Jan Blomqvist – Natur & Produktivität

„What if the world would stand still for one year? Breath in and hold on until we find silence to hear.“ Selten hat ein Song-Text so treffend zu den aktuellen Umständen gepasst, die gerade den gesamten Erdball einnehmen. Zu finden ist er auf der neuen Single mit dem Titel „Packard“ von Jan Blomqvist und Oliver Schories, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Mit Blomqvist – der kürzlich erst einen Remix für Eli & Fur produziert hat – haben wir über die aktuelle Situation gesprochen, darüber, dass diese nicht unbedingt nur negativ ist, sowie sein neues Studio inmitten der Natur und seine Pläne für die Zukunft. Im August erscheint ein Live-Album, aufgenommen bei einer Show in München.

Es ist Juli und quasi Halbzeit im Jahr 2020. Wie hast du das Jahr und die Krise bislang erlebt?

2020 ist, so merkwürdig das jetzt auch klingen mag, ein gutes Jahr bislang. Ich wollte schon seit Jahren mal eine mindestens dreimonatige Tour-Pause einlegen. Und genau das ist nun passiert. Ich war also viel in Berlin oder auf dem Land in meinem neuen Wald-Studio und habe die Ruhe sehr genossen. Wenn ich denn mal zur Ruhe kam. Zu tun war ja trotzdem extrem viel. Wer viel im Studio arbeitet, hat dann auch automatisch viel mit der Orga der Releases zu tun, und das zieht immer sehr viel Arbeit nach sich. Ich freue mich jetzt aber sehr auf die anstehenden Releases, auch wenn es einen bitteren Beigeschmack hat, wenn man weiß, dass es vielen anderen Menschen in dieser von Corona geprägten Zeit nicht so gut geht wie mir. Mein Leben ist doch sehr privilegiert, das ist mir mehr und mehr bewusst und dafür bin ich jeden Morgen dankbar.

Trotz Pandemie bist du gerade sehr aktiv im Studio – nach einem Remix für Eli & Fur kommt eine Kollaboration mit Oliver Schories. Wie ist die entstanden?

Den lieben Olli habe ich in London getroffen bei unserem gemeinsamen Debüt-Konzert im legendären Fabric. Das war im Dezember 2019. Er fragte mich, ob ich einen Remix für ihn machen würde, und ich habe ihm abgesagt, weil mir zwischen dem ständigen Touren und der Arbeit am neuen Album schlicht die Zeit fehlte. Als dann aber abzusehen war, dass ein Großteil meiner Gigs ausfallen oder verschoben werden würde, haben wir diesen gemeinsamen Faden wieder aufgenommen. Darüber bin ich sehr happy, denn ich finde, das Ergebnis ist einer der schönsten Tracks, die ich je gemacht habe. Das denke ich zwar oft, wenn ich was Neues gemacht habe. Aber dieses Mal ist es wirklich so. Es passt einfach alles: Melodie, Vocals, Lyrics, Produktion, alles sehr rund. Aber so ist es ja manchmal: Das, was man am Anfang ablehnt, wird zum Besten, was passieren konnte …

Die Lyrics auf „Packard“ passen erschreckend gut zur jetzigen Situation. Erzähl uns was über den Prozess beim Schreiben.

Es passt meistens in gewisser Weise zur aktuellen Situation, was ich oder wir an Lyrics schreiben. Ich glaube, das geht allen Künstlern so. Es fällt nur oft weniger auf, weil die Entstehungsumstände, auf die man sich bezieht, in der Mehrzahl der Fälle weniger krass und einschneidend sind und vor allem weniger Menschen betreffen – oft ja auch nur einen selbst. Zu Corona und den Auswirkungen lässt sich viel schreiben, weil Zeit plötzlich so eine andere Roll spielt. Zeit ist grundsätzlich ein faszinierendes Thema. Denn sie ist die einzige physikalische Komponente, die nur in eine Richtung läuft und unumstößlich alles das, was war, verneint. Einen Gegenpol zu dieser Verneinung bildet die Erinnerung. Das finde ich spannend. Zusätzlich passt es momentan einfach megagut. Das Szenario einer stillstehenden Welt wollte ich schon immer mal aufarbeiten. Entsprechend schnell standen die Lyrics. Ich arbeite mittlerweile mit einem gut funktionierenden Lyrics-Team zusammen, mit Hendrik und Anne aus Dänemark, Ryan aus Vancouver und Johanna aus Berlin. Früher saß ich an Texten allein manchmal mehrere Monate. Diese Zeiten sind jetzt glücklicherweise passé.

Im August erscheint ein Live-Album inklusive Video von deinem Konzert in München.

Am Live-Album arbeiten wir schon sehr lange. Aufgenommen wurde es im Februar 2019. Man kann das Release als Abschluss der sehr langen Disconnected-Phase von Blomqvist sehen, die bereits vor vier Jahren, also 2017, mit der Konzeption des Albums in Island begann. Dementsprechend freuen wir uns auf das Live-Album. Die Disconnected-Tour ist die erste Tour, die wir zusammen mit einem Licht- und Visuals-Team erarbeitet haben. Die Konzerte waren fast alle ausverkauft. Das lief super. Ich habe sehr schöne Erinnerungen daran. Auch wenn die Organisation der visuellen Seite am Anfang sehr hart war. Der Gig in München war in dieser Hinsicht der erste, bei dem alles reibungslos geklappt hat. Zum Glück haben unsere neuen Freunde von Ideal Ent. aus München genau diesen Gig gefilmt, mit 15 Kameras. Dabei herausgekommen ist eine tolle Video-Version, die das Live-Album begleitet. Die Qualität ist wirklich atemberaubend. Ich freue mich sehr darüber, dass mein alter Freund Shan Blume, den ich schon seit 20 Jahren kenne, an dieser Stelle entscheidend mitgewirkt hat. Das visuelle Konzept kommt von ihm und er hat auch den Video-Dreh mitgesteuert.

Inwieweit ist es für dich anders, wenn du weißt, dass die Show für ein großes Release aufgezeichnet wird?

Wir haben bei dem Video-Dreh in der ausverkauften großen Muffathalle vor ca. 1000 Leuten gespielt. An einem Mittwoch übrigens. Bei so einem Setting vergisst man auf der Bühne recht schnell, dass das Ganze gefilmt wird. Ich zumindest habe das vergessen. Das gilt auch für Livestreams. Wenn ich erst mal angefangen habe, bin ich hoch konzentriert und finde recht schnell, innerhalb von Sekunden, in meine Rolle. Was anderes ist das ja nicht auf der Bühne: Man spielt seine Rolle. Die ist bei mir relativ authentisch, aber ich bin dennoch nicht der Mensch, der ich hinter der Bühne bin. Das Ausblenden von dem ganzen Drumherum passiert dann automatisch.

Eine Kollaboration mit Booka Shade stehe ebenfalls auf der Agenda, heißt es in der Gerüchteküche.

Leise andeuten darf ich schon etwas, denke ich. Ich bin sehr happy mit dem Track, den wir gemacht haben. Immerhin sind die Jungs so was wie meine Teenie-Idole. Als ich angefangen habe mit elektronischer Musik, hatten die beiden schon ihre ersten zwei Alben draußen und es war eigentlich mein Traum, mal mit ihnen zu arbeiten. Jetzt ist der Traum wahr geworden. Herausgekommen ist – Überraschung! – eine typische Booka-Shade-Nummer, vermischt mit Blomqvist-Vibes. Dazu gibt es einen 80ies-Mix, den ich gerade auch sehr passend finde. Mehr will ich nicht verraten. Secrete Title: „Blaze“.

Stimmt es, dass du bereits an einem neuen Album arbeitest?

Ja, das stimmt tatsächlich. Wir sind jetzt mit Track 34 fertig und überlegen, welche zehn Tracks es auf das Album schaffen. Wenn ich wir sage, dann meine ich Felix und mich. Ich bin auch damit sehr happy. Das neue Album ist poppiger, aber gleichzeitig auch härter als seine Vorgänger, also radio- und clubtauglicher gleichzeitig. Hoffentlich zumindest. Außerdem ist es klarer, weniger verfrickelt und mehr auf den Punkt. Das finden viele bestimmt schade. Aber es funktioniert und bewegt sich trotz allem noch im typischen Blomqvist-Stil. Ich bin sehr happy mit den Melodien. Für mich ist mit am wichtigsten, dass sich die Sachen live gut performen lassen. Fünf oder sechs Tracks hab ich schon mal auf der Bühne ausprobiert und gemerkt, dass sie sehr gut funktionieren. Für mich, aber auch bezüglich der Reaktionen aus dem Publikum.

Du bist vom Zentrum Berlins raus aufs Land gezogen und hast dir dort einen kreativen Platz geschaffen. Erzähl uns mehr über diesen Ort.

Ich bin nicht komplett rausgezogen. Ich brauchte nur ein Kreativstudio auf dem Land. Das habe ich in Kalifornien gemerkt. Da hat ein Freund von mir, der liebe Rocco, in der Wüste ein Studio aufgebaut. In Kalifornien im Studio ist mir aufgefallen, dass ich, wenn ich das Studio verlasse und mitten in der Natur stehe, meine Sinne wieder resetten kann und offen bin für neue Inspiration. Ich dachte eigentlich immer, dass Berlin meine Inspirationsquelle sei, aber mittlerweile weiß ich, dass ich beides brauche, die Stadt und die Natur. Worauf ich sehr stehe, sind die von Tages- und Jahreszeit abhängigen Veränderungen draußen in meinem Refugium: Morgenstimmung, Abendstille, Sonnenuntergang. Das Studio ist jetzt so gut wie fertig. Gerade baue ich da noch eine Küche ein. Aber ich kann schon drin wohnen und arbeiten. Um mich herum sind dann hohe Bäume und ein Fluss. Ich fühle mich sehr wohl mit der Ruhe dort. Ich brauche das einfach. Am Ende weiß ich aber nicht, ob das schon das Alter ist oder ob mein Job diesen Kontrast einfach fordert. Nicht zu vergessen ist, dass es meinem Sohn da draußen auch sehr gut gefällt.

Welche Vor- und Nachteile siehst du aktuell darin, im Berliner Zentrum zu leben?

Ich lebe immer noch sehr gern in Berlin, weil die Stadt chaotisch ist – zumindest für mitteleuropäische Standards – und trotzdem eine gewisse Infrastruktur bietet. Berlin ist auch sehr frei. Da gibt’s natürlich noch Raum nach oben. Aber wenn ich Berlin mit den Erfahrungen auf meinen Reisen vergleiche, dann muss ich die Stadt sehr weit oben einordnen auf meiner gefühlten Freiheitsskala. „Open-minded“ ist vielleicht ein gutes Stichwort. Am Ende interessiert es niemanden, wenn ich nackt im Supermarkt einkaufen gehe. In München ist das garantiert anders. Es gibt nicht so viele Nachteile in Berlin. Auch die Wohnungen sind immer noch vergleichsweise günstig, Luft- und Wasser-Qualität sind top, das Essen ist super, ich mag die Kunst- und Kulturszene. Natur fehlt halt. Aber das haben Städte ja so an sich, und das als Nachteil zu werten, wäre unfair.

Würdest du sagen, die Krise rund um COVID-19 hat dich als Menschen und auch beispielsweise dein neues Album sehr beeinflusst?

Nee, eigentlich nicht. Ich hatte vier Monate lang Zeit für andere Dinge, weil ich nicht gereist bin. Das war gut. Das war sogar nötig. Aber das wird demnächst wieder losgehen. Irgendwie muss ich ja mein Geld verdienen. Das Reisen lässt sich nicht vermeiden bei meinem Job. Ich habe viel darüber nachgedacht, wie das läuft mit der Berichterstattung in den Medien. Da war ich im Fall von COVID-19 gar nicht so unzufrieden mit Deutschland. Verschwörungstheorien gab es zwar vorher auch schon, nur wurde eben nicht so viel darüber gesprochen. Aber sonst gab es für mich selbst keine große Beeinflussung durch das Virus. Ich denke, das ist normal, da man als Künstler ja eh mehr oder weniger in seiner eigenen Welt lebt und arbeitet. Isolation und Einsamkeit war für viele Leute wohl neu, aber ich kannte das ja schon mehr als gut von meinem verrückten Tour-Kalender.

Die Festival-Saison inklusive großer Shows auf Ibiza ist so gut wie abgehakt, dennoch scheint es allmählich wieder loszugehen. Wie siehst du das, wie wird sich die Situation deiner Meinung nach in nächster Zeit entwickeln?

Wir hoffen natürlich alle, dass es wieder losgeht. Aber es muss natürlich vernünftig ablaufen. Es macht wenig Sinn, mit Maske auf dem Dancefloor oder auf der Bühne zu stehen. Aber irgendwie müssen wir ja weitermachen. Bei mir ist es noch nicht ganz so akut wie bei anderen. Aber auch ich kann nicht ewig von meinem Ersparten leben. Die Frage ist, ob die Wiedereröffnung von Schulen und sogar Fußballstadien auch auf die Kulturwelt übergreift. Aber es gibt da durchaus Fragen, die ich habe. Wie soll internationaler Flugverkehr funktionieren, wenn im Hintergrund ein tödliches Virus brodelt und der Impfstoff noch nicht klinisch getestet ist? Am Ende komme ich nicht umhin, zu denken, dass das alles ein ausgefeilter Plan von Mutter Natur ist, um uns zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann bzw. es auch anders geht. Wenn es denn muss. Am Ende ist es gerade ein Fahren auf Sicht. Schauen wir, was der Sommer und der Herbst bringen. Planen kann ich gerade nur bedingt. Ich kann nur hoffen, dass sich alles wieder einrenkt, ohne dass der Lerneffekt total verpufft.

Wahre Worte. Stimmt es, dass es bei dir einen Lerneffekt im Bereich Schwimmen gegeben hat und du das Reiten aufgegeben hast?

Nee, das hast du falsch verstanden. Ich schwimme jetzt zusätzlich zum Reiten. Ich hatte einfach nicht mehr die Zeit, mich um meine 21 reinrassigen Lipizzaner-Haflinger zu kümmern. Da habe ich schweren Herzens zehn verkauft und mir von dem Geld einen Pool gegönnt. 50-Meter-Bahnen, versteht sich. Und da dachte ich, wenn ich schon einen Pool habe, dann schwimme ich halt. Soll ja auch die Gelenke schonen. Dazu noch kegeln und golfen und Bus fahren. Was man eben auf dem Land so macht. Haha, hoffentlich glaubt das keiner wirklich. (lacht)

 

 

Aus dem FAZEmag 101/07.2020
Text: Triple P
Foto: Christian Dammann
www.facebook.com/blomqvist.music