
René Desalmand lädt ein. Der Schweizer – bekannt unter dem Pseudonym Lump200 – läutete seine Karriere in den Nullerjahren mit mehreren Releases auf Mental Groove und Kompakt ein, die wenig später auf den ikonischen „Fear And Loathing“-Mixes von Luke Slater landeten. Seither konnte der mit einem fabelhaften Hang zu rhythmisierten Sprach-Vertonungen ausgestattete Avantgarde-Künstler immer wieder durch seine modularen und unkonventionellen Sound- und Beat-Montagen auf sich aufmerksam machen, veröffentlichte mehrere Off-Label-Alben und bewegte sich im stetigen Austausch zwischen Komposition und Improvisation. Kumuliert ist dieser spannende Werdegang nun in „Isles Of You“, einem Album, das zur Kooperation einlädt und Potenzial für einen unendlichen Projekt-Output im digitalen Raum offenbart. Was dahintersteckt, erfahrt ihr im Feature.
Willkommen auf den „Isles Of You“. Der Titel ist nicht nur namensstiftend für Desalmands neues Album (und Label), sondern auch für die gleichnamige Web-App, die als offene Projekt-Plattform agiert. Lump200 gibt hier seinen einzigartigen Elektro-Clash zur Beteiligung frei und stellt Instrumentals sowie Vocals zur Verfügung, die von den Nutzer*innen editiert werden können. Hierzu erklärt er: „Der Wunsch, dass Inhalt und Sound zu meinen Tracks von unterschiedlichsten Menschen stammen, begleitet mich schon lange. Im ersten Stadium der App können die Leute auf eine zunächst beschränkte Anzahl von Tracks zugreifen, diese vollkommen individuell bearbeiten und anschließend wieder für andere User*innen freigeben. Auf diese Weise können unendlich viele Versionen von einem Track entstehen, die im Extremfall nur noch die Zeitspanne gemein haben.“ Die Webpräsenz ist Anfang März online gegangen – zunächst als Betaversion. Die Beteiligung sei laut Desalmand zwar noch nicht riesig, doch der Fokus liege ohnehin zunächst eher auf einem vorsichtigen Herantasten an das Sujet und auf der Optimierung von Prozessen. „In Sachen Erwartungen versuche ich, mich zurückzuhalten, weil ich das Tool mit der Hoffnung verbinde, dass es Blüten treiben wird, die ich mir selbst nicht hätte ausdenken können. Die potenziellen Möglichkeiten, ,Isles Of You‘ zu nutzen, sind jedenfalls ganz schön vielfältig“, so der Schweizer. Das glauben wir gerne. In der Theorie ist „Isles Of You“ schließlich ein Projekt für die Ewigkeit, das Lump200 mit folgendem Leitsatz beschreibt: „Dem Konzept liegt die Idee einer radikalen Offenheit zugrunde, die permanente Veränderung und auch die Abgabe von Kontrolle zur Folge hat.“
Zurück zum ursprünglichen Album – dem Original. Für den Langspieler hat René Desalmand mal wieder reichlich Experimentierfreude an den Tag gelegt und verschiedene Gegensätze unter einen Hut gebracht: Meditation meets Hektik, Minimalismus trifft auf Maximalismus. Zum einen bekommen wir also üppige Übertreibungen und Überlastungen zu hören, zum anderen aber auch viel Leerlauf und Raum zum Durchatmen. Unterstützung erhielt Lump200 bei der Produktion von seinem langjährigen Weggefährten Orlando de Boeykens (an der Tuba) und der begnadeten Vibrafon-Künstlerin Els Vandeweyer, die in „Kryptomarch“ etwa als Bindeglied zwischen leichten Synth-Melodien und schweren Layer-Sounds agiert. Zum Einsatz kommt sie auch in „Cex“, einem der interessantesten Stücke der LP, auf dem unter anderem eine Orgel, ein Marktschreier und ein Gockel zu hören sind. Crazy! Während die Tracks auf dem Album also erwartungsgemäß voller Experimente und Komplexitäten stecken, sollen die Audiodateien der Web-App zugänglicher gestaltet werden: „Die Tracks auf der App sind einfacher, weniger dicht und sozusagen die Verlängerung des Albums. Sie bringen hoffentlich die notwendige Offenheit für weitere Mutationen mit“, erklärt Desalmand abschließend. Mit „Isles Of You“ hat sich der für seine transmedialen und interdisziplinären Arbeiten preisgekrönte Künstler jedenfalls etwas erschaffen, das ihn wohl das ganze Jahr und darüber hinaus beschäftigen wird. Darüber hinaus seien aber auch wieder Shows sowie eine Installation in einer ehemaligen Bierbrauerei geplant.
„Isles Of You“ erscheint am 12. Mai auf dem gleichnamigen Label.
Aus dem FAZEmag 135/05.2023
Text: Hugo Slawien
Foto: Marion Masuch
www.islesofyou.com