Jungle – Positivität galore

Mit ihrem nach der Band benannten Debüt-Album im Jahre 2014 feierten die beiden Jugendfreunde Tom McFarland und Josh Lloyd-Watson ihren Durchbruch – belegt durch eine Nominierung für den Mercury Prize und mit Gold ausgezeichnet. Sie avancierten zu Pionieren des Neo-Souls und untermauerten dies zweifelsfrei mit ihrem zweiten Werk „For Ever“ vier Jahre später. Nun veröffentlicht das notorisch gut gelaunte Duo mit „Loving In Stereo“ ihren dritten Langspieler. Dabei sind Jungle ihrer inneren Stimme gefolgt und haben mitunter gelernt, auf ihre Instinkte zu vertrauen sowie dem Bauchgefühl zu folgen. Das Video zur ersten Single-Auskopplung „Keep Moving“ zeigt – mal wieder – wie wichtig ihnen neben Musik auch Ästhetik und Choreografie ist. Eindrucksvolle Tanzchoreografien kommen von Tänzer*innen aus dem Band-eigenen Dunstkreis, die bereits in Songs wie „Smile“ oder „Happy Man“ zu sehen waren – aufgenommen in nur einem Take. Generell könnte man das Album als eine unbändige Dancefloor-Platte für die Post-Social-Distancing-Zeit sehen.

Die Positivität ist das Erste, was einem auffällt, wenn man in die Platte eintaucht. Wie schwierig war es, dieses Gefühl trotz der Geschehnisse der letzten Wochen und Monate aufrechtzuerhalten?

J: Die Idee für die Platte kam, bevor die Pandemie zuschlug, und wir hatten eine Menge der Skizzen bereits 2019 angefangen bzw. sogar schon umgesetzt. Die Pandemie hat den Prozess irgendwie verlangsamt, allerdings zum Vorteil. Es gab uns Zeit, uns zurückzulehnen und irgendwie auch entspannter zu sein. Zwischenzeitlich dachten wir sogar, die Welt geht unter Umständen unter und Musik wird demnach eh nicht mehr gebraucht. Wir pausierten für eine Zeit, ehe wir Ende 2020 wieder darauf zurückkamen, und wir dachten, dass diese Songs immer noch großartig sind.

T: Wir haben uns einfach hingesetzt und das Puzzle zusammengefügt, viele der Songs wurden besser, die neuen Songs passten dadurch noch besser rein. Aber ja, ich nehme an, dass die Pandemie in gewisser Weise einen seltsamen Kontext kreiert.  Viele dieser Ideen sind sehr persönlich für uns, es geht um Hoffnung und wie man durch etwas Schlimmes hindurchgeht – und um die Hoffnung auf etwas Erhebendes. Und jetzt hat jeder quasi so etwas durchgemacht, das ist schon verrückt.

Euer Projekt hat in den vergangenen Jahren bereits großartige Erfolge erzielt. War eure Ambition beim neuen Album, dieses Level zu halten oder strebt ihr sogar noch Größeres an?

T: Nun ja, wenn man versucht, etwas perfekt zu machen, endet es oft im genauen Gegenteil. Wenn du einfach loslässt und deine Emotionen hineinwirfst, dann hast du die rohesten Sachen – das ist instinktiv, und genau das ist sehr, sehr wichtig. Ich denke, das ist es, worum es auf dieser Platte geht. Es geht um instinktive Ideen und instinktive Gefühle. Du hast Spaß und dann musst du aufpassen, dass du es nicht überarbeitest, es nicht übertreibst, es in seiner rohen Form behältst. Wenn es dich aufregt, bedeutet das, dass es etwas bewirkt. Ich denke, man muss offen mit diesen Dingen umgehen.

Die neuen Songs wirken noch vielfältiger und sogar noch grooviger und rythmischer als die bisherigen. Wie seht ihr das?

J: Ich denke, mit dieser Platte haben wir versucht, zum Ursprung von Jungle zurückzukehren. Und in gewisser Weise ist es eine Rebellion auf das zweite Album, das mit emotionalen Songs sowie Mid-Tempo-Titeln vollgepackt war. Also dachten wir uns, wir entgegnen dem auf „Loving In Stereo“ strikt. Bei Jungle gab es aber auch nie eine großartige Veränderung in Sachen Tempo. Wir haben immer irgendwie das Gefühl, sobald wir etwas schneller werden, enden wir im House bzw. Techno, werden wir langsamer, wird es zu Hip-Hop.

T: Also landeten wir in diesem 100-bis-110-BPM-bereich und viele Leute beschrieben es als Mid-Tempo-Funk, was mich persönlich aber irgendwie störte. Ich wollte nicht den Status von nichts halbem und nichts ganzem. Also haben wir etwas herumexperimentiert, z.B. mit “Fire” bei 124, “Talk About It” mit 126, “All Of The Time be 130 sowie”Truth” auf 135. Wenn man an die erste Platte denkst, war das schnellste bei 120 BPM. Wenn man dieses Tempo hat, bringt es einfach diese Energie in die Musik. Sobald man dann eine ordentliche Portion Funk hinzu gibt, macht es gehörig Spaß (lacht).

Mit Caiola Records habt ihr ein eigenes Label gegründet. Erzählt uns über eure Philosophie.

J: Wir waren mit unserem Schaffen schon immer sehr unabhängig, dennoch hatten wir das Bedürfnis, bei diesem Projekt auch die letzten möglichen Prozentpunkte an Unabhängigkeit herauszuholen. Das hat den Ausschlag für das eigene Label gegeben. Wir wollten nicht, dass uns jemand sagt, was wir tun sollen oder was wir nicht tun können. Letztendlich, je erwachsener du im Leben wirst, desto mehr hörst du auf, dich darum zu kümmern, was die Leute sowieso von dir denken. Also koppelt man sich in einem bestimmten Alter automatisch von fremden Meinungen ab. Das nun ist die erste Platte, die nicht in irgendeiner Weise von irgendjemandem A&R gemacht wurde und für mich ist es die beste, die wir je gemacht haben.

Habt ihr schon eine stilistische Ausrichtung für das Label?

T: Wir werden sehen, die Zeit wird es zeigen. Ich denke, für uns geht es im Moment um unsere Kreativität und darum, großartige Musik zu machen. Ich will eigentlich gar kein Labelmanager sein. Ich will ein Künstler und ein Produzent sein, aber vielleicht ändern sich ja die Gegebenheiten … wir werden sehen.

Jeden Aspekt seines kreativen Outputs kontrollieren zu können, vom Schreiben über die Videos bis hin zum Management – genießt ihr es, diese 360-Grad-Kontrolle zu haben oder denkt ihr, dass es euch auch vom Musikmachen ablenken könnte?

J: Ich persönlich denke, das eine gehört auch zum anderen. Dein Output ist dein Output. Du solltest alles machen, weil es wirklich wichtig ist. Zumindest aber die genaue Vision haben. Es ist sehr leicht, sich in den verschiedenen Bereichen zu verlieren und man muss aufpassen, dass man nicht plötzlich mehr Management betreibt als Musik zu produzieren. Ich habe das ganze Studio-Equipment und den ganzen Schnickschnack und ich liebe die technische Seite davon, aber man muss sich bewusst sein, dass man ohne Kreativität nicht weit kommt.

T: Es interessiert niemanden, welchen Kompressor du benutzt, sie interessieren sich dafür, wie sich die Platte anfühlt und wie sich das Video anfühlt. Es interessiert sie nicht, mit welchem Kodak du es aufgenommen oder wie du es editiert hast. Es ist dieses Rick-Rubin-Ding, der bei Instagram einst sagte: “Es spielt keine Rolle, wie lange es gedauert hat, es können zwei Jahre oder nur zwei Minuten gedauert haben, einen Song zu schreiben. Interessiert es das Publikum wirklich?” Es ist der Output, der zählt, und ich denke, das ist wirklich wichtig und die Kontrolle über diese Aspekte ist für uns wirklich sehr bedeutend. Ich konnte diese Entscheidung einfach nicht anderen Leuten überlassen, denn am Ende des Tages sind wir es. Wir leben und sterben damit. Wenn ich diese Verantwortung an andere Leute abgeben würde, warum wäre ich dann hier? Ich könnte genauso gut gehen und etwas anderes machen. (lacht)

Auch wenn das meiste in Eigenregie abläuft, sind Kollaborationen und Features nun ein massiver Aspekt in der Welt von Jungle geworden.

J: Ja, es ist das erste Mal, dass wir Künstler*innen auf die Platte gebracht haben. Wir haben in den letzten acht Jahren sowieso immer wieder mit vielen Leuten zusammengearbeitet, allerdings nicht auf unseren Alben. Letztendlich geht es für uns darum, was die Musik aussagt. Wenn die Musik gut ist, ist es mir egal, wie sie es macht oder was sie macht. Mich interessiert, wie ich mich dabei fühle und wenn es ein Rap-Song ist, dann ist es ein Rap-Song, wenn es ein psychedelischer, croony Dub-Song ist, dann ist es das. Letztendlich ist das das einzige was die Frage beantwortet, ob die Songs auf unserem Album gut oder schlecht sind, ob wir es mögen.

Wie sehen eure kommenden Wochen und Monate aus? Eine Tour ist ja bereits angekündigt.

T: Ja, es gibt Termine. Wir werden Anfang September ein paar Shows in Brixton spielen. Dann touren wir im Oktober in Amerika und Ende Januar und Februar sind wir wieder in Europa. Wir freuen uns schon sehr darauf und ich denke, jeder braucht diese Art von Befreiung in irgendeiner Weise. Es wird großartig!

Hier könnt ihr “Loving In Stereo” kaufen.

 

Aus dem FAZEmag 114/08.21
Text: Triple P
Credit: Anna Victoria Best
instagram.com/jungle4eva