Machinedrum – eine Reise durch Zeit und Klang

Travis Stewart, besser bekannt als Machinedrum, begann die Reise zu seinem elften Studioalbum am 4. März in Joshua Tree, Kalifornien. Anlässlich seines 41. Geburtstags suchte er dort nach Klarheit und Inspiration. „Ich war schon oft im Joshua Tree und habe immer ein großes Maß an Klarheit gespürt“, erklärt Stewart. „Ich wusste, dass ich irgendwann dort etwas Kreatives erschaffen sollte.“ Das Ergebnis trägt den Titel „3FOR82“ und baut auf dem vokalzentrierten, genreübergreifenden Stil seines letzten Albums „A View Of U“ aus 2020 auf und erweitert die thematische Grundlage der 2023er EP „4#TRAX“.

Zwischen Drum ‘n‘ Bass, Hip-Hop, Jazz, R&B und Juke fügt Stewart eine Vielzahl von Kollaborationen hinzu. Jesse Boykins III, Co-Executive Producer des Albums und enger Freund, trägt maßgeblich dazu bei, während Künstler wie Tinashe, KUČKA, Duckwrth und andere das Album bereichern. Diese prismenartige Herangehensweise an Kollaborationen baut auf den schnellen Vocal-Manipulationen auf, die Stewart bekannt machten, besonders durch „Room(s)“ in 2011 und „Vapor City“ aus 2013. Erschienen ist das Album bereits am 24. Mai bei Ninja Tune, begleitet von einem exklusiven gedruckten Magazin, entworfen von dem visuellen Künstler Joseph Durnan. Da Ninja Tune eines von Stewarts Lieblingslabeln war, spiegelt dies ein Leitmotiv des Albums wider: Nostalgie durch eine zeitgenössische Linse zu betrachten.

In Joshua Tree durchforstete Machinedrum alte Festplatten voller Beats aus den späten 90er-Jahren, erstellt mit dem Freeware-Programm Impulse Tracker. „Dort habe ich meine ersten Schritte in der elektronischen Musik gemacht“, erinnert er sich. Obwohl er seit Jahren Ableton Live nutzt, sehnte er sich danach, zu seinen Wurzeln zurückzukehren: „Die Software ist sehr einschränkend, und aus diesen Einschränkungen entsteht eine einzigartige Kreativität.“ Mit einem DOS-Emulator, der Impulse Tracker laufen ließ, spielte er seine alten Beats ab und entwickelte daraus neue Samples, die in eine eigene Bibliothek einflossen und „3FOR82“ seinen einzigartigen Klang verliehen. „Von da an gab es kein Zurück mehr“, sagt Stewart lächelnd. „Es schloss die Lücke zwischen meinem früheren und meinem zukünftigen Selbst.“ Während dieser Phase nahm er sich und seine Umgebung mit einer VHS-Kamera auf und integrierte diese Videoaufnahmen in seine Musik.

Zeit spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von „3FOR82“. „Ich ging von der Phase des Sammelns von Ideen in eine Phase des reinen Experimentierens und der Schöpfung über“, erklärt er. Innerhalb eines Monats erschuf er 45 Track-Ideen, aus denen er die stärksten auswählte und weiter ausarbeitete. Die Ideen, die ihn am meisten ansprachen, boten natürliche Räume für Vocals. Stewart holte so viele Sänger*innen wie möglich ins Studio, um sie persönlich zu treffen und Gespräche zu einem bestimmten Thema aufzuzeichnen: „Wenn du deinem jüngeren Ich begegnen könntest, was würdest du ihm sagen?“ Aus diesen Gesprächen entstanden Texte, die die Sänger entweder für oder als ihr jugendliches Selbst schrieben. Diese Zitate wurden in die Musik integriert und als Monologe oder Samples verwendet. „3FOR82“ eröffnet mit „Oracle“, in dem Aja Monet über das Alleintanzen reflektiert. In der Single „ZOOM“ erzählt Tinashe von jugendlicher Lust auf der Tanzfläche; in „KILL_U“ erinnert Tanerélle daran, dass man sich manchmal verloren fühlt, aber dann wiederfindet; in „U_WANT“ versichert KUČKA sich selbst, dass bessere Tage kommen werden; und in „RISE“ singt ROZET über das Wachsen von der Erde bis in den Himmel. Diese thematische Tiefe verleiht dem Album eine zarte und kraftvolle Wirkung und verbindet R ’n‘ B, Pop, Jazz und Drum & Bass.

In seiner jahrzehntelangen Karriere, die verschiedene weitere Projekte umfasst – darunter Sepalcure mit Praveen Sharma – bleibt Kollaboration der Antrieb von Stewart. „Wenn man genau hinsieht, haben Vocals schon immer eine wesentliche Rolle in meinen Songs gespielt“, reflektiert er. „Ob sie zerschnitten und wie ein gespenstischer Klang im Hintergrund oder als Hauptsänger auftreten, ich habe die Stimme immer als essentielles Instrument betrachtet.“ Aber warum blickt ein futuristischer Künstler zurück? Aufgewachsen im ländlichen North Carolina, entdeckte der junge Travis Stewart Tanzmusik nicht auf Dancefloors, sondern über Internetforen, MP3-Downloadseiten und Produktionssoftware. „Da ich besessen von Musik war, die für Umgebungen gemacht wurde, in denen ich nicht aufgewachsen bin, hatte ich eine Außenperspektive und schätzte den ,Schlafzimmer-Hörer‘-Aspekt“, sagt er. „Ohne anfänglich zu hören, wie DJs diese Tracks interpretieren, wurde das Erstellen von Musik für Zuhause und den Club ein Schlüsselelement meiner Arbeit.“ Nach Jahren in Berlin, New York City und Los Angeles inspirierte ihn die Mischung all dieser Einflüsse zu seiner Musik.

Als Hommage an die Bedeutung des Screen Glows für seine künstlerische Entwicklung veranstaltet Machinedrum monatliche Online-Beat-Battles namens COMPO, inspiriert von seinen frühen Erfahrungen als Beatmaker. „Die Begrenzung durch kleine Zip-Dateien war notwendig, da man über ein Modem keine größeren Dateien teilen konnte – das führte zu einer coolen, herausfordernden Dynamik“, erklärt er. Mit COMPO und der 3FOR82-Soundbibliothek kollaboriert er mit seinem jüngeren Ich und haucht alten Ideen neues Leben ein. „Eine ganze Community hat sich um COMPO gebildet, und die Begeisterung, die ich gesehen habe, ist unglaublich.“ Daraus gewonnen hat er u.a. die Erkenntnis, die im Titel des Albums mitschwingt: „Es hat 41 Jahre gedauert, um zu erkennen, dass ich immer von Polyrhythmen und der Interaktion von drei und vier fasziniert war, was wahrscheinlich unbewusst von meinem Geburtstag beeinflusst wurde. Ich liebe Rhythmen mit sich verschränkenden Dreiermustern über einem 4/4-Takt, und ich liebe die Dreierregel, weil das Publikum bei Präsentationen in drei Teilen aufmerksamer ist.“ Der Schaffensprozess für „3FOR82“ war in drei Phasen unterteilt: „Soundbibliothek und Palettenerstellung, experimentelles Kreieren und Finalisierung.“ So klingt ein Echo des impliziten Vierten: wie Stewarts Publikum die Verwebung von Klängen, Stimmen, Zeitzonen und menschlichen Erinnerungen aufnimmt, die in „3FOR82“ einfließen. Eine Verfeinerung des Templates, das Travis Stewart zu einer dauerhaften Präsenz in der elektronischen Musik des 21. Jahrhunderts gemacht hat, und eine Erweiterung dessen, was ein Machinedrum-Album jetzt und in Zukunft sein kann.

Hier könnt ihr in das Album „3FOR82“ reinhören und dieses käuflich erwerben:

Das Album „3FOR82“ von Machinedrum ist am 24. Mai 2024 via Ninja Tune digital und als Vinyl erschienen.

Aus dem FAZEmag 149/07.2024
Text: Lisa Bonn
www.instagram.com/machinedrum