Kygo – Gemischte Gefühle

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Für die einen ist Tropical House der Sound der Stunde, für die anderen nichts als weichgespülte Larifari-Beats mit Vocals. Sicher ist, dass genau das seit rund zwei Jahren für Leute wie Robin Schulz und Felix Jaehn hervorragend funktioniert. Auch Kygo reitet die Tropical-House-Welle erfolgreich. Mit gerade einmal 24 Jahren und nach einigen inoffiziellen, via SoundCloud veröffentlichten Remixen – darunter Songs von Rihanna, Passenger und Marvin Gaye –, gelang dem Norweger 2013 der Sprung ins professionelle Musikbusiness. Seither reißen sich internationale Popgrößen wie Ed Sheeran und Coldplay um den Jungen mit der Basecap. Und auf Festivals wie TomorrowWorld, Coachella und Ultra spielt er längst zur Primetime auf den Mainstages. Nun erscheint mit „Cloud Nine“ das erste Album des Norwegers und das belegt, dass er mehr drauf hat, als irgendwelche Vocals mit netten Beats zu unterlegen. Besonders die Liste seiner Gäste fällt auf, denn statt auf Namhaftes aus dem Popbusiness zu setzen, finden sich auf „Cloud Nine“ Kollaborateure, die der breiten Masse bislang verborgen geblieben sind. Da wäre zum Beispiel der irische Folk-Musiker James Vincent McMorrow mit seiner außergewöhnlichen Stimme, die womöglich nicht jedermanns Sache ist. Oder Rhodes aus Südengland, Singer/Songwriter mit einem guten Gespür für große Melodien und aktuell mit seinem Album „Wishes“ hoch gehandelt. Und Kodaline, eine Alternative-Rockband aus Dublin. Der wohl bekannteste Gast mit Chart-Potenzial ist Tom Odell.

Ich treffe Kyrre Gørvell-Dahll an einem Mittwochabend im Berliner Soho House, um über seine persönlichen Ziele und Erwartungen hinsichtlich dieses Albums zu sprechen. Ich bin die Nummer 7 auf seiner Interviewpartnerliste, doch sollte ihn das Spiel inzwischen langweilen, lässt er sich das nicht anmerken. Der Weg zum ersten Album führte Kygo über die bereits erwähnten Remixe. Titel, die er nach bestimmten Kriterien auswählte. Sicherlich nach der Bekanntheit des Originalkünstlers, immerhin ging es darum, den eigenen Namen nach vorn zu bringen. „Und es ist wichtig, dass der Track produktionstechnisch nicht schon zu überladen ist und genug Spielraum bietet, den eigenen Stuff unterzubringen. Da eignen sich natürlich Akustiksongs mit Vocals besonders gut. Und gerade die Vocals sind mir wichtig, deswegen habe ich mich zum Beispiel für Passenger entschieden.“ Die Reaktionen künstlerseitig auf die Bootlegs waren durch die Bank weg positiv. So auch auf seine Version des Stücks „Younger“ von der schwedischen Nachwuchssängerin Seinabo Sey. Die kam so gut an, dass sie schließlich offiziell veröffentlicht wurde und die norwegischen Charts stürmte – der Startschuss für die seither nicht mehr aufzuhaltende Karriere Kygos. „Im Grunde habe ich mich von da an schon auf das Produzieren eigener Tracks konzentriert und kaum Remixanfragen angenommen.“ Sie dienten wie so oft also nur als Sprungbrett – und es gelang gleich so gut, dass er für das Debüt jene Musiker um sich versammeln konnte, die ihm persönlich am Herzen liegen. Und damit ist er nicht einfach auf Nummer sicher gegangen. „Ich hoffe, dass es den Leuten gefällt, denn die Tracks auf dem Album haben nicht allzu viel mit dem zu tun, was ich bisher veröffentlicht habe. Das ist besonders spannend. Ich will damit vor allem zeigen, dass ich nicht einfach nur einen bestimmten Stil verfolge. Ich möchte nicht als Tropical-House-Act gesehen werden. Ich will das machen, woran ich Spaß habe. Ich bin schon sehr aufgeregt, ob es den Leuten trotzdem gefällt. Wenn nicht, ist das zwar schade, aber ich habe das Album so produziert, dass ich voll dahinterstehen kann. Das ist das Wichtigste, daher würde ich auch das verkraften.“ Es spricht sicher nicht für mich, dass ich beim Titel „Cloud Nine“ direkt an diese gruselige Kannibalen-Droge gleichen Namens denke. Ein Badesalz-Verschnitt, der vor einigen Jahren nach einem schrägen Vorfall in Florida Schlagzeilen machte. Kyrre selbst hatte bei der Wahl des Titels allerdings weitaus Romantischeres im Sinn: „Wenn ich einen Song mache und mit dem Ergebnis total happy bin, fühle ich mich wie auf ‚Wolke 9‘ [englischsprachiges Pendant zur deutschen ‚Wolke 7‘ – Anm.d.Red.] Das ist der glücklichste Ort, an dem man sein kann. Und so habe ich mich bei jedem Song des Albums gefühlt. Und ich möchte natürlich auch, dass meine Musik die Hörer glücklich macht und auch sie sich mit mir auf Wolke 9 wiederfinden.“ Besonders glücklich ist Kyrre über die Musiker, die er für Kollaborationen gewinnen konnte. „Mir ging es nicht um Namedropping im klassischen Sinn. Mir war es wichtiger, wirklich talentierte Musiker für dieses Projekt zu gewinnen. Ich höre die Musik von ihnen selbst seit vielen Jahren. Als ich dann darüber nachdachte, mit wem ich gern zusammenarbeiten würde, kamen sie mir natürlich als erstes in den Sinn. James Vincent McMorrow hat so eine einzigartige Stimme, er kommt damit so wahnsinnig hoch. Ich habe ein Instrumental fertiggemacht und ihm geschickt, er war sofort davon begeistert.“ Das klingt jetzt erst mal super easy. Man schickt seinem Lieblingskünstler eine Skizze, der singt was drauf und fertig ist der Song. „Es hat sicherlich geholfen, dass er meinen Namen bereits kannte, weil ich schon ein paar Radiohits hatte. Grundsätzlich geht es aber doch darum, ob einem etwas gefällt oder nicht. Ich bekomme zahlreiche Demos geschickt und versuche, sie mir alle anzuhören. Wenn mir was gefällt, gefällt es mir – da frage ich nicht lange nach, was derjenige sonst so gemacht hat.“

Im Gespräch fiel bereits der Ausdruck Tropical House, von Kyrre selbst. Sieht er sich wirklich in diesem Genre oder ist die Kategorisierung eher aus einer Not heraus entstanden, weil Schubladen es einfacher machen, Dinge zu bewerben? „Ich bezeichne meine Songs eigentlich nicht so, weil ich Klassifizierungen grundsätzlich doof finde. Als ich allerdings damit begonnen habe, diese Art von Musik zu produzieren, gab es neben dem Australier Thomas Jack niemanden sonst. Wenn mich die Leute gefragt haben, was ich für Musik mache, habe ich es ,melodiöse elektronische Musik’ genannt – bis Thomas Jack den Begriff Tropical House erstmals aufbrachte. Plötzlich nannte man auch meine Musik so. Ich habe gemischte Gefühle dabei. Ich verstehe, warum es Tropical ist, denn die Musik ist ja weitgehend fröhlich, sommerlich und wird mit Strand assoziiert. Aber Songs mit melancholischen Vocals wie denen von James Vincent McMorrow würde ich im Leben nicht als Tropical House bezeichnen wollen.“

Auf der Bühne sieht das musikalische Konzept von Kygo noch einmal ganz anders aus. „Gerade wenn ich Dance Festivals spiele, muss es schon mehr abgehen. Ich spiele meine Tracks in neuen Versionen, aber auch Stücke von anderen Künstlern. Ich bringe dann mehr Tempo rein. Auf meiner ,Cloud Nine’-Tour spiele ich aber live und bringe mein Keyboard mit auf die Bühne. Gerne möchte ich Sänger dabei haben, sofern sie dann Zeit haben.“ Coachella, Ultra Music Festival und TomorrowWorld – wie schwer ist es, mit 24 auf solchen Bühnen zu stehen und nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren? Welche Rolle spielen Familie und Freunde und Bergen als Heimatort? „Ich finde es gar nicht so schwierig. Wenn ich zurück nach Hause fahre, ist dort alles wie immer. Und das ist sicher wichtig. Meine Freunde kenne ich, seit ich fünf bin, und die behandeln mich kein Stück anders als vorher. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass der schnelle Ruhm für manche ein Problem darstellt. Wenn sich dein Umfeld komplett verändert und alte Freundschaften und Gewohnheiten auf der Strecke bleiben, ist das sicherlich ungesund. Deswegen käme es für mich auch nicht infrage, woandershin zu ziehen. Ich lebe in Norwegen und bislang läuft doch alles mehr als super, warum also wegziehen? In L.A. oder so zu leben, würde für mich einfach gar keinen Sinn machen. Ich müsste vielleicht weniger Zeit im Flieger verbringen, aber der Preis dafür wäre mir zu hoch.“ Und viel im Flieger sitzt Kygo definitiv auch wieder in diesem Sommer. Neben der geplanten „Cloud Nine“-Tour durch Europa stehen erneut zahlreiche Festivals auf dem Programm – nichts davon aber in Deutschland. „Ich habe überhaupt erst einmal hier in Berlin gespielt, vergangenes Jahr beim Lollapalooza. Das war toll.“ / Nicole Ankelmann

Aus dem FAZEmag 050/04.2016 
www.kygomusic.com