Kalte Liebe – pure Power

Eine aufstrebende Macht in der Berliner Underground-Szene, die die rohe Energie und den rebellischen Geist von Ikonen wie DAF in die Gegenwart bringt: Seit seiner Gründung im Jahr 2019 hat das Duo Kalte Liebe mit minimalistischem Equipment in einem winzigen 12-Quadratmeter-Raum begonnen und einen einzigartigen Klang entwickelt, der New Wave, EBM und Techno miteinander verschmelzen lässt.
Die 2023er EP „Schall & Schweiß“ war der eindrucksvolle Beweis für ihre Vielseitigkeit, mit Tracks, die sowohl intime Momente als auch pulsierende Clubnächte perfekt einfangen. Mit „Alles Ist Wie Es Ist“ landeten sie auch in diesem Jahr einen Hit. Am 2. August legten sie mit ihrer aktuellen Single „Wegen Dir“ nach, ehe im September „Immer Wenn du Fehlst“ erschien. Ihre energiegeladenen Live-Auftritte haben das Publikum in renommierten Clubs wie dem RSO und auf internationalen Festivals wie ADE und MELT elektrisiert. Kalte Liebe ist mehr als nur Musik – sie schaffen eine Bewegung, die die innere Zerrissenheit einer Generation spiegelt und gleichzeitig eine tiefgehende Verbindung zu ihren Zuhörer*innen aufbaut. Im November startet ihre große „Träume Ohne Wert“-Tour. Im großen Cover-Interview geben Andreas Fischer und Eugen Schumann Einblicke in ihren kreativen Prozess, ihre Anfänge in der Berliner Szene und die Erlebnisse, die ihren einzigartigen Sound geprägt haben.

Ihr habt 2019 in einem kleinen Raum mit minimalem Equipment angefangen. Wie habt ihr diese Zeit erlebt und wie prägt sie heute noch eure Musik?

Andi: Um ehrlich zu sein, war das die wildeste Zeit unseres Lebens, zwischen Vollzeitjob, Partys und Substanzen, ein Doppelleben in der Underground-Musikszene Berlins. Wenn wir nicht arbeiteten, waren wir im Studio oder feiern. Zur Afterhour sind wir wieder nach Hause, haben weiter gefeiert, wieder Musik gemacht und das Erlebte verarbeitet. Aber nach einem Jahr auf zwölf Quadratmetern und weil Eugen aus seiner alten Wohnung raus musste, sind wir 2019 zusammen in eine WG gezogen. Da Eugens Zimmer das größere war, war es auch unser neues Studio, sein Schlafzimmer und Afterhour-Höhle. Kurz gesagt: eine Matratze auf dem Boden, fünf Synthies, zwei Drumcomputer, ein Soundcraft-Mixer und Millionen von Kabeln. Diese intensiven Gefühle von damals, positiv wie negativ, haben uns geprägt und wir versuchen, auch heute noch aus diesem Zeitgeist Inspiration zu schöpfen. Aus dieser Zeit haben wir viel technisches Wissen mitgenommen, damals wurde alles noch sehr nerdig analog eingespielt und aufgenommen. Leider hat das nachgelassen, durch das ewige Touren und die vielen Deadlines mussten wir unseren Workflow anpassen.

Welche Erlebnisse und Einflüsse aus eurer Jugend haben euch am meisten geprägt und zu dem Sound geführt, den ihr heute produziert?

Eugen: Unsere Jugend verbrachten wir getrennt voneinander im Skatepark, umgeben vom Lifestyle zwischen Skatevideos und MTV. Wir waren beide in unserer Jugend irgendwie Außenseiter, zwei Jungs mit Migrationshintergrund in deutschen Kleinstädten, die schon immer auf Grunge und Punk abgefahren sind. Versteht uns nicht falsch, wir hatten keine schlechte Jugend, aber einfach war es auch nicht, innerhalb der Gruppe hatten wir unseren Safe Space, außerhalb wurden wir nicht akzeptiert. So haben wir uns später in der Rave-Szene gut aufgehoben gefühlt, damals war die ganze Technoszene noch etwas abseits des Mainstreams, wenn ihr versteht, was ich meine. Kreativität war schon immer der Antrieb in unserem Leben, eigentlich der einzige Lichtblick, den wir hatten, um aus dem tristen, langweiligen Gefängnis der Kleinstadt auszubrechen. Dort gab es sowieso nichts für uns, außerdem sah das Leben auf MTV eh viel geiler aus, also haben wir uns auf die Suche nach einer neuen Realität gemacht.

Wie hat sich eure Herangehensweise an das Musikmachen seit euren Anfängen verändert?

Andi: Vieles passiert momentan „in the Box“. Wir haben viele unserer Geräte gesampelt, um den Sound der analogen Maschinen auch auf Tour dabei zu haben. Am Anfang haben wir alles von der Skizze bis zum fertigen Master zusammen gemacht. Dadurch dass wir jetzt erwachsen werden mussten und jeder sein eigenes Leben zu führen hat, geht aktuell viel über Arbeitsteilung. Kurzum, die Ideen kommen heutzutage getrennt, doch die hauptsächliche Produktion passiert aber immer noch wie in alten Tagen.

Gab es einen bestimmten Moment oder ein Ereignis, das euch dazu bewegt hat, „Kalte Liebe“ ins Leben zu rufen?

Eugen: Den gab es auf jeden Fall, und er war, in der Retrospektive betrachtet, verfickt magisch. Alles begann im Jahr 2019. Ich verbrachte ein Wochenende im Berghain und kam völlig wasted nach Hause, nur um von meinem ehemaligen Mitbewohner aus der WG geworfen zu werden. Völlig am Ende verließ ich noch in derselben Nacht die Wohnung und machte mich auf den Weg zu meiner damaligen Freundin, nur um noch in derselben Nacht mit ihr Schluss zu machen. Schöne Scheiße (lacht). Völlig lost rief ich Andi an und erzählte ihm alles, Andi meinte original: „Halt die Fresse, komm vorbei, lass buffen.“ Völlig lost packte ich meinen damaligen Lieblingssynth, den Arturia Mini Brute, und eine Roland TR8 ein und stieg in die Bahn. Dort angekommen machten wir das Übliche, buffen und zocken.
Vor dieser Nacht haben wir bei Andi immer nur aufgelegt und Sound gediggt, aber gemeinsam produzieren war damals nie so ein Ding, das hat eher jeder für sich gemacht. Zwei Stunden und etliche Tüten später zeigte ich Andi den Arturia, wir checkten ein paar Sounds und fingen plötzlich an zu jammen. Schnell hatten wir einen Beat gebaut, währenddessen fielen immer wieder Wortfetzen, „kalte Liebe – kalter Schmerz“. Andi erinnerte sich, dass er ein altes Mikrofon von seinem Mitbewohner herumliegen hatte. Wir packten das Mikro und brachten den Schmerz auf MP3. In dieser Nacht schrieben wir „Betäubte Triebe“, der Dateiname lautete damals noch „KALTELIEBE“ – ohne Interpret. Wir schickten das in der Berliner Szene herum und bekamen ungewöhnlich gutes Feedback. „Macht mal mehr“, hieß es. So kam eins zum anderen und wir brauchten einen Namen für unser Projekt – kurzerhand nannten wir uns Kalte Liebe.

Euer Sound vereint Einflüsse aus EBM, Dark Wave und Techno. Wie haben sich diese Genres in eurer musikalischen Entwicklung verankert?

Andi: Das war der Sound, den wir damals am meisten gediggt haben. Natürlich haben wir auf unserer musikalischen Reise nicht nur diesen Sound gehört und aufgelegt, aber es war für lange Zeit die größte gemeinsame Schnittstelle, die wir immer gespürt haben. Wir haben gar nicht darüber nachgedacht, in welche Richtung wir gehen, sondern einfach produziert. Im Grunde war das alles wie eine glückliche Fügung, wir haben jahrelang Punk und Metal gehört, sind dann in der Technoszene gelandet und haben am Ende ein für uns neues Genre kreiert.

Eure neue Single „Immer wenn du fehlst“ ist am 13. September erschienen. Was inspirierte euch zu diesem Song, und welche Geschichte wollt ihr damit erzählen?

Eugen: Wie der Titel schon sagt, geht es um den Verlust eines geliebten Menschen. Der Track ist eigentlich schon vor langer Zeit entstanden, wie auch das Gedicht, das später als Text für den Track verwendet wurde. Letztendlich kann jeder für sich selbst entscheiden, was er mit dem Lied verbindet.

Die neueste Single von Kalte Liebe – „Immer wenn du fehlst“:

Mit der Veröffentlichung der EP „Schall & Schweiß“ zeigt ihr eure Vielseitigkeit. In diesem Jahr war „Alles Ist Wie Es Ist“ euer großer Hit. Was hat euch bei der Produktion dieser Werke inspiriert und wie habt ihr den kreativen Prozess erlebt?

Andi: Was uns inspiriert hat, war dieses Gefühl der Verlorenheit, im schnellen Berlin, in der Nichtigkeit der großen Welt. Was dich einerseits kaputt macht, aber sich gleichzeitig geborgen und schön anfühlt, weil einfach alles an einem vorbeizieht. Sozusagen der freie Fall in der Großstadt zwischen Existenzängsten und Leistungsdruck, in einem sich schnell verändernden Künstlerleben. Zwischen Exzessen und schnellen Liebschaften im Privatleben, Suchtproblemen und Situationen wie etwa, morgens in einer fremden Wohnung von Freunden mit Uppers geweckt zu werden, weil man sonst den Flug verpasst, in den Flieger steigen, zwei bis drei Gigs spielen und akzeptieren, dass das jetzt nun einmal der Alltag ist. All diese Gefühle und Eindrücke haben uns dazu gebracht, diesen Track zu schreiben.

Kleine Geschichte zum Prozess der Produktion: Der Track ist als schnelle Skizze in der Küche entstanden, es war gerade keine Technik da, außer ein Laptop und eine Gitarre. Also dachte sich Eugen: „Lass die Gitarre doch einfach schnell über den Laptop-Mic aufnehmen, um es erst einmal festzuhalten“. Am Ende hatte die Aufnahme so viel Vibe, dass wir sie im Original so in der Produktion verwendet haben.

Das offzielle Video zum diesjährigen Hit „Alles Ist Wie Es Ist“:

In euren Songs findet sich oft eine melancholische und düstere Note. Spiegelt das eine Lebensphilosophie wider, und welche Botschaft möchtet ihr mit eurer Musik vermitteln?

Eugen: Unsere Lebensphilosophie spiegelt das nicht unbedingt wider, wir sind keine düsteren oder traurigen Menschen, wir haben nur ab und zu, wie jeder andere auch, beschissene Situationen und traurige Tage und verarbeiten das in unseren Songs, um mit diesen Gefühlen umzugehen. Das ist definitiv therapeutisch für uns, aber das wird dir wahrscheinlich jeder zweite Musiker erzählen, haha. Aber seien wir ehrlich, wir sind nicht gerade die psychisch stabilsten Atzen, und das beeinflusst auf jeden Fall unsere Musik.

Beim Produzieren gibt es dieses euphorische Gefühl, wenn man es schafft, genau diese intensiven Emotionen, die man gerade erlebt, musikalisch zum Leben zu erwecken. Diese

spezielle Stimmung in den Melodien und Vibes einzufangen, das ist die unendliche Motivation, kreativ zu sein. Hört sich cheesy an, aber ist echt so, als hätte man dieses rohe Gefühl in etwas Greifbares verwandelt, etwas, das man mit anderen teilen kann. Wenn es die Leute auch noch annehmen und mitfühlen – was will man mehr?

Ihr seid bekannt für eure energiegeladenen Live-Auftritte. Was macht einen Kalte-Liebe-Gig für euch so besonders?

Andi: Kommt darauf an, wie gut der Wodka ist (lacht). Nein, Spaß. Tatsächlich ist es oft abhängig davon, wie wir uns als Einzelpersonen an diesem Tag fühlen, aber auch wie die Chemie zwischen uns beiden ist. Die Shows hängen natürlich auch vom Publikum ab, wir können nur so viel Energie geben, wie wir bekommen. Auf jeden Fall versuchen wir, die Setlist individuell an das Event anzupassen, um jede Show so einzigartig wie möglich zu machen. Um auf die Frage zurückzukommen: Das Besondere unserer Auftritte ist die Konzertatmosphäre im Club.

Ihr habt diesen Sommer auf zahlreichen Festivals gespielt. Wie war der Sommer 2024 für euch, und welches Erlebnis bleibt euch besonders in Erinnerung?

Eugen: Boiler Room, Wet Open Air, HAFEN49. Major Deal – drei Tage, vier Länder, vier Konzerte – und drei Wochen abgesagt, weil Andi Struggles mit seinem Ohr hatte. Das bringt den Sommer ganz gut auf den Punkt. Es war eine intensive Zeit, alles ging Schlag auf Schlag, eigentlich hatten wir noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Aber wenn wir eine Erinnerung wählen müssten, dann wäre es fucking Boiler Room.

Im November startet eure „Träume Ohne Wert“-Tour. Worauf freut ihr euch besonders und wie bereitet ihr euch auf diese Headliner-Tour vor?

Andi: Nach diesem Sommer hatten wir noch nicht so viel Zeit, uns darauf vorzubereiten. Wir wollen den Leuten etwas Neues bieten, ein neues Intro, Live-Musik, aber auch unsere traditionelle Hybrid-Live-Show. Es ist im Moment schwer, alles unter einen Hut zu bekommen, jeden Monat eine neue Deadline für einen neuen Track, das exzessive Touren, nebenbei der Instagram Account und all die andere Arbeit, die von Tag zu Tag anfällt. Artworks, Shootings, Visuals für die Tour, Organisation etc. Ab nächsten Monat entspannt sich unser Terminkalender, dann werden wir uns für zwei Monate im Studio verkriechen und versuchen, die bestmögliche Live-Performance zu konzipieren, um die Tour unvergesslich zu machen.

Euer neues Signing bei Hyper Dreams/Universal ist ein großer Schritt. Was bedeutet das für euch und wie beeinflusst es eure zukünftigen Projekte?

Eugen: Es ist natürlich ein großer Schritt für uns und wir merken, dass unsere Musik jetzt ernster genommen wird, aber im Grunde hat sich für uns nicht viel geändert und für die Majors werden wir unseren Sound auch nicht verändern. Aber to be honest, sie wollen das auch gar nicht, wir feiern das Team von UMG sehr. Das sind alles Musiknerds, die unseren Sound checken. Danke an dieser Stelle! Das, was wir uns erhoffen, ist eine größere Hörerschaft, damit wir unsere Vision von Sound auch an den Letzten da draußen spreaden können. Zukünftige Projekte werden auf jeden Fall durch das größere Budget und die zusätzliche Unterstützung leichter fallen, was uns noch mehr Möglichkeiten eröffnet. An dieser Stelle auch ein großes Shoutout an Fabio, Edo, Dennis, Adi und das ganze Team – ihr seid die Besten!

Mit dem Blick auf 2025 – was können wir in Zukunft von euch erwarten? Plant ihr neue Veröffentlichungen oder große Projekte?

Andi: Mit Blick auf 2025 haben wir definitiv einiges vor. Wir wollen auf jeden Fall wieder mehr DJ-Sets spielen, so wie in den alten Tagen. Live-Auftritte planen wir in Zukunft nur noch für besondere Events oder im Rahmen unserer Konzerttouren. Was Releases angeht, wollen wir deutlich diverser werden und mehr unterschiedliche Sounds veröffentlichen – ähnlich wie bei „Dopamin“ oder „Alles Ist Wie Es Ist“. Langfristig wollen wir auch komplett live gehen, vielleicht sogar mit einer Band. Acoustic-Sessions sind ebenfalls in Planung, denn am Ende wollen wir uns einfach der Musik hingeben und alles machen, was Spaß macht und einen guten Vibe hat. Werbeverträge mit großen Marken wie Lidl und Co. sind definitiv nicht unser Ding – wir bleiben real und scheißen auf die Kohle. Es gibt noch ein großes Projekt mit Caiva, das alles ficken wird, und hoffentlich kommt auch unser eigenes Album bald. Da ist einiges in der Pipeline.

Kalte Liebe während einer ihrer Gigs:

Text: Triple P