Lili Boulanger – FRAGMENTS II – eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Lili Boulanger – FRAGMENTS II – eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Credit: Gemeinfrei (1913)

Die französische Komponistin Lili Boulanger (1893 – 1918) war ein außergewöhnliches Talent ihrer Zeit. Schon früh zeigte sich ihr musikalisches Genie: Als erste Frau gewann sie den renommierten Prix de Rome und brach damit in eine fast ausschließlich männliche Domäne ein. Boulanger schuf in ihrem kurzen Leben eine beeindruckende Anzahl an Kompositionen, die von ihrer einzigartigen Perspektive und ihrer tiefen Sensibilität geprägt waren. Ihre Werke oszillierten zwischen Tradition und Avantgarde und spiegelten die sozialen, gesellschaftlichen und künstlerischen Themen ihrer Zeit wider. Trotz ihrer Erfolge und ihres enormen Talents konnte Boulanger ihre wichtigsten Werke nie selbst in einer Aufführung erleben, da sie nach einer langen Krankheit bereits im Alter von 24 Jahren verstarb.

Heute, über ein Jahrhundert später, tritt Boulanger erneut ins Rampenlicht – diesmal durch eine zeitgenössische Interpretation ihrer Musik. Mit „FRAGMENTS II“, das am 20. September über Deutsche Grammophon erschien, werden ihre Werke von einigen der innovativsten Künstler*innen der internationalen elektronischen Musikszene neu interpretiert und bearbeitet. Das Album vereint 14 Remixe und Reworks von etablierten Acts und Newcomer*innen, die dabei eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen, darunter Pølaroit, Joplyn, Anja Schneider, Niklas Paschburg, Fejká, Ann Clue, il:lo, Gryr, Angara, Rodriguez Jr., Marta Cascales Alimbau, Keni Sakuda und Snorri Hallgrimsson.

Nach dem Erfolg der ersten Ausgabe von „FRAGMENTS“ im Jahr 2022, in deren Rahmen die Werke des französischen Komponisten Erik Satie neu interpretiert wurden, folgt nun die Fortsetzung mit Lili Boulanger im Fokus. Das musikalische Spektrum der neuen Veröffentlichung reicht von clubbigen House- und Techno-Remixen über warme, melodische Electronica bis hin zu beatloser Neo-Klassik. Die Künstler*innen wurden bewusst aufgefordert, ihre persönlichen musikalischen Stile in die Reworks einzubringen und nichts allzu Intellektuelles zu produzieren. Für Ann Clue war die Arbeit an Boulangers Musik eine Adelung und Herausforderung zugleich: „Eine Komponistin wie Lili Boulanger zu remixen, ist eine große Ehre und eine echte Herausforderung zugleich. Es war eine faszinierende Reise, die eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlug und Genres und Persönlichkeiten miteinander verschmolz. Die Vereinfachung der Musik war entscheidend, selbst in einer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Vergangenheit hatte ihre Grenzen, und die Herausforderung von heute besteht darin, die Komplexität mit der Schönheit der Einfachheit in Einklang zu bringen. Meine Produktion zielt darauf ab, beide Epochen mit minimalen Effekten einzufangen und die Essenz der Vergangenheit zu bewahren.“

Auch Joplyn fühlte sich von Boulanger inspiriert und war begeistert von der Möglichkeit, die Grenzen ihrer eigenen musikalischen Ausdrucksweise zu erweitern: „Als jemand, der schon immer eine tiefe Wertschätzung für die klassische Musik des 20. Jahrhunderts (Impressionismus) empfunden hat und dem es ein Anliegen ist, dass jede Frau ihren Weg in diesem von Männern dominierten Bereich findet, hat mich dieses Projekt sofort in seinen Bann gezogen. Ich wurde inspiriert, mich selbst herauszufordern und dieses sehr komplexe und komplizierte sechsstimmige Chorarrangement von ,The Sirens‘ aufzunehmen, um es dann in ein melodisches House- und Techno-Geflecht des 21. Jahrhunderts zu verweben. Das eröffnete mir klangliche und harmonische Welten, mit denen ich noch nie zuvor experimentiert hatte. Diese Überarbeitung steht für mich für Dualität. Wohnzimmer und Club. Klassische und elektronische Musik. Alt und jung. Alles dazwischen. Ich bin so stolz und glücklich darüber, wie es geworden ist.“

Anja Schneider, eine der etabliertesten Stimmen der elektronischen Musikszene, sieht in Boulanger nicht nur eine bedeutende Komponistin: „Je mehr ich mich mit ihrem Leben beschäftigte, desto mehr wurde mir klar, dass sie eine unglaublich talentierte Künstlerin war, die es verdient, dass man ihr mehr Aufmerksamkeit schenkt. Ich bin eine große Verfechterin der Gleichberechtigung, und wir haben noch einen langen Weg vor uns. Ihre Musik ist nicht nur eine Momentaufnahme der Herausforderungen, mit denen Frauen in der Kunst konfrontiert waren (und immer noch sind), sondern auch eine lautstarke Erinnerung daran, dass die Stimme der Frauen wichtig ist. Ich bin stolz darauf, eine Rolle dabei zu spielen, dass ihr Einfluss noch für kommende Generationen nachhallt.“
Mit „FRAGMENTS II“ gelingt es Deutsche Grammophon, die Grenzen zwischen klassischer und elektronischer Musik aufzulösen und eine Plattform für den kreativen Dialog zwischen verschiedenen Epochen und Genres zu schaffen – eine Hommage an Lili Boulanger und ein Beweis dafür, dass ihre Musik noch heute inspiriert und begeistert.

„Fragments II“ von Lili Boulanger ist am 20. September 2024 via Deutsche Grammophon erschienen. Hier könnt ihr die Doppel-Vinyl käuflich erwerben.

Aus dem FAZEmag 152/10.2024
Text: Triple P
Credit: Gemeinfrei (1913)
Web: www.instagram.com/dgclassics