Legenden der Nacht: Jam & Spoon – Jam El Mar über Eurodance in den 90ern und Techno in 2021


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Sommer 2019. Ich war für das FAZEmag bei Nature One, um ein paar Artists zu interviewen. Und als ich mich so im Backstage-Bereich tummelte, lief mir Jam el Mar über den Weg, der auf dem Classic Terminal gerade ein Set gespielt hatte. Wir kamen ins Gespräch und tauschten Handynummern aus. Dann kam der Herbst, dann kam der Winter. Dann kam Corona. Die ganze Welt im Offline-Modus. Als ich im Frühling 2021 die Kontaktliste in meinem Smartphone durchscrollte, um einen „James“ anzurufen, stoppte mein Finger bei „Jam el Mar“. Spontan schrieb ich ihn über WhatsApp an und fragte, ob er Lust auf ein Interview hätte. Hatte er. Es war ein regnerischer Sonntag, an dem wir einen Video-Call machten. Ein Gespräch. Ein langes Gespräch. Mit mehr als zweieinhalb Stunden eins der längsten, das ich je geführt hatte. Aber es kam in keiner einzigen Sekunde Langeweile auf. Rolf Ellmer, der hinter Projekten wie Jam & Spoon, Dance 2 Trance und Storm steht, hatte so viel Interessantes und Spannendes zu erzählen, das ich euch keinesfalls vorenthalten möchte. Also, nehmt euch einen Drink, lehnt euch ganz entspannt in Omas Flauschesessel zurück und reist mit mir zusammen in eine Zeit, in der Hits wie „Kaleidoscope Skies“, „P.ower of A.merican N.atives“, „Angel (Ladadi O-Heyo)“ und „Right in the Night“ um die Welt gingen. Wie war das eigentlich, mit Mark Spoon zu arbeiten, der in der Clublandschaft so polarisierte wie kaum ein anderer? Wie groß sind die Chancen auf ein Revival von Dance 2 Trance? Und wie kam es dazu, dass Jam el Mar vom „Mann im Hintergrund“ zum gefragten Techno-Act wurde, der mit 60 Jahren auf dem Peak seiner DJ-Karriere ist? Time Travelling mit Jam el Mar.

 

Hey Rolf, schön dass es klappt mit unserem Talk. Ah, wie ich sehe, bist du gerade im Studio.
Genau. Das ist hier im Gebäude der Batschkapp, in Frankfurt. Die sind umgezogen und haben mich quasi mitgenommen. Bin hier im Souterrain und hab dort einen Raum.

 

Ich dachte, die Batschkapp gibt es gar nicht mehr.
Die alte nicht, die haben sie platt gemacht, das ist richtig. Daraus hat man ein Wohnhaus gemacht, mit Rewe-Supermarkt.

 

Äh, okay …
Ja, die wollten da eh raus. Sie sind jetzt im Osten von FFM, in einer großen Halle. Vorgelagert ist ein Bürohaus. Dort sitzen Booking, Verwaltung, Fotografen etc. Und ich bin hier im Keller. Zwei Räume weiter ist auch noch ein Produzent, und daneben ist ein Lager für Speiseöl.

 

Crazy.
Ja, total.

 

Wie lange hast du schon dieses Studio?
Gute zehn Jahre. Das vorige Studio hatte ich viel länger – 20 Jahre oder so. Damit sind auch die ganzen Sachen für Jam & Spoon, Dance 2 Trance, Tokyo Ghetto Pussys, Storm und B.G. The Prince of Rap entstanden.

 

Eine ganze Dance-Ära.
In der Tat. Und viel größer war das auch nicht als hier. Einziger Unterschied: Wir hatten natürlich nur Analog-Equipment.

 

 

Heute ist alles digital. Auch deine Sets auf Soundcloud, so als Beispiel mal in den virtuellen Raum geworfen.
Genau. Da findest du unter anderem meinen monatlichen Stream „Techno Trance Vibes“. Das mache ich für eine nord-irische Radiostation „Belfast Vibes“. Ende des Jahres hatte ich das etwas vernachlässigt, aber jetzt gehen die Sets wieder jeden Monat online.

 

Und die sind – wie der Name schon sagt – eine Mischung aus Techno und Trance.
Exakt. Ich hatte vor ein paar Jahren einen Typen in Belfast bei einem Gig getroffen, der mich fragte, ob ich Lust hätte, an einem neuen Projekt mitzumachen. Und ich so „Ja, warum eigentlich nicht?“, man kann sich ja nicht immer in ein gemachtes Nest setzen, sondern muss auch mal etwas von Null an aufbauen. Los ging es mit rund 20.000 Hörern, und mittlerweile sind wir bei fast 400.000, was durchaus viel ist für ein recht überschaubares Projekt.

 

Ein anderes Projekt ist im Kitkat Club Berlin.
Ja, wenn nicht gerade Corona ist. Ein Bekannter, auch Resident-DJ im „Kitty“, hat mich da hineingebracht! Da kam vor gut drei Jahren Kirsten, die Managerin des Clubs, auf mich zu und fragte mich, ob ich Bock hätte, mal zu spielen. Hatte ich – und das entwickelte sich so weit, dass ich inzwischen Resident bin, ich spiele einmal pro Monat dort. Der Kitkat Club ist eigentlich der beste Club der Welt – ohne die anderen Clubs jetzt dissen zu wollen. Aber hier kannst du sein, wie du bist, ohne abgestraft zu werden. Dort bin ich dann wirklich zum DJ geworden, und nicht so ein „Festival-Hansel“ – ich liebe es, dort aufzulegen.

 

Wie kommst du an deine Tracks? Du startest Beatport und „googelst“ in den Sparten Techno und Trance?
So ungefähr. Mein Ding, meine Lieblingsmusik war schon immer Techno, mit ein paar melodischen Elementen. Aber weit weg vom Uplifting-Trance. Sobald es melodisch wird, heißt es ja sofort im bösen Unterton „Oh-oh, das ist kommerzieller Trance“. Und in diesem Zwischenraum von Techno/Trance fühle ich mich eigentlich ganz wohl. Ich finde zum Beispiel die Sachen von Pig & Dan super, weil die es auch immer schaffen, einen eleganten, groovigen Technosound zu erzeugen. Sie haben die Power des Techno, kombiniert mit musikalischen Elementen. Im Vergleich zu früher, als es immer nur gefühlt eine Handvoll Neuveröffentlichungen gab, ist heute die Herausforderung, gute Musik aus Tausenden neuer Releases heraus zu filtern.

 

Beatport ist eine Quelle. Gibt es noch andere?
Natürlich gibt es noch etliche andere „Läden“, und es gibt die Bemusterung. Ich habe zum Beispiel die Ehre, von Drumcode bemustert zu werden. Oder Truesoul, einem Sub-Label von Adam Beyers Drumcode. Ich selbst hatte dort auch mal eine Nummer veröffentlicht. Und zwar vor ziemlich genau vier Jahren. Das war die „Touched by Fire“-EP, mit zwei Tracks drauf: „Stab“ und „Freak out“. Gerne würde ich mal etwas roheren Techno spielen, aber ich lande immer wieder bei den etwas musikalischeren Tracks.

 

Jeff Mills?
Das wäre schon eher wieder retro. Ich weiß gar nicht, wann er zuletzt etwas rausgebracht hat. Ich meine eher so Dinger, wie sie zum Beispiel auf KD RAW, dem Label von Kaiserdisco, erscheinen. Zur Zeit fahre ich auch auf das Zeug von Michael Klein ab – sehr geile Tracks! Aber es gibt immer mal zwischendurch ganz großartige Nummern von unbekannten Produzenten. Oder hier, mein Freund A*S*Y*S, der momentan extrem viel Erfolg hat! Das geht alles mehr in Richtung Acid. Die Sachen spiele ich auch total gerne – wobei das schon wieder recht musikalisch ist.

 

A*S*Y*S, gutes Stichwort. Du hattest mir ja gestern den Link zu einem YouTube-Set geschickt, und unten sind dann ja immer Empfehlungen aufgelistet. Dort hab ich gesehen, dass du mit ihm in den Dolomiten warst und dort ein b2b–Set gespielt hast.
Das war eine feine Sache. Durch Zufall hab ich einen sehr interessanten Menschen kennengelernt, einen Kameramann und Film-Produzenten. Er macht viele Drohnen-Clips und Werbefilme. Ich hatte vorgeschlagen, an ungewöhnlichen Orten DJ-Set zu spielen, wie zum Beispiel in einem Stahlwerk, wo Funken sprühen und Flammen hochschießen. Ich habe das tatsächlich angefragt, aber es ging aus Sicherheitsgründen nicht. Und als ich ihm das erzählte, schlug er die Dolomiten vor. Die Location sieht aus wie ein Ufo, das hier in den Bergen gelandet ist. Es war aber ziemlich tricky, bevor wir den ersten Beat spielen konnten. Das Problem war nämlich: Wie kriegen wir das Equipment da hoch? Mit dem Hubschrauber ging nicht, weil wir aufgrund von nistenden Steinadlern keine Genehmigung bekamen. Und als normaler Tourist durfte man auch nicht mit dem Auto hoch fahren. Wir trafen aber einen Bauern, der unsere Sachen hochgefahren hat. Bauern sind die einzigen, die eine Erlaubnis für das Befahren der Wege hatten. Das war schon ziemlich abenteuerlich, da die Straße schmal war und es links steil hoch und rechts steil bergab ging. Die Straße wurde eng und enger. Bis wir dann nicht mehr weiter kamen, weil die Straße aufgrund von Felsen zu eng wurde, um sie zu passieren. Was macht der Bauer? Fährt außen rum, cross-country sozusagen, alles hat gewackelt und wir dachten „Gleich kippen wir um und das war’s“. Aber alles ging gut und wir konnten unser Set spielen. Bei traumhaftem Sonnenuntergang.

 

 

 

Dass du als DJ auftrittst, kam für viele sicherlich wie „Kai aus der Kiste“, da man dich eher als Produzenten und Mann im Hintergrund kennt.
Ja, ich mache das auch noch gar nicht so lange. Vier, fünf Jahre vielleicht. Früher war ja immer Markus der DJ (Marc Spoon, Anm. d. Red.). Oder der Dag. Ich hab mich damals auch gar nicht dafür interessiert, allein schon deshalb, weil ich keine Lust hatte, zig Kilo an Platten durch die Gegend zu schleppen. Heute ist ja alles digital, und das Interessante für mich als DJ ist beim Auflegen, Leute auf eine gemeinsame Ebene des Erlebens und des Vibes zu bringen. Wenn man es schafft, mit verschiedenen Menschen eine Einheit zu bilden, dann hast du als DJ einen guten Job gemacht. Wie viele Leute auf dem Dancefloor sind, ist mir nicht wichtig. Ich hab mal vor zig Tausenden bei Tomorrowland gespielt und anlässlich Marks Todestag auch mal auf der Love Parade vor … ich glaube 1,2 Millionen Menschen. Klar ist das geil, wenn diese Masse synchron zum Beat tanzt, aber das andere ist mir wie gesagt wichtiger.

 

Markus war – ich sag mal so: die Rampensau, die bei der Mayday, Nature One, Love Parade etc. gespielt hat. Und du warst der ruhigere Typ im Background. Markus hat schon sehr polarisiert, wollte das ja auch immer. Und du? Ohne dich jetzt näher zu kennen, würde ich sagen: Schüchtern bist du nicht.
Ha ha … Ich bin nicht so ein „Lautsprecher“, wie es Markus war. Er war von seiner Persönlichkeit her sehr offensiv. Ich war gerne der Mann im Hintergrund, denn dieses Produzentending ist ein 24/7–Fulltime-Job, wie auch das DJ-Dasein. Und beides zusammen wäre für mich nicht gegangen. Auch war der Lebensstil von Markus nicht unbedingt mein Ding. Er sagte zwar oft „Komm doch mal mit, ist so geil alles, wenn die Leute auf unsere Mucke abfeiern“. Aber das hat mich gar nicht so sehr interessiert. Dieser ganze Rock’n’Roll hätte mich sicherlich noch viel früher gekillt, als es Markus dann passiert ist. Er war halt auch so ein „Straßenköter“, den hat nichts umgehauen. Der hatte eine Energie – unglaublich!

 


Hattet ihr gut harmoniert? Ihr seid ja zwei völlig unterschiedliche Typen.
Ja, wir haben perfekt harmoniert, vielleicht gerade deshalb, weil wir so konträr waren. Und das schon von Beginn an, als ich ihn kennengelernt hatte. Es war sofort eine perfekte Partnerschaft. Er war auch klasse in der Vermittlung. Er hat mit den Plattenfirmen kommuniziert, sich um Gigs gekümmert, großartige Grafiker connectet. Er war immer am Puls der Zeit. Er wusste immer, was läuft, was fashion war, was angesagt war. Er hat auch die Konzepte der Alben entwickelt, die wir beide dann weiter geformt haben. Er hat bei der Musik natürlich auch mitgeredet und Ideen eingebracht, aber hauptsächlich war das mein Metier.

Wie ich Markus in Erinnerung habe, könnte ich mir gut vorstellen, dass er ausgeflippt ist, wenn du im Tonstudio nicht das umgesetzt hast, das er wollte.
Nein, gar nicht. Wir haben uns zwar schon auch mal gefetzt, aber tatsächlich nie wegen der Musik. Das passte alles perfekt, von Anfang an.

 

Wie fing denn eigentlich alles an?
Er hatte mich als Studiomusiker gebucht. Man konnte mich damals für 500 D–Mark als Musiker buchen. Wir haben dann einen Remix gemacht … Ich weiß gar nicht, ob der jemals auf Logic Records rauskam. Aber dann hat man uns ja für das Projekt Dr. Alban engagiert. Wir haben „Hello Africa“ und „No Coke“ geremixt, die Dinger schlugen voll ein. Und Jam & Spoon war geboren. Dann kam ja auch schon der „Age of Love“–Remix. Da kam ein englischer A&R auf uns zu und sagte „Könnt ihr davon einen Remix machen? Es gibt 1.000 Pfund“. Und wir so „Ja, klar“. Ich hab das Original geliebt, deshalb war das eine große Ehre. Wenn man überlegt, wie viel Geld die Nummer eingebracht hat, waren 1.000 Pfund aber ganz schön wenig. Aber das zählt nur am Rande,

 

Wie habt ihr das eigentlich gehandhabt, wenn eure Tracks jemand remixen wollte?
Wir haben sehr penibel ausgewäht, da wir einen „Ausverkauf“ unbedingt vermeiden wollten. Vor Kurzem hat Kölsch ein „Stella“-Remake gemacht. Einen geilen Remix haben auch Markus Schulz und Ferry Corsten abgeliefert, aber in einem ganz anderen Stil.

 

Wenn wir schon im Hier und Jetzt sind: Erzähl doch mal, wie du das Interesse am DJ-ing gefunden hast.
Eines Tages rief mich der Veranstalter der Nature One an, I-Motion. Und fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein Jam el Mar Live-Ding zu machen, mit Jam & Spoon-Tracks. Ich hab das dann bei Nature One umgesetzt, 90 Minuten, eine Mischung aus Live-PA und DJ-Set, auf dem Classic Floor. Das hat mir so viel Spaß gemacht – das war der Startschuss für meine späte DJ-Karriere. Und dann kamen tatsächlich die Booking–Anfragen.

 

Hast du eigentlich mal überlegt, deinen Namen zu ändern? Wenn du im Line-up stehst, steht dort meistens „Jam (Jam & Spoon)“, also wird immer die Verbindung zu Jam & Spoon geschaffen. Nervt das nicht, darauf reduziert zu werden, zumal du ja auch musikalisch in einer ganz anderen Schublade bist wie „Kaleidoscope Skies“ oder „Right in the Night“. Schließlich gibt es das Projekt ja auch seit dem Tod von Markus nicht mehr.
Ich hab mir das tatsächlich schon öfter überlegt. Aber wenn ich bei Nature One auf der Retro-Bühne spiele, erwarten die Leute auch, dass ich Nummern von Jam & Spoon spiele. Weil die Leute vielleicht mit „Jam“ nichts anfangen können, schreiben wir das „Jam & Spoon“ immer in Klammern dahinter. Denn der Frontmann war ja immer der Markus. Den kannten alle, aber mich nicht. Da holt mich das dann ein, dass ich früher immer im Hintergrund war. Wenn ich für einen Technofloor gebucht bin, trete ich als Jam El Mar auf. Da spiele ich dann höchstens mal einen Klassiker von Jam & Spoon, wie „Follow me“, aber dann im abgefahrenen Thomas Schumacher Remix.

 

 

Ist es vielleicht auch eine Marketing–Strategie, dass du dich Jam El Mar nennst und nicht Rolf Ellmer?
Absolut, ja. Da kam irgendwann ein A&R–Manager von CBS auf mich zu und meinte, dass ich einen Künstlernamen bräuchte, so hab ich aus meinem Nachnamen „Ellmer“ das „El Mar“ gemacht und mein zweiter Vorname „Johannes“ wurde zu „Jam“, weil „Jam“ natürlich auch einen Bezug zur Musik hat. „Johannes“ auf englisch wäre ja „John“. Das war mir zu profan. Deshalb Jam.

 

Wie ist es dazu gekommen, dass du (und das ist nicht böse gemeint) in deinem Alter so harten Sound spielst? Und vor allem: Wie hast du es geschafft, nicht als reiner Classic-DJ gebucht zu werden, wie beispielsweise DJ Quicksilver, Kai Tracid, Taucher etc.?
Ganz einfach: Weil ich das so will. Klar, ich bin mit 60 Jahren nicht mehr der Jüngste, aber es ist ja nur mein Körper gealtert. Mental bin ich so energiegeladen wie nie zuvor. Ich habe so viel Lust, etwas Neues zu schaffen und bin fast täglich im Studio. Ich meine, ich werde zu 70 Prozent für Classics gebucht und 30 für moderne Techno-Sets. Aber eigentlich will ich das auf 50:50 kriegen, dass man mich als Techno-DJ akzeptiert und nicht nur auf Jam & Spoon reduziert. Nicht falsch verstehen, ich bin total froh, dass Markus und ich das machen konnten und dass wir so erfolgreich wurden. Dafür bin ich sehr dankbar. Und dass ich jetzt als DJ so gut durchstarte, ist großartig zu erleben. Mich kannte halt niemand, ich hatte keinen Namen, da ich kein DJ war. Umso schöner, dass alles so geschmeidig klappt.

 

Wenn dich ein Event–Veranstalter anfragen würde und sagt: „Du hast die Wahl, entweder als Classic-DJ oder als Techno-DJ zu spielen“. Was würdest du bevorzugen?
Ich würde ein Tech-Trance-Set spielen mit ein paar Klassikern. Restaurierten Klassikern, keine alten Remixe aus 1997, sondern Remixe von heute, wie zum Beispiel meine Neuauflage von „Storm“.

 

 

Hab ich gar nicht mitbekommen.
Ja, das ist ein bisschen mein Problem. Ich muss unbedingt mein Marketing verbessern. Es kommen so viele gute Sachen auf meinem Label raus – und keiner kriegt es mit, was schade ist. Dieses Storm-Release – da war auch ein toller Remix von Pig & Dan dabei. Die haben übrigens auch einen coole Version von „Right in the Night“ gemacht.

 

Wie würdest du musikalisch Storm mit Jam & Spoon vergleichen?
Jam & Spoon war irgendwann mehr pop-orientiert. Wir wurden immer mehr Pop, wurden im Radio gespielt und wollten irgendetwas schaffen, was uns „back to the Floor“ bringt. Markus hatte dann den Vorschlag mit „Storm“, entwickelte ein Konzept und wollte in den Clubs und auf Festivals auch mal wieder eigene Nummern spielen. Da kannst du ja schlecht „Kaleidoscope Skies“ bringen. Dann hatte ich das Riff von der „Storm“-Nummer produziert, und schwubs, waren wir schon wieder in den Charts – und das, obwohl wir das gar nicht geplant hatten. Es sollte ein Underground-Projekt sein, ohne kommerziellen Aspekt.

 

Mein Storm-Favorit ist „We love“. War es eigentlich Absicht, dass bei „produced by“ nicht Jam & Spoon stand, sondern Trancy Spacer & Spacy Trancer?
Ja, wir wollten uns „verstecken“. Wir wollten etwas Neues machen, an Clubsounds orientiert. Aber es hat nicht lange gedauert, bis wir enttarnt waren.

 

 

Wäre Markus nicht gestorben – würde es Storm und Jam & Spoon noch heute geben?
Ja, bestimmt. Mit Sicherheit hätten wir aber auch nach dem letzten Album im Jahr 2003 eine mehrjährige Pause gebraucht, aus Gründen der Kreativität. Aber ich bin mir ganz sicher, dass Markus ein ganz Großer hätte werden können, wie heute Armin van Buuren. Aber ich glaube, das wollte er gar nicht. Er war musikalisch eigentlich auf einem ganz anderen Trip als das Trance-Zeug.

 

Ich weiß noch ganz gut, als ich mir das Album „Kaleidoscope Skies“ gekauft hatte und dies meinem Nachbarn gab, weil er die Single gut fand. Das Album fand er aber – Zitat: „Was ist das denn für eine Scheiße?“, und bezog sich darauf, dass auf dem Album „nur Techno-Müll und kein Radio-Pop“ drauf war. Zitat Ende. Da waren ja zum Beispiel auch „I pull my Gun twice“ drauf, eine Metal-Techno–Nummer. Haben euch Fans deshalb öfter mal den Mittelfinger gezeigt?
Ja klar! Wenn es bei Jam & Spoon ein Problem gab, dann das Identitäts-Problem. Wir waren musikalisch so neugierig, dass wir eigentlich alles gemacht haben, worauf wir Bock hatten. Pop, Techno, Trance, Ambient. Wir hatten ja zum Beispiel „Right in the Night“ auf der A–Seite, und auf der B war „Follow me“. Auch zwei völlig unterschiedliche Nummern. Marketingtechnisch gesehen war das eine Katastrophe. Wer die Nummer „Kaleidoscope Skies“ gut findet und hört dann das Album, kann durchaus so denken wie dein damaliger Nachbar. Das war auch beim ersten Album so. Alle dachten, sie kriegen ein Album mit lauter „Right in the Night“s drauf. Dabei ist genau die Nummer eher der Ausreißer und in der ursprünglichen Form gar nicht so gedacht. Wir hatten das Album fertig, und die Nummer war viel zu unkommerziell, um sie als Single rauszubringen. Das war ein Instrumental–Track. Den haben wir dann umgeschrieben. Nosie (Nosie Katzmann, Anm. d. Red.) hat dann einen Text geschrieben und Melodie komponiert. Der Rest blieb aber ein irrer Genre-Mix , zum Teil sehr experimentell.

 

Aber krass, dass das Label da mitgespielt hat, bei so einer Bandbreite.
Ja, die hatten auch dringend davon abgeraten, zwei Alben zeitgleich zu veröffentlichen. Das hat nicht mal bei Bruce Springsteen funktioniert. Aber wir wollten das, und dann wurde das gemacht. Man muss schon sagen: CBS und Sony waren extrem künstlerfreundlich. Oft werden die Major Labels so verteufelt – manchmal auch zu Recht –, aber ich hab das ganz anders erlebt. Die gaben uns unglaublich viel Freiraum gelassen für künstlerisches Schaffen, und die Vorschüsse waren auch sehr gut. So konntest du Musik machen, ohne finanziellen Druck.

 

War es nicht auch so, dass das Label zig Versionen des ersten Albums veröffentlicht hatte?
Ja. Auf der ersten Album-Version ist die Ursprungsversion von „Right in the Night“ drauf, später wurde dann nachgekoppelt mit der Single als Vocal–Track. Das war total schwierig, weil die Leute das nicht mehr durchblickt haben. Da hagelte es auch mal Kritik, völlig zu Recht. Aber auch hier – die Plattenfirma hat uns das machen lassen.

 

 

Doch dann war schlagartig alles vorbei. Markus wurde am 11. Januar 2006 tot in seiner Wohnung aufgefunden.
Ja, das war unfassbar. Zu der Zeit war ich bei einem Kollegen in Stuttgart im Studio, und ein gemeinsamer Freund rief mich an und meinte „Rolf, der Markus ist tot“. Ich war völlig perplex und leer. Ich musste erst mal an die frische Luft und bin durch Stuttgart gelaufen. Es hat auch lange gedauert, bis ich das realisiert hatte. Und irgendwie ist er für mich gar nicht tot – klar, er ist physisch nicht mehr da –, aber jeden Tag denke ich an ihn. Für mich ist er noch immer höchst lebendig, er hat auch einen großen Teil meines Lebens geprägt. Das ist noch heute so. Niemand würde sich für mich interessieren, wenn es nicht Jam & Spoon oder Storm gegeben hätte. Ohne diese Projekte gäbe es keinen DJ Jam el Mar.

 

 

Weil du es gerade erwähnst: Dance 2 Trance. Wie stehen hier die Chancen auf ein Revival?
Schlecht. Ich glaube, Dag und ich sind musikalisch zu weit auseinander. Bei mir geht es ja mit Techno eher nach vorn in Sachen Tracks, und bei Dag ist es eher cool, lässig, was die Beats angeht. Glaube, wir haben keine große Schnittmenge, musikalisch gesehen. Wir sehen uns zwar öfter auf Festivals, aber Pläne für ein Comeback gibt es da nicht.

 

 

Es gibt sicher künftig andere Koops. Und es gab auch bereits andere, zum Beispiel mit Arkham Knights.
Genau, „Wake up“ hieß der Track. Der entstand – wie das heute so üblich ist – im Datenaustausch via Internet. Finde es irgendwie schade, dass man sich nicht mehr so sieht, persönlich im Tonstudio. Und das hat gar nichts mit Corona zu tun, das wäre auch ohne Pandemie so. Arkham Knights besteht ja aus zwei Brüdern, die in UK leben. Aber es hat einen anderen Grund, dass man nicht extra für einen einzigen Song in den Flieger steigt und rüberjettet: Man verdient heutzutage einfach nicht mehr so viel Geld mit Musik wie früher. Zumindest bei einer Nummer wie „Wake up“, bei der man weiß, dann man mit ihr 500, vielleicht 1.000 Euro verdient. Das ist ja ein total unkommerzieller Track, der dann bei Coldharbour raus kam. Ist auf jeden Fall eine gute Nummer geworden, allerdings hab ich die nie in meinen Sets gespielt, weil sie so einen langen Break hat. Da würden die Leute dann auf dem Dancefloor rumstehen, oder abhauen. Aber ein Kumpel aus dem KitKat, Marc Langer, spielt den wohl öfters, sehr mutig. Bei ihm kommt er wohl immer gut an – ist ja auch sehr geil geworden.

 

Zu Coldharbour bist du gekommen, weil ein Remix von „Right in the Night“ von Markus Schulz & Adina Butar veröffentlicht wurde?
Exakt. Dazu gibt es auch eine ganz nette Story. Markus hat mir den Remix geschickt und um eine Freigabe gebeten. Und mein Geschäftsparter Matthias Grein wollte das direkt ablehnen, weil wir prinzipiell sehr sparsam sind mit Remix-VÖs der alten Nummern. Jedoch hat Markus auch einen tollen Remix zu „P.ower of A.merican N.atives“ vor einigen Jahren gemacht, und Markus ist ja auch ein echter DJ-Star – und wir haben die Nummer freigegeben. Fast zeitgleich hatte ich eine Anfrage für die Mayday. Und wer spielte vor mir? Markus. Wir haben uns dann backstage unterhalten, und Adina kam hinzu und fragte, ob Markus als letzten Track „Right in the Night“ spielen dürfte. Fand ich klasse. Wir waren zu dritt auf der Bühne und ich hab dann danach übernommen. Manchmal passt es einfach.

 

Markus Schulz ist ja auch schon viele, viele Jahre big in Business. War früher eigentlich alles besser?
Nein, auf gar keinen Fall. Das einzige, was früher besser war: Da war mehr Rock’n’Roll, es war alles ursprünglicher. Heute ist alles so wahnsinnig kommerzialisiert, over the Top. Jeder will DJ sein, jeder will auf die großen Mainstages, jeder will ein bisschen was vom Fame abhaben. Du musst so viel Zeit investieren in Social Media, um dir deine Identität zu schaffen. Früher hast du einfach gut auflegen müssen, wie Markus das ja auch gemacht hat, und andere. Früher hast du halt durch dein Können brilliert. Nimm mal Carl Cox, den hab ich mal in London gesehen, wie er mit drei Plattenspielern hantiert. Großartig! Sowas könnte heute ja kaum jemand mehr, weil alles technisiert ist. Diese Skills brauchst du heute nicht mehr unbedingt, um als DJ auflegen zu können. Was heute natürlich besser ist, ist die ganze Licht- und Soundtechnik. Schau dir Festivals wie Tomorrowland oder Parookaville an. Die Bühnen sind bombastisch, so etwas gab es früher nicht. Gut, das sind jetzt wieder sehr kommerzielle Events, aber dann schau dir beim Drumcode Festival die Stage an – auch die ist von oben bis unten durch und durch designte Bühne mit krassem Licht. Früher war der Sound auch gut, wie im Dorian Gray. War ja die gleiche Technik wie im Studio 54 in New York. Aber dank der Technik heute kannst du da als Veranstalter noch ein paar Schippen obendrauf legen.

 

Was ich persönlich schade finde – und daran hat das Internet eine große Schuld –, ist, dass man heute so eine massive Track-Flut hat. Früher kannte man die Stücke noch beim Namen, wie „House of House“ von Cherrymoon Trax zum Beispiel. Und heute? Heute sagst du „geile Nummer“ und drei Wochen später hast du sie schon vergessen und spielst sie nie wieder, weil du ja mittlerweile zig Tausend andere gehört hast.
Das stimmt. Ich kaufe meine Tracks ja fast ausschließlich bei Beatport, und wenn ich da bei den neuen Tracks stöbere, steht da „999+“. Also gibt es weit über 1.000 neue Releases. Insgesamt kommen ja Tausende Tracks auf Beatport raus. Ein Tsunami an Sound-Material. Ich klicke teilweise 100 Tracks an, bis ich mal eine Nummer höre und denke „Ah, der ist eigentlich ganz okay“. Aber das sind auch immer wieder die gleichen Produzenten, auf die ich stoße. Selten, dass ich eine Nummer geil finde von jemandem, den ich nicht kenne.

 

 

Ich hab es gerade schon erwähnt, „House of House“. Da hattest du vor zwei, drei Jahren einen Remix gemacht. Glaubst du, dass man als Produzent heute noch mal eine Nummer veröffentlichen kann, die so einen Kultstatus erreicht und so sehr in den Köpfen der Leute bleibt?
Das denke ich schon, ja. Schau dir „Your Mind“ von Adam Beyer & Bart Skils an. Ich bekam an einem Donnerstag die Promo und hatte zufällig am Samstag drauf einen Gig in Berlin. Und beim Hören wusste ich schon: Das ist ein absoluter Hit. Ich hab das gespielt und der Club ist echt auseinandergeflogen. Mega Stimmung. Aber ich hab die Nummer dann ganz schnell aus meiner Playlist genommen, weil sie im Laufe der Tage und Wochen so ausgenudelt wurde. Jeder hat sie gespielt! Aber ich finde, dass „Your Mind“ durchaus Potenzial hat, so ein Klassiker zu werden wie „House of House“. Und „House of House“, das weiß ich noch … Da war ich mit Markus im Club Yellow in Tokyo. Er hat dort aufgelegt. Und als er den Track spielte, dachte ich nur so „Das kann ja wohl nicht wahr sein, was ist das denn für eine geile Nummer?!“

 

Apropos … Auch „You gotta say Yes to another Excess“ war / ist eine geile Nummer.
Danke, wir bekamen von Yello die Anfrage, einen Remix zu machen. Es sollte ein Album entstehen, mit den unterschiedlichsten Remakes von Yello-Stücken. Und ich bin ganz sicher kein Poser oder Angeber, aber dieses Ding ist uns wirklich super gut gelungen. Das fanden auch die Leute. Ich weiß noch, als ich auf der Mayday war und Markus den Track gespielt hat. Und er war längst nicht der einzige. „You gotta say Yes“ war ohne Übertreibung die inoffizielle Hymne und lief in der Nacht fast bei jedem DJ. Ein toller Track, entstanden in einer tollen Zeit.

Ein tolles Gespräch, danke für die tolle Zeit, Rolf. Wir sehen uns – dort, wo alles anfing, bei Nature One 2022.

 

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