist das geil!‘“. Dabei stellt er sich nicht selten die Frage, wie er das damals eigentlich gemacht hatte. „Fuck, das hätte ein Hit werden können!“, lacht er.

Als Vincent aka Brutalo Italo seinen Musikgeschmack entwickelte, wunderte er sich über die komischen Geräusche in den Songs von Run-D.M.C. und Public Enemy. „Ich sah Musikvideos auf MTV und beobachtete, dass die Platten vor und zurück bewegt wurden.“ Das wollte er auch ausprobieren. „Daraufhin holte ich mir zwei alte Plattenspieler vom Flohmarkt für fünf Mark.“ Einen musikalischen Background hat er selbst nicht. „Mein Vater ist Gitarrist in einer Blues-Band, spielt aber auch Piano und Bass. Meine Mutter spielt Klavier und kennt sich supergut mit Musik aus“. Außerdem haben seine Eltern eine große Schallplattensammlung und auch seine Brüder spielen Instrumente. „Musik ist schon immer das zentrale Thema in meiner Familie“, erzählt er. 1992, da war er zwölf Jahre alt, entdeckte er Hip-Hop für sich und gründete im Anschluss eine Band. Vier Jahre später verguckte er sich in House-Musik und D ’n‘ B. „Weil ich gemerkt habe, dass da die gleichen Samples drin sind, die die Hip-Hop-Leute verwenden, nur wurden die dort kreativer verarbeitet.“ Kurze Samples und die kunstvolle Art, eine Platte zu scratchen, beeindruckten ihn. „So bin ich mit 16 Jahren zur elektronischen Musik im klassischen Sinne gekommen“, berichtet er.

Kurz danach fing Vincent an, in Clubs aufzulegen. „Damals haben mich meine Eltern noch hingefahren, als ich dann 18 war, legte ich teilweise viermal die Woche im Raum Niederbayern auf.“ Da gab es auch noch nicht so viel Konkurrenz. „Damals war das alles noch sehr überschaubar“, erzählt er. Zudem gab es eine Hürde, der man sich als DJ stellen musste. „Wenn du auflegen wolltest, brauchtest du eine große Plattensammlung, und die hatten damals nicht viele Leute, weil es eben auch ein finanzieller Aspekt war.“ Fortan investierte Vincent jeden Pfennig, den er beim Auflegen verdiente, in Platten. „In den Ferien arbeitete ich zusätzlich auf dem Bau, um mir Sampler und weitere Platten leisten zu können.“ Etwa 30 Mark verdiente er, wenn er in Cafés oder Clubs auflegte. „Anders war es im Jugendzentrum, da gab es natürlich nichts“, erinnert er sich. „Es waren kleine Gagen, aber wenn man das ein paar Mal im Monat oder jeden Freitag macht, sind das wieder 120 Mark und das waren, je nachdem, wie man rechnet, ein paar Stunden neue Musik“.

Als Vincent mit der Schule fertig war, wusste er lange Zeit nicht, was er werden wollte. „Und dann hat es Klick gemacht“, erzählt er. „Mich hat ja immer die Technik so fasziniert – und dann dachte ich, ja stimmt, ich könnte auch einen technischen Beruf erlernen.“ Er entschied sich für eine Ausbildung zum Mediengestalter für Bild und Ton. 2004 machte er sich dann als Musiker selbstständig, trotz des hohen Risikos, dem er sich damals aber noch nicht ausgesetzt fühlte. „Ich habe relativ früh angefangen, viele Sachen zu machen. Vinyls, dann die Hip-Hop-Band, mit 18 Jahre das erste Video auf MTV“, erzählt er. „Dafür, dass ich nicht aus einer Metropole stamme, hatte ich schon damals Berührungspunkte, die für andere unerreichbar schienen“.

Am Telefon sagt er, dass er heute mehr denn je für seine Arbeit brenne. Bremsen lassen wolle er sich von nichts, doch mit der Corona-Pandemie erlebte er den ersten Rückschlag. „Das hat mich natürlich getroffen. Im Februar 2020 war mein Terminkalender bis in den August voll.“ Gigs in ganz Europa warteten auf ihn. „In der ersten März-Woche wurde dann alles abgesagt“ – für Vincent ein trauriges Erlebnis, das ihn beschäftigte. „Nach einer Woche dachte ich mir, dass ich nicht der Einzige bin, der davon betroffen ist und versuchte, das Beste daraus zu machen.“ Weil die Einnahmen weniger, die monatlichen Fixkosten, die er mit Streaming-Plattformen, Stromkosten und Studiomiete hat, aber unverändert weiterliefen, fing er an, Platten zu verkaufen. „Es waren ungefähr 2.500“, sagt er. „Ich dachte mir, ich werde nie mehr Zeit in meinem Leben geschenkt bekommen als jetzt. Plötzlich war man irgendwie frei. Also habe ich zwei Großprojekte in Angriff genommen.“ Neben dem Ausmisten seiner Plattensammlung, „was ich mir aus Zeitgründen für das Alter vorgenommen hatte“, arbeitete er an seinem Album. „Ich glaube, ohne Corona würde es das heute nicht geben.“

Sein Optimismus steckt an, dennoch gibt es Dinge innerhalb der Branche, die ihn beschäftigen. „Ich bin ein totaler Spotify-Gegner. Das ist eine bodenlose Frechheit, was da bei Künstler*innen ankommt.“ Für ihn der schlechteste Streamingdienst von allen. „Lieber SoundCloud, die haben eine gute Policy.“ Dennoch seien die Beträge, die er für seine Musik erhält, immer unterschiedlich. „Super ist natürlich, wenn bekanntere DJs Songs in ihren Sets spielen. Boiler Room zum Beispiel, dann gehen nämlich auch die Lizenzgebühren des gespielten Tracks hoch“. Bandcamp sei außerdem ein künstler*innenfreundliches Portal mit fairer Bezahlung. „Und das ist auch das, was ich langfristig aufbaue.“

Am lukrativsten seien aber immer noch die Gigs, da komme das meiste Geld rein. Doch auch hier läuft nicht alles rund. „Ich habe mich immer gut bezahlt gefühlt, aber wenn man dann so im Nachhinein mitbekommt, was die/der DJ nach dir bekommen hat, hatte das immer einen komischen Beigeschmack“, erzählt er. „Dann hat man sich halt irgendwo auch verarscht gefühlt, weil es meist das Doppelte oder Dreifache war.“ Auf die Frage, wie er reagiere, wenn er Anfragen für Gratis-Gigs erhält, sagt er: „Ich lege auch mal für lau auf einer Veranstaltung auf, wenn das Konzept passt und alles preislich ungefähr gleich liegt oder etwas Sinnvolles damit gemacht wird.“ Oder eben eine kleine Partyreihe, wo das Budget einfach noch nicht da ist. „Aber ich bin kein Freund davon, wenn die einen gedrückt werden, um andere zu finanzieren.“

Wenn Vincent von seiner Musik erzählt, klingt er positiv. „Ich habe immer genau das gemacht, was ich wollte, und das hat mir Spaß gemacht.“ Für ihn sei der Weg zum Musiker nie mit Stress verbunden gewesen. „Im Gegenteil, es hat mich gefreut, wenn viel los war und wenn ich machen konnte, was ich wollte“, sagt er. Beim selbstständigen Arbeiten helfe ihm Struktur. „Ich mache mir zum Beispiel immer einen Zettel in der Früh mit meinen To-Dos für den Tag. Am Abend freue ich mich, wenn die 15 oder 20 Punkte, die darauf stehen, abgehackt sind“. Was nicht heißen soll, dass die Arbeit nicht auch anstrengend für ihn sei. „Das ganze künstlerische Dasein hat sich ja sehr gewandelt in den letzten 20 Jahren. In den 90ern gab es für alles Spezialist*innen.“ Heutzutage sei man hingegen nicht nur Musiker*in oder Produzent*in, sondern auch Sound-Engineer*in, Mastering-Engineer*in, Online-Manager*in, Marketing-Manager*in oder eben Content-Producer*in. „Dafür gehen ungefähr 30 Prozent meiner Zeit flöten, die restlichen 70 Prozent bleiben dann für Musik.“

Diese Zeit nutzt bzw. nutzte er unter anderem, um seinen Traum vom eigenen Album fertigzustellen. „Da sind auch Songs drauf, die ich vor 13 Jahren gemacht habe und die ich jetzt für das Album überarbeitet habe.“ Mit 22 hätte er das nicht machen können, sagt er. „Dafür fehlte mir die Erfahrung.“ Neben den zwölf Songs, die darauf zu finden sind, gibt es noch persönlich geschriebene Texte von ihm im Klappcover. „Das war mir ganz wichtig, dass die Leute auch etwas zu lesen haben.“ Veröffentlicht wird die Doppel-LP übrigens auf Bungalo Disco, dem Label, das er zusammen mit seiner Freundin betreibt. Abschließend fasst Vincent seine Intention zum Album zusammen: „Ich wollte, dass die Leute einen Einblick in das erhalten, was mich ausmacht“ – als Symbol für seinen gelebten Traum, Musik zu machen.

 

Aus dem FAZEmag 125/07.2022
Text: Sofia Kröplin
Foto: Gerald von Foris
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