Johannes Motschmann – KI zwischen Bach, Trent Reznor und Chris Liebing

Künstliche Intelligenz ist populär und hat längst auch das Interesse der Musikindustrie geweckt. PNAU erschaffen ein Musikvideo per KI, andere Apps rekreieren optische Darstellungen alter Festivals oder der 90er-Rave-Ära und Fred again.. lässt Fans zu einem seiner Songs werden. Johannes Motschmann ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch jenseits des popkulturellen Mainstreams ein Auge darauf geworfen wird.

Der renommierte Komponist und Forscher hat mithilfe seiner selbst entworfenen Software AION eine als Partitur verfasste Symphonie geschrieben, die vom Ensemble Modern und dem Johannes Motschmann Trio eingespielt und 2021 in der Alten Oper in Frankfurt/Main unter der Leitung von Peter Tilling uraufgeführt wurde. „AION war eine Art Kammersymphonie für großes Ensemble und Live-Elektronik“, so der 44-Jährige. Mit seinem neuen Album „AION 2“ geht er nun einen Schritt weiter: „Ich wollte ein Album machen, das ein bisschen weggeht von diesem experimentellen Ansatz, der das Thema KI sehr ausstellt. Ich wollte einfach Musik haben, die auch in einer Spotify-Playlist funktioniert oder Ideen für Remix-Versionen gibt.“

Kurz erklärt: Auf „AION 2“ sind nun erstmals Kompositionen zu hören, die mithilfe der Software AION entstanden sind. Passagen der ursprünglichen Aufnahme wurden verwendet, neu arrangiert, aber immer mit dem Blick darauf, dass die ursprüngliche kompositorische Idee unangetastet blieb: „Es ist also ein Hybrid aus symphonischen, akustischen Klangwelten und elektronischen Sounds, die aus dem Material hervorgegangen sind. Ich habe mit den Kompositionen, die durch die KI entstanden sind, etwas Neues komponiert.“ Stilistisch erinnern einige Stücke dabei an futuristische Filmkompositionen von Atticus Ross und Trent Reznor. Laut Motschmann kein Wunder: „Ich war schon mit 15 Jahren großer Fan von Trent Reznor, hab Nine Inch Nails auch oft live gesehen. ,Downward Spiral‘ ist eins meiner Lieblingsalben“. Bei musikalischen Einflüssen versuche er oft, in anderen Genres zu reagieren. „Bach inspiriert mich dann für elektronische Musik und ich versuche umgekehrt, elektronische Musik wieder auf akustische Instrumente zurückzuübertragen, zuletzt bei Chris Lieblings Remix von ‚Lifestream‘, das ich dann wieder mit meinem Trio aufführen kann.“

Er interessiere sich grundsätzlich für alle neuen Methoden, um Musik zu erfinden und auf der Bühne zu realisieren. Dass Künstliche Intelligenz dabei neben all den Neugierigen auch Zweifler*innen und Kritiker*innen hat, sieht der gebürtige Hamburger zwiegespalten. „Bei neuen Technologien und Stilen braucht es in der Musik oft etwas länger, bis sie wirklich verinnerlicht und beherrscht werden. […] Musik hat immer mit dem Kombinieren von alten und neuen Methoden zu tun: je nachdem, ob du elektronische Musik machst, für Orchester schreibst, oder mit einer Band auftrittst. Es reicht nicht, einfach einen Haufen Noten aufs Papier zu werfen, wenn daraus ein spannendes Klavierstück werden soll. Die Techniken des Musizierens am Klavier sollte man unbedingt einbeziehen, damit etwas daraus werden kann, was auch wirklich für Pianisten praktikabel ist. Wie sind die Abstände der Töne? Lässt sich alles greifen? Was spielt die linke Hand und was die rechte, etc.“

Beim Klavier schließt sich dann der Kreis. Zurzeit arbeitet Motschmann an einem Klavieralbum und auch hier spielt die Software AION eine Rolle: „Es ist ein Dialog zwischen Passagen, die ich improvisiere, sowie auskomponierten Teilen. Manches komponiere ich, manches lasse ich mithilfe der Software wachsen, um mich selbst zu überraschen – und um darauf dann wieder zu reagieren.“ Im noch jungen Jahr können sich Interessierte dann selbst ein Bild von Motschmanns jüngsten Werken machen. Die Premiere des neuen Programms findet am 2. März in der Elbphilharmonie Hamburg statt.

Aus dem FAZEmag 131/01.2023
Text: scharsigo
www.instagram.com/johannesmotschmann/