Joyce Muniz – Musikalische Zeitreise

Foto: Markus Morianz

Geboren wurde sie in São Paulo als Kind einer Familie, die tief im Schamanismus und dem Samba verwurzelt war. In den 90er-Jahren zog sie Nach Wien, wo sie sich als Sängerin und DJ einen Namen machte. Inzwischen pendelt Joyce Muniz zwischen der österreichischen und der deutschen Hauptstadt. In den letzten Jahren veröffentlichte sie ihre Musik auf Labels wie Get Physical, Permanent Vacation, Pets, International DJ Gigolo und Exploited, hat mit einer Riege absoluter Ausnahmeproduzent*innen wie Maya Jane Coles und DJ Hell gearbeitet und mehrere Residencies etabliert. Ihr internationales Renommee wächst kontinuierlich. Nach ihrem 2016 erschienenen Debütalbum „Made In Vienna“ veröffentlicht die Brasilianerin nun ihr zweites Album mit dem Titel „Zeitkapsel“. Das Werk ist am 31. März auf ihrem eigenen Label joycemunizmusic erschienen. Darin verarbeitet Muniz sämtliche Einflüsse sowie Relikte ihrer musikalischen Vergangenheit, deren roter Faden dabei stets die elektronische Musik war. Das Album changiert dabei zwischen Electro-House, Funk, Drum ’n‘ Bass, Trip-Hop, EBM, 80er-Synth und Hip-Hop. Was nach einem wilden Mix klingt, verwandelt sich durch ihren charakteristischen Sound in ein Werk aus einem Guss. Auf den zwölf Titeln hat sie mitunter mit Artists kollaboriert wie etwa House-Legende Roland Clark, der US-amerikanischen multidisziplinären Künstlerin Leciel, dem ehemaligen Frontmann von Azari & III, Fritz Helder, dem French-Touch-Helden  und Bruder von Guy-Manuel de Homem-Christo von Daft Punk, Play Paul, dem Queer-Aktivisten Karl Michael und dem britischen Rapper Le3 bLACK. Klingt nach einem beeindruckenden Album? Ist es auch.

Joyce, wie geht es dir? Du hast in den vergangenen Wochen und Monaten unglaublich viel Musik veröffentlicht.

Das stimmt, ich war während der Pandemie extrem produktiv. Nach zwei Jahren Lockdowns war ich zwar auch sehr geschafft von der ganzen Thematik, aber in der Zeit davor war ich tatsächlich kreativer denn je. Es gab endlich die Möglichkeit, Musik nicht nur wie sonst üblich „fertig zu machen“, sondern auch mal zu erforschen. Darüber hinaus habe ich viel meditiert. Ich habe sehr viel gelernt, darunter über mich als Person. Nach meiner Krebsdiagnose vor fünf Jahren, wo ich meine Gebärmutter verloren habe, begann meine spirituelle Reise. Diese konnte ich in dieser Zeit sehr intensivieren. Als die Pandemie losging, bin ich recht schnell von Berlin nach Wien zurückgekehrt, wo ich mein Studio und auch meine Familie habe. Und dieser Schritt war absolut der richtige. Auch meine Geschwister sind zu meiner Familie gekommen und gemeinsam haben wir die Zeit supergut genutzt. Mein jüngster Bruder kommt z.B. aus dem IT-Bereich, und so haben wir nur wenige Tage nach dem ersten Lockdown im Wintergarten bereits die ersten Streams umgesetzt. Ich habe schon immer den Wunsch und den Traum in mir getragen, irgendwann ein Album zu produzieren, auf dem ich sämtliche musikalischen Einflüsse integriere und verarbeite, nicht nur mit Musik, die ich selbst auflege, sondern die ich als Musikliebhaberin schätze.

Wie hat sich dieser Gedanke manifestiert und entwickelt?

Naja, zunächst kamen Gedanken auf wie „Ok, ich liebe Hip-Hop, aber ich habe noch nie Hip-Hop gemacht. Ich liebe auch Drum ’n‘ Bass, aber bin ich versiert genug dafür?“ Das Ergebnis ist ein wilder Mix aus zahlreichen Genres, der aber dennoch meine Handschrift trägt und zu jeder Sekunde nach Joyce klingt. Jeder Track, der auf dem Album zu hören ist, wurde in einem Sketch fertig gemacht. Im Laufe der Produktion sind mir immer wieder Namen von Produzent*innen oder auch Sänger*innen in den Sinn gekommen, die großartig auf die jeweiligen Projekte passen würden. So z.B. die legendäre Stimme von Roland Clark. Mit ihm wollte ich schon immer mal arbeiten und ich bin wahnsinnig glücklich, dass es geklappt hat. Auch jüngere Acts wie Leciel haben auf den Punkt abgeliefert. Der Anspruch war, etwas Künstlerisches zu erschaffen, und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Wenn ich zusammenzähle, sind mittlerweile rund 40 Leute aus der ganzen Welt an dem Projekt beteiligt, total irre, und es fühlt sich sehr gut an.

Wie ging es dann los?

Als DJ habe ich ja damals tatsächlich mit Drum ’n‘ Bass angefangen. Um das Jahr 2018 herum habe ich ein paar Tracks in diesem Genre fertig gemacht. Als die Idee zum Album entstand, habe ich meine Festplatte nach Demos durchsucht und einen Ordner gefunden, in dem „Bangalore Girl“ lag. Der Track hat mich so gecatcht, dass mir sofort klar war, dass dies die Initialzündung des Albums ist. Ich glaube, das, was am Ende die Songs verbindet und trotz der vielen verschiedenen Einflüsse einen roten Faden zwischen ihnen herstellt, ist die Art und Weise, wie ich produziere. Die verschiedenen Elemente, meine Basslines, meine Drums und meine Handschrift sind wohl essenziell dafür, dass es am Ende dennoch nach mir klingt und ein gewisser „Signature Sound“ vorhanden ist.

Hat sich deine Studioarbeit dabei entwickelt?

Ich habe das Gefühl, dass ich mich jetzt wesentlich mehr im Studio traue. Auch wenn es Absicht war, solche wilden Ausflüge in verschiedene Genres zu unternehmen, habe ich dafür dennoch meine Komfortzone verlassen müssen. Dies hat dazu geführt, dass ich mich in vielen Bereichen sicherer fühle. Generell mache ich das Album ja komplett in Eigenregie – auch in Sachen Veröffentlichung, da es auf meinem eigenen Label erscheint. Sobald die Projekte mit dem Orchester umgesetzt sind, werde ich sofort wieder ins Studio gehen.

Wie kam die Entscheidung für den deutschen Titel sowie dafür, das Album auf deinem eigenen Label zu bringen?

Es gab einige Labels, die Interesse am Album gezeigt haben. Mein absolutes Traum-Label fand die Tracks super, hatte aber leider nicht die Kapazität, das Release in absehbarer Zeit umzusetzen, vor allem nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Dennoch war das Feedback absolut positiv und motivierend, da sie mir tatsächlich dazu geraten hatten, es selbst herauszubringen, und mich darin bestärkten. So entstand die Idee zu joycemunizmusic. Es war mir wichtig, nicht ein völlig neues Brand mit Eigenmarke zu kreieren und in Sachen Social Media bei null anzufangen. Ich bin total stolz auf jeden einzelnen Baustein in diesem Mega-Projekt. Alle verschiedenen Elemente haben irgendwie einen Zusammenhang und eine schöne Geschichte. Vom Grafik-Designer bis hin zum Mixing und Mastering sind es alles Leute, die ich toll finde und die schon länger in meinem Umfeld kursieren. Der Titel war schon früh eine Entscheidung von mir. Auch wenn Deutsch nicht meine Muttersprache ist, bin ich in Österreich erstmals mit elektronischer Musik in Verbindung gekommen. Ich finde, es gibt viel zu wenige deutsche Titel. Lokale Künstler*innen verstecken sich oftmals hinter englischen Begriffen. Dabei wird Deutschland ja überall auf der Welt als das Mutterland der elektronischen Musik angesehen. Ich finde die Sprache sehr deutlich, klar und auch stark.
Meiner Meinung nach ist gute Musik immer zeitlos, egal, um welches Genre es geht. Da auf dem Album meine persönliche musikalische Reise thematisiert wird, fand ich „Zeitkapsel“ extrem treffend. Auf dem Cover sieht man auch eine Tür, die quasi als Eingang zu meinem inneren Ich dient, eine Einladung, um meine musikalische Identität zu erforschen.

Du bist in São Paulo geboren und pendelst nun zwischen Wien und Berlin. Wie hat sich deiner Meinung nach Berlin auf deinen Sound ausgewirkt?

Ich empfinde Berlin generell als „dark & sexy“. Diese Elemente spiegeln sich definitiv in meinem aktuellen Sound, wie ich finde. Dennoch hat sich auch Berlin in den letzten Jahren extrem gewandelt. Zwar ist Techno aktuell omnipräsent, aber es herrscht eine Menge Groove in der Stadt. Ich persönlich könnte jetzt nicht aus der Hüfte heraus sagen, was der aktuelle „Berlin-Sound“ ist. Dass die Stadt mich aber geprägt hat, ist natürlich nicht von der Hand zu weisen. Hätte ich durchweg in Wien gelebt und diesen Schritt nicht gewagt, würde das Album heute wahrscheinlich anders klingen. Berlin hat mir extrem viele Türen geöffnet.

Du arbeitest aktuell auch an zwei weiteren spannenden Projekten.

Das stimmt, ja. Ich habe letztes Jahr auf Ibiza gespielt und am nächsten Tag den großartigen KiNK bei seinem Gig besucht. Dass dieser Typ eine absolute Koryphäe in seinem Metier ist, ist ja bekannt. Dennoch hat es mich so nachhaltig beeindruckt, dass in mir irgendwas gesagt hat, dass ich dringend an meinem Live-Set arbeiten muss. Er hat mich wahnsinnig inspiriert. Kurze Zeit später kam die Anfrage, jeweils ein Projekt mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg und der Norddeutschen Philharmonie Rostock zu realisieren. Dabei geht es um die Fusion zwischen Elektronik und Klassik mit dem Titel „Synth Happens“. Gemeinsam mit Andreas Henneberg und Alec Troniq wird es eine Art b2b mit den Orchestern geben, und dabei werde ich Tracks wie „Crystalline“, „Mindcraft“, „Machine Talk“ und viele andere wiedergeben. Ich bin superaufgeregt und freue mich wahnsinnig darauf.

Was sind deine Pläne für das restliche Jahr 2023?

Mein Tour-Kalender ist recht voll und die nächsten Wochen werde ich sehr viel unterwegs sein. Darauf freue ich mich sehr. Außerdem habe ich eine wahnsinnig gute EP mit Theus Mago auf Exploited, die in einigen Wochen erscheinen wird, inklusive Remixen von Damon Jee und Marvin & Guy. Da geht es wieder zurück in den Club. Auf Pets Recordings von Catz ‘N Dogz ist ebenfalls ein Release in der Pipeline. Die Arbeiten mit dem Orchester sind hochspannend und zeitlich sehr intensiv. Danach möchte ich eine Art Bestandsaufnahme im Studio machen – wo stehe ich nach all den Erfahrungen? Das wird wahrscheinlich ein sehr interessanter Moment sein. Ich habe auch das Gefühl, dass ich in vielen Bereichen lockerer geworden bin. Ein neues Studio ist ebenfalls in der Mache, und wer weiß, wie das nächste Album klingen wird (lacht)?

 

Aus dem FAZEmag 134/04.2023
Text: Lisa Bonn
Foto: Markus Morianz
www.instagram.com/joycemunizmusic