Kölner DJ gibt kritischen Kommentar zu Technokultur und TikTok-Paradox ab

Kölner DJ gibt kritischen Kommentar zu Technokultur und TikTok-Paradox ab

Die Szene der elektronischen Musikkultur hat sich in großen Teilen in den letzten Jahren stark gewandelt. Eine neue Generation hat den Techno und weitere elektronische Musikstile für sich entdeckt – angetrieben durch die Social-Media-Plattform TikTok. Was einst Freiheit und Individualismus war, ist heute oft durch Uniformität und mediale Darstellung durchsetzt.

Eine Kölner Produzentin und DJ, Lalena, hat über Rave The Planet einen Kommentar veröffentlicht, in dem sie über das eigentlich Kulturelle der Szene im Kontrast zur Selbstvermarktung, Social Media und Egoismus reflektiert.

Bereits im April berichteten wir über ein Statement der Kölner DJ und Produzentin Lalena, die sich seit einigen Jahren fest in der dortigen Techno- und House-Szene integriert hat. Sie veröffentlichte bereits auf Labels wie LIKE Records, Dantze, Katermukke oder auch Lukins.

Damals stellte sich die Musikerin die Frage, ob DJs sich zu sehr auf Schubladen und BPM-Zahlen fokussieren.

Ihr neuester Kommentar konzentriert sich auf die aktuelle Szene zwischen Kultur und Social Media. Wo kann man noch von Kultur und Kunst sprechen, wo fangen Marketing und Techno als Projektionsfläche für medialen Content an? Lalena gibt eine Einordnung, die unter anderem auch kulturwissenschaftliche Perspektiven integriert. Lest hier den Kommentar von Lalena, der über die Website von Rave The Planet veröffentlicht wurde:

 

Im Namen der Kultur: Wo hört Kunst auf – und wo fängt Hedonismus an?

Ein Kommentar von Musikproduzentin und DJ LALENA zur elektronischen Musikkultur zwischen Gemeinschaft, Eitelkeit und Selbstvermarktung

„Für die Kultur„ – eine Aussage, die auf Flyern, Förderanträgen und Paneldiskussionen gleichermaßen gern zitiert wird. Aber was genau meinen wir eigentlich, wenn wir von Kulturarbeit sprechen? Geht es dabei noch um kollektive Ausdrucksformen und gesellschaftliche Relevanz – oder vor allem um persönliche Markenbildung unter dem Deckmantel der Kultur?

Die elektronische Musikszene ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen: künstlerisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Aus Subkultur wurde Szene, aus Szene wurde ein Markt. Und damit sind auch ihre Akteur*innen gewachsen: DJs, Veranstalter.innen, Kollektive und Medienplattformen, die sich nicht nur über Sound definieren, sondern über Haltung. Doch je lauter das Reden über Werte wird, desto mehr stellt sich die Frage: Wird hier wirklich für die Kultur gearbeitet – oder im eigenen Namen?

Ich bewege mich seit Jahren in der elektronischen Musikszene – als Künstlerin, als Teilnehmende, als jemand, der diese Welt liebt. Gerade deshalb beschäftigt mich ein Spannungsfeld, das sich immer klarer herauskristallisiert: Die feine Grenze zwischen kulturellem Anspruch und purem Hedonismus. Denn natürlich feiern wir, weil es gut tut. Weil Eskapismus wichtig ist. Weil Musik Räume schafft, in denen Unerwartetes möglich wird. Nur wenn unter dem Label Kultur immer öfter nur noch Lifestyle und Selbstvermarktung stehen – stellt sich die Frage: Worum geht es hier eigentlich noch?

Ich schreibe diesen Artikel nicht als außenstehende Kritikerin, sondern als Teil des Ganzen. Ich bin selbst sichtbar, kuratiere, performe, lebe und habe Teil an diesen Strukturen. Und ich weiß, wie schnell man vom Ideal zur Inszenierung rutscht, wie leicht sich das „Wir“ mit der eigenen Agenda auflädt.

Zwischen Szene und Selfie: Das Ich im Wir

Die elektronische Musikkultur war einmal ein Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft – ein Raum, in dem kollektive Erfahrungen wichtiger waren als Status oder Besitz. Clubs waren Schutzräume, nicht Showbühnen.

Heute ist vieles davon ins Gegenteil gekippt. Wer durch seinen Feed scrollt, findet zwischen DJ-Sets und Awareness-Talks eine neue Ästhetik der Sichtbarkeit: Hochglanzfotos hinter dem Pult, Videos mit generischen Drops und ein konstantes „Ich bin hier, ich gehöre dazu“.

Natürlich ist Sichtbarkeit auch Empowerment – besonders für marginalisierte Gruppen, die lange unterrepräsentiert waren. Aber gleichzeitig wächst eine neue Art von Egozentrik heran: Die Selbstdarstellung als Aktivismus, die Community als Marke, die Szene als Karriere-Sprungbrett.

Viele sprechen von „wir“ – meinen aber „ich“. Der Plural wird zur Imagepflege, das Kollektiv zum Mittel der Positionierung. Künstler:innen sind heute nicht nur Musiker:innen, sondern auch Strateg:innen, Booker:innen, Social-Media-Creator. Alles wird Teil des Portfolios. Die Szene wird zur Projektionsfläche – und zur Bühne.

Wenn Kultur nur noch die Verpackung ist

In der Szene ist oft von Kulturarbeit die Rede. Das klingt nach Haltung, nach gesellschaftlichem Wert, nach etwas, das größer ist als man selbst.

Aber was passiert, wenn Kultur vor allem als Aushängeschild dient – und nicht mehr als gelebte Praxis? Dann wird Kultur zum Feigenblatt: ein hübsches Blatt vor dem eigenen Ego, das nur kaschiert, was darunter eigentlich steckt.

Partys nennen sich plötzlich kulturelle Interventionen, obwohl sie sich nicht groß von einem kommerziellen Clubabend unterscheiden. Und unter dem Banner von Subkultur wird der gleiche Content produziert wie überall!

In solchen Momenten ist Kultur nicht mehr der Raum für Aushandlung und Wandel – sondern eine Art Gütesiegel. Ein Qualitätsetikett, das Dinge rechtfertigt, die ohne das Label vielleicht banal oder problematisch wirken würden.

Aber Kultur ist kein Mantel, den man sich einfach überwerfen kann, wenn es gerade passt. Und sie ist auch kein Instagram-Filter, der alles ein bisschen bedeutungsvoller erscheinen lässt.

Kultur zeigt sich nicht in der Verpackung – sondern darin, wie wir mit ihr umgehen, was wir daraus machen und wem wir Raum geben.

Das TikTok-Paradox: Freiheit wird Format

Ein weiteres Spannungsfeld zeigt sich in der Ästhetik selbst: Die Clubkultur war einst ein Ort, an dem man sich neu erfinden durfte – gegen den Mainstream, gegen die Regeln, gegen das Erwartbare.

Heute wirken viele Trends wie Copy-Paste: Der Sound ist algorithmus-freundlich, der Look standardisiert, das Verhalten vorhersehbar. TikTok-Techno ist längst ein eigenes Genre – ästhetisch wie musikalisch.

Natürlich bringt Sichtbarkeit auf Plattformen wie TikTok neue Chancen mit sich. Aber sie bringt auch Anpassungsdruck. Die Algorithmen lieben Wiederholbarkeit, klare Strukturen, einprägsame Reels. Was sich gut verkaufen lässt, wird zur Norm – und was komplexer ist, fällt hinten runter. Der Raum für radikale Experimente wird kleiner, vor allem musikalisch.

Statt Freiheit erleben wir also eine neue Form von Konformität – Wiedererkennbarkeit bringt Reichweite.

Und was bedeutet das alles eigentlich für den Begriff „Kultur“?

Kultur – dieses Wort ist gleichzeitig überladen und entleert. Schon immer gab es unzählige Definitionen davon: Der Duden beschreibt Kultur schlicht als „die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft“.

In den Kulturwissenschaften meint sie oft ein System von Bedeutungen, Praktiken und Symbolen, die unser Zusammenleben prägen. Und im Alltag? Da ist Kultur entweder etwas Förderbares – oder etwas Cooles, das man auf Instagram zeigen kann.

Vielleicht ist gerade das das Problem: Kultur kann alles sein – Hochkultur, Subkultur, Popkultur, Clubkultur. Und je nachdem, wer spricht, wird sie mal als Schutzschild, mal als Verkaufsargument, mal als moralische Aufwertung benutzt.

In der elektronischen Musikszene zeigt sich das besonders deutlich. Kultur wird hier oft wie ein Label benutzt: als Legitimation für Partys, als Feigenblatt für Förderanträge oder als Statussymbol für Szenezugehörigkeit. Dabei geraten die eigentlichen Inhalte leicht in den Hintergrund. Kultur wird dann nicht mehr gelebt, sondern behauptet.

Aber wenn alles Kultur ist – ist dann nicht am Ende auch alles gleich viel (oder wenig) wert? Wenn der Begriff inflationär benutzt wird, verliert er seine Schärfe. Seine politische Kraft. Seine Fähigkeit, zwischen Haltung und Hype zu unterscheiden.

Vielleicht wäre es also an der Zeit, den Kulturbegriff nicht weiter aufzublasen – sondern ihn zu erden. Nicht als Etikett, sondern als Einladung: zu Aushandlung, Haltung und auch Widerspruch.

Quelle: Rave The Planet

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