Jürgen Laarmann war in den 90er Jahren Herausgeber des Frontpage Magazins, der ersten deutschen Technozeitschrift und einem Vorläufer des FAZE Magazins. Er war außerdem Mitveranstalter der Loveparade und Gründer der Mayday (beides 91-97). Später arbeitete er als Journalist und Kolumnist. Nun hat er ein neues Projekt: den Podcast „1000 Tage Techno – now it can be told“ …
Warum kommt der Podcast „1000 Tage Techno“ genau jetzt? Hat es was damit zu tun, dass die Neunziger gerade wieder sehr modern werden? In Berlin gibt es ja seit neuestem die Multimedia-Ausstellung „Nineties Berlin“?
2019 feiern wir 30 Jahre Love Parade, 30 Jahre Frontpage und je nach Zeitrechnungsart 30 Jahre Techno-House-Revolution. Tatsächlich war die Zeit nach der Wende eine Epoche, die aus heutiger Sicht sehr begehrenswert erscheint, gerade für jüngere Leute. Der Weltfrieden schien möglich. Die Stimmung war euphorisch, die Freiheit grenzenlos. Techno-House hat für einen Energieschub gesorgt, der das Leben vieler Menschen und auch die Gesellschaft verändert hat. Das ist alles interessant es genauer zu untersuchen. In diesem Zusammenhang bin ich natürlich ein Ansprechpartner, weil ich doch an einigen Schlüsselstellen mit Frontpage, Loveparade, Mayday und allen Seitenaktivitäten beteiligt war. Ich habe einen anderen Zugang zu der Geschichte als diejenigen, die sie neu entdecken. Insofern habe ich mich gefreut, dass Frontpage und Love Parade bei der „Nineties“-Berlin Ausstellung gewürdigt werden.
Wann verortest du diese 1000 stilprägenden Tage? Was geschah da?
1000 Tage Techno war ein erstmal ein Schlagwort – 1000 Jahre Techno wollte ich das Ding nun nicht nennen. Wenn man zählt sind ja seit 89 bereits ungefähr 10000 Tage vergangen. Und dann ist mir klargeworden, dass es für jeden, der von der Technoidee infiziert ist, immer die ersten 1000 Tage sind, die die interessantesten und prägenden sind. Jeder hat also seine eigenen 1000 Tage Techno. Für mich war das tatsächlich Mitte 89 von der Gründung Frontpage bis nach dem German Summer of Love 1991 und der ersten Mayday im Dezember 91.
Du triffst Menschen, die so wie du, Teil der letzten großen Jugend und Musikkultur unserer Zeit – Techno – waren. Wie fühlt sich das an, all diese Protagnoisten heute zu treffen – 30 Jahre später?
Zunächst mal freue ich mich über jedes Treffen. Einige, die ich gerne getroffen hätte, sind ja bereits verstorben. Der große DJ Mark Spoon, der legendäre Ralf Regitz (Planet/E-Werk/Loveparade), zuletzt Wilhelm Röttger, mein ehemaliger Geschäftspartner bzw. Gegner bei Mayday und Loveparade.
Die bisherigen Gespräche waren wirklich aufschlussreich und unterhaltsam. Ich spreche ja nicht nur über die 90er und die Vergangenheit. Dr. Motte z. B. habe ich in der Premierensendung mit den Veranstaltern des Zugs der Liebe (25.8. – eine neue Technoparade) zusammengebracht , wo sie über Liebeparaden heute, gestern und morgen reden. Gäste wie Inga Humpe, Westbam, Dieter Meier von Yello waren auch schon da.
Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten getan. Wie haben die Protagonisten von einst sich verändert.
Alle sind schlauer, zumindest erfahrener geworden. Wirklich beeindruckend fand ich mein Treffen mit Wolle „XDP“ Neugebauer. Dieser Mann hat tatsächlich ein fotografisches Gedächtnis. Er konnte sich tatsächlich genau an unser letztes persönliches Treffen vor 28 Jahren und viele andere Details erinnern. Damals hatten wir Streit und seither die letzten 3 Jahrzehnte nur übereinander gesprochen und abgekotzt, die Technoliteratur ist voll davon. Beim Treffen stellte sich heraus, dass der Ursprung dieses Streit tatsächlich auf einem Ost-West Mißverständnis beruhte und den Gang der Techno-Geschichte in Deutschland so maßgeblich und nachhaltig verändert hat, das es kaum zu fassen ist. Für jeden, der an der ganzen Wahrheit interessiert ist, wird diese Folge 1000 Tage wirklich spannend. Auch verblüffend war mein Treffen mit Mark Reeder, der mir Dinge über mich und meine Rolle in deutschen Trance-Szene erzählt hat, die ich selber gar nicht so eingeordnet hätte.
Ist der Ton und die Art und Weise der Gespräche damals anders als früher?
Ja klar. Es gibt ja in diesem Kontext kein Gegeneinander mehr, sondern ein gemeinschaftliches Untersuchen der Geschichte, was nicht bedeutet, dass man sich da immer einig ist.
Frontpage war ein Szenemagazin. Gibt es die Szene von früher – von Veranstaltern, DJs etc. abgesehen – eigentlich noch?
Ich glaube, dass es ganz viele unterschiedliche Szenen gibt, aber hey ich bin 50 . Die Szene, in der ich 91 war trifft sich bei Wolles Tekknozid Party und hört die Musik von damals, die Planet/E-Werk Szene trifft sich einmal im Jahr beim Geburtstag des Cafe Schönbrunn, dass die ehemalige E-Werk Chefin Hilke „Hille“ Saul betreibt. Für mich ist das die Party des Jahres, auch weil man sieht, wie gut sich alle Anwesenden gehalten haben….
Im Nachhinein: Wie bedeutend war deiner Meinung nach die Technobewegung?
Die gesellschaftliche Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. Die Love Parade hat das Gesicht von Deutschland in den 90ern geprägt und war Vorläufer eines neuen Deutschland-Bildes, das z.B.,auch zu einem Imagewandel in der Wahrnehmung des Landes bei der Sommermärchen-WM führte.
Die politische Bedeutung war indes gering. Die Werte der Love Parade oder aus dem Raving Society Manifest Love, Peace, Unity , Abwesenheit von Rassismus und Sexismus haben heute einen schweren Stand, umso wichtiger sind sie. Das ist ja momentan Gegenstand unterschiedlicher Untersuchen und auch Thema von 1000 Tage Techno.
Wo steht heute jetzt? An welcher Stelle der Technogeschichte veortest du die Gegenwart.
In der Geschichte weiß man in den seltensten Momenten, wo man genau steht. Das wird die Geschichtsschreibung später einzuordnen wissen. Neue Trends: das ist tatsächlich nicht mehr mein Zuständigkeitsbereich, ich kriege das mit, was man als interessierter Universalist so mitkriegt – es gibt viel gute neue Musik, aber keinen großen Trend, der diesen Namen verdient hätte. Ansonsten mal eine These. Techno heute verhält sich wie Italien zum Römischen Reich.
Gibt es soetwas noch wie die große Euphorie der 90er Jahre ? Hat Techno die Welt verbessert?
Die Welt, wie sie ist nicht überall schöner geworden und schon gar nicht so, wie nicht nur ich mir sie Anfang der 90er erträumt habe. Die persönlichen Freiheitsrechte, die damals grenzenlos schienen, sind inzwischen in Gefahr. Diese Entwicklung hat zumindest meine Euphorie nicht beflügelt. So gesehen hat Techno die Welt nicht genug verbessert, auch wenn die Musik nach wie vor Begleiter von Friedens- und Freiheitsbewegungen ist, zuletzt in Georgien im Umfeld des Clubs Bassiani …
Wird es ein Frontpage-Comeback geben?
Du sprichst mich auf das Fake-Cover an, was wir anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Nineties Berlin“ gemacht haben. Das ist ja eine Multimediashow in Berlin über die 90er, wo Frontpage neben anderen Clubs und Technoinstitutionen auftaucht. Ein für alle Mal: Das war ein Witz. Ich bin doch nicht irre und mache jetzt nochmal ein Printmagazin. FAZE macht doch sehr gute Arbeit. Frontpage war von 89-97 ein bahnbrechendes Magazin, das viele Trends gesetzt hat. Die größte Leistung war sicherlich, dass Frontpage mit seiner mit Power die Loveparade zu einer bundesweit besuchten Veranstaltung gemacht hat. Frontpage hatte mehr Einfluss als viele andere Musikmagazine in ihren Genres. Aber das ist Geschichte. Tatsächlich wird das Heft bis heute von einigen Leuten sehr geliebt und verehrt, auch für Inhalte die es so nirgendwo anders gab. Vom Archiv der Jugendkulturen, wo man die alten Ausgaben lagert, höre ich, dass Frontpage das meistgesuchte und studierte Fanzine überhaupt ist. Insofern wäre die Digitalisierung der alten Ausgaben eine nützliche Sache – das ist allerdings wegen Datenschutz gar nicht so einfach.
Es wird diverse Frontpage-Rückschauen im musealen Kontext, in Bild und Ton geben, wo man sich dem Phänomen Frontpage nochmal nähert und sich mit ihm befasst. Vieles ist da in der Mache und noch nicht spruchreif. Die Idee, jetzt mit einem Comeback als monatliches Printmagazin zu starten, ist absurd, obwohl ich in den letzten Jahren immer mal wieder mit dieser Phantasie konfrontiert wurde. Was wäre das heute: Ein Mag für 50jährige Ex-Raver mit Anzeigen für Treppenlifte? Oder etwas ganz neues für eine neue Generation – das soll dann besser unter einem neuen Label passieren …