Italo Brutalo – Selbstsuche, Vintage-Maschinen und Neuanfänge

Italo Brutalo – Selbstsuche, Vintage-Maschinen und Neuanfänge. Credit: Tania Parovic

Italo Brutalo lebt für das, was viele in der elektronischen Musikszene längst verloren haben: echte Hingabe an den Klang, die Technik – und an den kreativen Prozess, der weit über das Produzieren hinausgeht. Mit seinem neuen Album „Second Horizon“ zeichnet er nicht nur eine musikalische, sondern auch eine persönliche Reise nach. Es ist ein Werk, das seine Erfahrungen in Berlin widerspiegelt, inspiriert von Begegnungen, Tempo und Transformation. In diesem Monat mixt Italo Brutalo auch den offiziellen FAZEmag Download-Mix.

„Die Liebe in Form meiner Freundin Tania“ war der Auslöser für den Umzug von München in die Hauptstadt, erzählt der Produzent. Während er in der bayerischen Metropole nie richtig in der Szene ankam – „als Nicht-Münchner wird man eher ausgegrenzt als gefördert“ – öffnete sich in Berlin eine ganz neue Welt. „Hier wurde ich mit offenen Armen empfangen. Es gibt Wochen, da könnte ich mit drei verschiedenen Acts ins Studio gehen.“

„Second Horizon“ knüpft an sein gefeiertes Debüt „Heartware“ an – und doch ist es ein radikal anderes Werk. „Während ‚Heartware‘ alles abbildet, was mich seit meiner Kindheit beeinflusst hat, befasst sich ‚Second Horizon‘ mit meinem neuen Lebensabschnitt in Berlin.“ Vor allem visuell verließ er bewusst seine Komfortzone: „Ich habe mich auf Flohmärkten und Antiquariaten durch etliche Bücher gearbeitet, um möglichst viel Material für das Cover und die Musikvideos zu haben.“ Diese Collage-Technik sei eine Art grafisches Sampling: „Hunderte von kleinen Schnipseln und Ausschnitten wurden zu einer Einheit zusammengefügt. Am Ende entsteht dann etwas, was meist selbst für den ursprünglichen Interpreten als Auszug seines Werkes erkennbar ist.“ Musikalisch bewegt sich das Album zwischen industrieller Härte und retro-futuristischer Wärme. „Viele der Klänge, die ich verwende, sind von Grund auf selbst erstellt. Wenn man weiß, wie man Schwingungen bearbeiten und modulieren kann, eröffnen sich sehr viele gestalterische Möglichkeiten.“ Auch das Tuning spielt für ihn eine große Rolle: „Jedes Audioereignis hat ja einen Grundton. Diesen gilt es herauszufinden und ‚spielbar‘ zu machen.“

Der Titeltrack „Chasing Shadows“ steht exemplarisch für eine tiefergehende Selbstbefragung. „Ich würde mich selbst als sehr reflektierten Menschen bezeichnen“, sagt er. „‚Chasing Shadows‘ beschreibt diese Selbstreflektion und die Betrachtung seiner selbst mit den Augen einer anderen Person.“ Kunst sei für ihn nicht nur persönlicher Ausdruck, sondern auch Verantwortung: „Natürlich mache ich die Kunst für mich, jedoch sollte man sich bewusst sein, dass diese auch eine enorme Wirkung – positiv, aber auch negativ – auf andere Menschen haben kann.“ Auch in der Herangehensweise an Text und Musik geht Italo Brutalo eigene Wege: „Da meine Gedanken meist in Worten gedacht stattfinden, entsteht eine gewisse Textgrundstruktur bereits recht früh. Dann fange ich an, die Musik dafür zu erschaffen.“

Dabei spielt das Equipment eine zentrale Rolle – allerdings nicht als Selbstzweck. „Da ich ein großer Fan von gutem und zeitlosem Design bin, haben es mir viele alte Musikinstrumente angetan. Der Klang ist es meist gar nicht – den können viele Plugins heute auch generieren – aber das User Interface der Hardware ist einfach unschlagbar.“

Live ist für ihn nur eine Performance ohne Laptop wirklich ehrlich: „Ich nutze außer der MPC Live ausschließlich Geräte aus den 80ern und 90ern. Das ist sozusagen meine Band. Jedes Gerät ist ein anderer Musiker.“ Playback kommt für ihn nicht infrage: „Sobald ein Computer im Spiel ist, habe ich den Eindruck, dass 90 % vorproduziert ist. Außerdem zahlen die Leute mittlerweile sehr viel Eintritt – da möchte ich ihnen das Maximum an Performance, Show und Einzigartigkeit bieten.“ Diese Haltung zieht sich auch durch sein Selbstverständnis als DJ. In den 2000er-Jahren gewann er nationale und internationale DJ-Meisterschaften – Fähigkeiten, die er bis heute einsetzt. „Ich beschäftige mich sehr viel mit aktuellem DJ-Equipment und versuche, alles für meine Zwecke zu nutzen. Wenn ich auflege, ist das weitaus mehr als das einfache Synchronisieren zweier Tracks.“ Er arbeitet mit vier Quellen gleichzeitig, mischt CDJs mit Technics 1210ern, achtet auf harmonische Übergänge. „Viele achten heutzutage nur auf Drums – was meiner Meinung nach verschenktes Potenzial ist.“

Mit Mitte 40 denkt er zurück – nicht nostalgisch, sondern bewusst. „Ich entwickle mich gerade wieder zurück in die Zeit, als ich 15 oder 16 war und nur sehr begrenzte Mittel hatte. Aber diese waren die Welt für mich.“ Damals legte er ein Mikro in den offenen Diercke-Weltatlas, schlug ihn zu – und hatte eine Kick. „Einfach das verwenden, was man hat, und daraus das Beste machen.“ Das sogenannte GAS – Geräte-Anschaffungs-Syndrom – habe er hinter sich gelassen: „Oftmals macht man mit all dem Equipment keine Musik mehr, sondern ist nur noch auf der Suche nach neuen Geräten. Ich bin vor 20 Jahren auch mal in diese Falle getappt, aber mittlerweile Gott sei Dank davon mehr als geheilt.“

Mit „Second Horizon“ zeigt Italo Brutalo, dass es im Maschinenpark der elektronischen Musik nicht nur um Funktion geht, sondern um Haltung. Eine Haltung, die ihre Kraft aus Reduktion, Reflexion – und echter künstlerischer Substanz zieht.

Tracklist „Second Horizon“:
1. City Sight (Original Mix) 05:29
2. Memory Sync (Original Mix) 04:41
3. Digital Freedom (Original Mix) 04:31
4. Surveillance State (Original Mix) 05:05
5. Technology (Original Mix) 05:06
6. Heiss oder Kalt (Original Mix) 04:52
7. Chasing Shadows (Original Mix) 04:04
8. Free to move (Original Mix) 04:21
9. Black Gold (Original Mix) 07:08
10. Human Code (Original Mix) 06:05
11. I am a Creator (Original Mix) 05:07
12. Tonight (Original Mix) 04:09

Das Album „Second Horizon“ von Italo Brutalo ist am 29. Mai 2025 erschienen.

Aus dem FAZEmag 160/06.2025
Text: Triple P
Credit: Mark Gregson
Web: www.instagram.com/italobrutalo