Jürgen Laarmann – 150 Hefte

Jürgen Laarmann – 150 Hefte

Ich wollte es nie mehr sein, jetzt bin ich es doch wieder. Der Typ, der für ein Heft als aller bzw. allerallerletzter seinen Text abgibt. Die Druckmaschinen sind schon geölt, alles ist vorbereitet, auf Knopfdruck könnte der Druck losgehen – allein mein Text fehlt, was mir peinlich ist. „Deadline verpennt“ ist die nackte Wahrheit für die Verzögerung, die handelsüblichen Ausreden sind oft weit blumiger, ich kenne sie alle, denn jahrelang war ich derjenige, der die Texte einfordern musste.

Mein Magazin Frontpage war von 1989 bis 1997 die erste deutsche Technozeitung, wir sind seinerzeit auf ca. 75 Ausgaben gekommen, so dass ich wirklich einer 150. Ausgabe großen Respekt zolle, denn ich weiß: Jede einzelne Ausgabe ist immer ein kleiner oder auch größerer Kampf und erst wenn der letzte Text eingetrudelt ist, macht sich eine gewisse Entspannung breit. Bis dahin gibt es die bereits erwähnten Ausreden der Schreiber und Redakteure von Rotkäppchenscheiß „Die Oma ist krank“, Technoproblemen „der Mac sichert nichts“, ehrlichen Bekenntnissen „Ich war einfach zu druff, hier was zu schreiben“ und einer großen Bandbreite von Missgeschicken, Unglücken und Lügenmärchen, denen eins gemein ist: Man will sie als Chef vom Dienst allesamt nicht hören. Wohl dem, der für Totalausfälle Ersatz hat: den ausgemusterten Text des Praktikanten, der auf einmal doch viel wohlwollender betrachtet wird; das Feature über den Künstler, den man eigentlich nicht leiden kann oder nicht bringen wollte, was einem nun überdenkenswert erscheint. Ich selbst habe in den Monaten, in denen ich mein Textmaterial nicht lückenlos an den Start bringen konnte, ganz humorlos und wenig kreativ eine noch nicht inaktuelle Anzeige des Vormonats reingesetzt, nicht ohne dem Anzeigenkunden zu schmeicheln „weil sie so schön ist“.

Dann kann der Druck losgehen. Und auch wenn alle Texte da sind, kann etwas schiefgehen im Produktionsprozess. Vom Grafiker, der den kompletten Satz löscht, bis hin zur Druckmaschine, die ihren Geist aufgibt.

Dem FAZEmag ist es nun immerhin 150 Mal gelungen, ein Heft fertig zu produzieren und ich habe die Geschichte des Magazins von Anfang an mitbegleitet. Als das Heft neu rauskam, freute ich mich, dass etwas Neues am Start war und bekenne es hier: Ich mochte den Namen FAZE von Anfang sehr gerne, der ja an Phaser, die „Star Trek“-Waffe erinnert. Das hatte eine gewisse Freshness im Vergleich zu „Raveline“, die schon länger ziemlich oll war. Auch das Ausscheiden des kleinen Napoleons Cengiz Celik, Herausgeber der Raveline, aus dem Technobiz stimmte mich nicht unbedingt traurig. Gibt’s überhaupt irgendwen, der den Exzentriker vermisst???

Dem FAZEmag hingegen ist es gelungen, das Technogeschehen in einer Art und Weise abzubilden, die bis hierher funktioniert. Im Gegensatz zu anderen Magazinen hat man stets darauf geachtet, was am Markt funktioniert, was nicht der verkehrteste Weg für eine längere Karriere ist. So hat man zwar nicht die größte Menge an „Guter Geschmack Awards“ gesammelt, diese Trophäen werden irgendwann als Grabbeigaben von Magazinen wie der De:Bug ausgebuddelt werden, mal sehen ob irgendwer diese Artefakte versteht.

Und, was mir immer positiv auffiel, sowohl als Leser als auch als gelegentlicher Mitarbeiter: Das FAZE Magazin ist auf Zack. Hier zählt Geschwindigkeit, was gerade im Online-Business eine Tugend ist. Gerne erinnere ich mich daran, dass ich mal einen Text für ein anderes Magazin, über das hier später noch gesprochen werden wird, geschrieben hatte, es ging um den Podcast mit Mark Spoon mit der völlig durchgedrehten Moderatorin Pretty Pink, die sich in gefühlt jedem zweiten Satz selbst promotete. Das war ein viel diskutiertes Thema und zu dieser Zeit ein richtig heißes Thema. Der Text lag nun bei der Konkurrenz schon über eine Woche rum, ich mochte ihn sehr, auch die Leute meines Umfeldes, denen ich meinen Kram schicke mochten ihn, nur der Chefredakteur zögerte und zauderte, mahnte Änderungen an, erbat sich Bedenkzeit, machte völlig sinnlose Änderungsvorschläge, bis ich umdisponierte, FAZE anrief und zehn Minuten später war die Story online, sorgte für Klicks und Likes und ward vielgelesen. Super – eine echte Win-win-Situation.

Einmal allerdings war man vorauseilend ein bisschen zu schnell und bescherte mir, sich selbst und der ganzen Berliner Szene ein paar heitere Stunden, dazu einen der größten Medienstunts in meiner Laufbahn und auch das FAZE Magazin hat vermutlich selten größere Attention auf einen Artikel erhalten. Was war geschehen?

Mir war langweilig und ich hatte ein Gerücht, das ich mal gehört hatte, auf meine private Facebook-Pinnwand gebracht: „Das Berghain schließt, weil die Betreiber keine Lust mehr haben“. Das sorgte zunächst auf meiner Pinnwand für einigen Wirbel, großes Erstaunen, Verwunderung, ungläubiges Nachfragen. Freunde der Betreiber schalteten sich ein und reklamierten, dass das nicht stimme, auch Clubbetreiber, die mit einem möglichen Verkauf des Berghains in Verbindung gebracht wurden, intervenierten und forderten mich nachdrücklich auf, doch mit dergleichen Spekulationen aufzuhören, da das mögliche Verhandlungen torpedieren würde.

Ich verzichtete also darauf, alle möglichen Follow-up-Meldungen zu streuen und hatte das Thema eigentlich schon vergessen, bis kurz darauf das FAZEmag meine Berghain-Meldung als eigene Meldung brachte: Insider berichtet über Berghain-Schließung. Dann konnte man sehen, wie die Medienwelt von heute funktioniert.

Mit dieser Meldung war man in aller Munde: Tagesspiegel, Berliner Zeitung, n-tv, Welt und dann auch noch Medien aus UK und Italien brachten die Meldung. Als dann aber nix nachkam, sah ich mich damit konfrontiert, dass Meldungen kursierten wie „Der Insider, hinter dem sich Jürgen Laarmann verbirgt, rudert zurück“.

Das Thema war für eine Woche hot, dann war es durch. Übrigens aktueller Stand: Das Berghain ist weder geschlossen noch verkauft. Letzteres liegt vor allen Dingen an dem astronomischen Preis. Weder mir noch der FAZE hat diese kleine Fake-News geschadet, auch wenn man so etwas natürlich nicht inflationär einsetzen sollte.

Wenn man etwas darauf lernen will, dann dass es oft angezeigt ist, für etwas Wirbel, Unterhaltung und Diskussionsstoff zu sorgen als für bierernste Unterhaltung.

So kann es das FAZEmag packen, das dienstälteste deutsche Technomagazin zu werden, denn ein steinalter Wettbewerber – das altehrwürdige Groove Magazin – schickt sich an, vom Markt zu verschwinden. Der Piranha Verlag, der über Jahre Nischen-Musikmagazine wie Juice, Spex und viele andere finanziert hatte, um sie nach und nach einzustellen, hat nun auch bei der Groove die Reißleine gezogen und das Magazin aus dem Verlag geschmissen. Für die verbleibende Redaktionscrew, die das Heft runtergerockt hatte, ein Grund zu jubilieren: „Endlich sind wir unabhängig“.

Nun aber soll erstmal gelöhnt werden für Mitgliedschaften in einem Verein für Technojournalismus, damit die Nichtsnutze weiter langweilig sein dürfen und ihr Online-Geschreibsel bei vollem Gehalt weitermachen würden. Immerhin 50.000 Euro will man zusammenkriegen, vor allen Dingen mit der Drohung, nicht mehr weiterzumachen.

Techno ist auch Optimismus, den soll niemand verlieren. Warum alle, die vorher kein Groove-Abo wollten nun bezahlen werden, ist dagegen eine mystische Komponente.

Techno bleibt unberechenbar! Auf die nächsten 150 Ausgaben, liebe FAZE!

Aus dem FAZEmag 150/08.2024
Text: Jürgen Laarmann