Italo Disco is back! Die legendären Retro-Sounds feiern bereits seit einigen Jahren ihr Revival in der Club-Landschaft Europas und locken ein Millionenpublikum auf die Tanzfläche. Das Genre, entstanden an den italienischen Mittelmeerstränden in den 80er-Jahren und in Deutschland zum Massenphänomen mutiert, ist weitaus mehr als eine musikalische Stilrichtung. Es ist ein soziokulturelles Phänomen, ein Lebensgefühl, eine Ära. Über die Entstehung und Entwicklung eines der wohl facettenreichsten Musikgenres unserer Zeit hat der Regisseur Alessandro Melazzini nun eine mitreißende Dokumentation gedreht, die tief in den Glitzersound der 80er eintaucht und mit einer wundersamen Entdeckungsreise des Italo-Disco-Kosmos aufwartet. Zu Wort kommen nicht nur visionäre Künstler*innen des Genres, wie Sabrina Salerno, Johnson Righeira, Savage oder die La-Bionda-Brüder, sondern auch langjährige Fans und Expert*innen des Genres wie DJ Hell und ZYX-Music-Geschäftsführerin Christa Mikulski. Das Kult-Label aus der Nähe von Limburg hat unzählige Italo-Disco-Perlen veröffentlicht, unter anderem den Klassiker „Dolce Vita“ von Ryan Paris. Italo Disco, das ist der Sound einer Ära, die oft beschrieben, aber nie wirklich verstanden wurde. Genau das möchte Alessandro Melazzini jetzt ändern. Wir haben ihn interviewt.
Hallo, Alessandro. Erzähl doch mal: Wann bist du das erste Mal mit dem Genre in Kontakt gekommen und wie war deine erste Begegnung?
Wie viele andere kam ich mit Italo Disco in Berührung, ohne es zu wissen. Ich hörte 80er-Jahre-Musik und fand sie eingängig und interessant, aber ich wusste nicht, was für eine Welt voller Leidenschaft, Genialität und Skurrilität hinter diesem Phänomen steckt. Wahrscheinlich habe ich die ersten Töne im Sommer der 80er-Jahre im Radio gehört, vielleicht als ich lange Zeit mit meiner Mutter in Bormio verbrachte. In Bormio gab es die Alpen, nicht das Meer, aber die gleiche Lust, sich abends zu amüsieren, die ich bei meinen älteren Brüdern wahrnahm.
Du bist also noch gar nicht so lange ein Fan des Genres?
Mit dem Kauf der Original-Vinyls, die im Film vorkommen, habe ich erst nach den Dreharbeiten begonnen. Wie ich bereits sagte, habe ich die Genialität und die Wunder dieses Genres erst im Rahmen des Projekts kennengelernt. Für die Qualität des Films war das sehr wichtig, denn als absoluter Fan neigt man dazu, dass einem die nötige Distanz zur Thematik abhandenkommt. Durch diesen Abstand konnte ich die Materie sowohl für Laien als auch für Experten nahbar auf verschiedenen Ebenen machen.
Wann und warum hast du den Entschluss gefasst, dem Genre einen eigenen Film zu widmen?
Nach dem Erfolg der Pop-Doku über Cicciolina für ARTE und nachdem ich eine Dokumentation über die Architektur und die Spiritualität der Zisterzienser in Italien gedreht hatte, dachte ich, es wäre eine gute Sache, mit einem transversalen Blick zum Pop zurückzukehren. Italo Disco war wie gemalt dafür. Es wäre absurd gewesen, sich nicht auf ein so interessantes Phänomen zu konzentrieren, das zwar zutiefst italienisch ist, dank Deutschland im Allgemeinen und München im Besonderen, wo ich lebe und arbeite, jedoch stark gewachsen ist.
Was hat dir an der Produktion am meisten Freude bereitet?
Absolute Perlen wie „Cybernetic Love“ von Casco zu entdecken, die Archive nach unveröffentlichtem oder wenig bekanntem Videomaterial zu durchforsten und Interviews mit den Protagonist*innen vorzubereiten. Aber auch die Dreharbeiten mit der Crew, von Dänemark bis Rom, waren lustig und abenteuerlich.
Was waren die größten Herausforderungen?
Die Produktion war wirklich anspruchsvoll. Besonders mühsam war es, die Rechte am Musik- und Videomaterial zu klären. Das war eine echte Challenge, die ich nur mit externer Unterstützung meistern konnte.
Apropos externe Unterstützung. Warum hast du dich bei der Wahl des Komponisten für Luca Vasco entschieden, der laut eigener Aussage über einen völlig anderen musikalischen Background verfügt?
Ich kenne und schätze Luca Vasco, weil ich schon so lange mit ihm zusammenarbeite. Seine Vielseitigkeit und sein musikalisches Wissen, gepaart mit seiner intellektuellen Neugier, waren für mich ein Garant für hervorragende Ergebnisse.
Auch die visuelle Umsetzung spielt eine wichtige Rolle für den Film und das Genre im Allgemeinen. Kannst du mal versuchen, uns dein ganz persönliches Italo-Disco-Gemälde zu malen?
Man nehme Miami, die Stadt mit dem prägnantesten 80s-Vibe, die ich kenne, mit ihren nächtlichen fluoreszierenden Farben und mischt die Strände von Rimini, Riccione und Cesenatico dazu. Im Hintergrund laufen die Vinyls von Claudio Casalini und im Vordergrund steht eine Granita.
Im Rahmen des Films hast du eine Vielzahl an Interviews mit Protagonist*innen der Italo-Disco-Stilrichtung geführt. Sticht da jemand besonders hervor?
Mit Roberto Zanetti, Johnson Righeira, Linda Jo Rizzo oder den La-Bionda-Brüdern konnte ich einige tolle Sänger*innen des Genres interviewen, die diese Ära hautnah miterlebt haben. Ein riesengroßes Privileg war, Sabrina Salerno zu treffen, denn sie ist ein echter Superstar. Sie stand dem Projekt zunächst skeptisch gegenüber und nur dank der tatkräftigen Unterstützung meiner Kollegin Marisa konnten wir sie überzeugen. Sie mag eine Diva sein, aber sie verfügt über einen unglaublich starken Charakter und ein riesiges Maß an Selbstreflexion, das ich sehr zu schätzen weiß.
Gesprochen hast du auch mit Josef Geier alias DJ Hell, der als Experte und Liebhaber des Genres gilt. Wie war‘s?
Ich bin DJ Hell sehr dankbar. Er hat sofort verstanden, wie wichtig es ist, seine Autorität und Erfahrung einzubringen, um die Erzählung über Italo Disco zu vertiefen und zu differenzieren. Ich dachte an ihn, als ich mich für die Besetzung des Dokumentarfilms entschied, denn ich wollte einen deutschen DJ, der weltberühmt ist und der sich der Welt des Italo Disco während seiner gesamten Karriere mit Interesse genähert hat. DJ Hell war all das, und er kommt aus einer kleinen Stadt in der Nähe von München, einer Stadt, die mit der Entwicklung des Genres verbunden ist. Er hat schnell reagiert und sich schnell positiv entschieden. Dass wir ihn an einem verregneten Sommertag an einem abgelegenen Ort in der bayrischen Provinz interviewen konnten, hat den Charme des Ganzen noch verstärkt und uns schöne Bilder geliefert. Als er den Film gesehen hat, hat er mir gesagt, dass er ihn sehr gut fand, das war das Tüpfelchen auf dem „i“.
Das Genre erlebt derzeit einen neuen Hype. So wurde beispielsweise in der Panorama Bar (Berghain) vor einigen Jahren die Partyreihe „Italorama Bar“ ins Leben gerufen. Hast du dich damit mal befasst? Ist das noch der ursprüngliche Italo-Disco-Sound oder hat das Genre eine Wandlung erlebt?
Die Kultur im Allgemeinen und die Musik im Besonderen ist ein ständiger Mix und Remix von Neuerungen, Verweisen auf die Vergangenheit, Experimenten usw. Den historischen Italo Disco gibt es natürlich nicht mehr. Das war ein Phänomen, das Ende der 1980er-Jahre endete – obwohl Mikulski mit dem Fall der Mauer die Radiosender in halb Osteuropa mit Italo Disco überschwemmte, sodass das Phänomen dort länger andauerte – und dessen Ende von vielen bedauert wird, die Italo Disco mit der Freiheit, zu reisen und zu neuen Stilen zu tanzen, assoziieren. Es gibt jedoch das Phänomen des neuen Italo Disco, der sich vor allem dank der Mundpropaganda und des Internets entwickelt. Tatsächlich gibt es in meinem Dokumentarfilm neben dem Original-Soundtrack von Luca Vasco zwei Neo-Italo-Disco-Songs, obwohl das bisher niemand bemerkt hat. Aber ich werde nicht verraten, welche: Das könnt ihr am besten selbst entdecken!
„Italo Disco – Der Glitzersound der 80er“ist eine Koproduktion von Alpenway Media, dem italienischen Sender Rai, dem Bayrischen Rundfunk und ARTE. Der Film ist auf DVD und Blu-Ray erhältlich. Weitere Informationen findet ihr unter www.alpenway.com/italodisco
Aus dem FAZEmag 142/12.2023
Text: M.T.
Foto: Simone Cagnazzo
www.melazzini.com