Der Berliner DJ und Produzent Marlon Grell hat am 23. Dezember seine erste EP veröffentlicht. Die Premiere, das ist schon etwas sehr Besonderes. Aber in diesem Fall ist es mehr als nur besonders, denn die „Rough House EP“, die auf Détente Records erscheint, ist das Produkt einer ganz besonderen Verbindung. Koßlek, so sein bürgerlicher Name, hat mit seiner Freundin ein Flüchtlingspärchen, Ayman und Leen aus Syrien, aufgenommen. Mit Ayman landete er schließlich in seinem Studio …
Wann habt ihr diesen Entschluss gefasst und warum?
Wir haben uns gefragt, wie wir am besten unsere Hilfe zu diesem Thema beisteuern können. Immerhin komme ich aus den neuen Bundesländern und auch einigen meiner damaligen Mitbürgern wurde Hilfe zuteil, indem man sie aufnahm oder sie anderweitig unterstütze. Es war uns also wichtig nicht nur einmalig Geld zu spenden, um damit seine innere Stimme seines sozialen Gewissens im Flüchtlingsthema zu beruhigen, sondern wir wollten etwas Dauerhaftes bewegen. Da uns beiden leider die Zeit fehlt, um in den örtlichen Einrichtungen beispielsweise Sachen zu sortieren (meinen größten Respekt an die Menschen die dort tätig sind) und wir einfach zu viel Platz daheim haben, entschlossen wir uns darüber nachzudenken evtl. Flüchtlinge bei uns aufzunehmen.
War das ein großer bürokratischer Akt?
Als wir uns entschieden den ersten Schritt Richtung Behörde/Unterkunft zu gehen, hatten wir keine Ahnung was es bedeutet im Amt nach Informationen über die Aufnahme von Flüchtlingen zu bekommen. Ich will niemanden Entmutigen, vielleicht sind die Umstände auch von Stadt zu Stadt anders, keine Ahnung. Ich rief insgesamt an fünf Tagen in unterschiedlichsten Institutionen an und wartete in gefühlten 100 Warteschleifen, telefonierte mit der örtlichen AWO und öffentlichen Einrichtungen niemand konnte mir etwas zu dem Prozess erzählen. Im Nachhinein kann ich jeden Empfehlen sich mit der örtlichen Koordination der Flüchtlinge in der Stadtverwaltung verbinden zu lassen, bloß nicht den Empfang anrufen und fragen ob die was wissen. 😉
Hattest du Einfluss auf die Wahl?
Als es dann zu einem ersten Treffen zwischen uns und der Frau von der Stadtverwaltung kam, verabredeten wir zunächst, Ausschau auf eine Frau oder einem jungen Pärchen zu halten die uns im nächsten Step dann bei Kaffee und lockerer Atmosphäre vorgestellt werden sollten, das war uns sehr wichtig diese Person kennen zu lernen bevor man zusammen lebt. Da uns die Frau von der Stadtverwaltung im ersten Gespräch so gut zuhörte und auch aus eigener Erfahrung einschätzen konnte, wer gut oder schlechter zu uns passen könnte, entschieden wir uns also im aller ersten Gespräch schon für unseren jetzigen Mitbewohner.
Wie funktioniert das Zusammenleben im Alltag. Gab oder gibt es hohe Hürden?
Klar gibt es gewaltige Unterschiede zwischen unseren Kulturen, aber ich muss sagen er hat sich weitestgehend angepasst an unser Leben, immerhin haben wir einen eineinhalbjährigen Sohn und zwei Hunde. Man kann sich vorstellen wie gerade das Thema Hunde auf jemanden wirkt, dessen Kulturkreis eine völlig andere Haltung zu Haustieren hat als unserer. Die ersten Tage hatte sich Ayam nicht ins Haus getraut, wenn wir unterwegs waren, und bat die Nachbarin die Tür aufzuschließen und die Hunde festzuhalten. Es sind ein Französische Bulldogge, die humpelt und röchelt, und ein 14-jähriger Labradormischling. Die tun keiner Fliege etwas zu Leide, aber für jemanden der diesen Umgang nicht kennt, waren das wahrscheinlich Monster.
Beim FIFA zocken mit den Kumpels hab ich auch versucht ihn einzubinden. Das schult natürlich die Sprache nochmal ganz anders, als wenn man in der Schule Vokabeln lernt. Mittlerweile will auch keiner mehr gegen ihn spielen, er ist einfach zu gut geworden. (lacht)
Kamen dir zwischendurch Zweifel?
Zweifel in dem Sinne nicht, ich weiß, dass wir das Richtige tun.
Eher muss die Frage lauten „Kamen zwischendurch Hürden die einen sofortigen Abbruch des Experiments bedeuteten?“
Ja, da es keine Aufzeichnungen über Impfungen gab, die er in Deutschland bekommen hat, noch Aufzeichnungen darüber, welche er in Syrien bekam. Wir entschlossen uns also ihm aus eigener Tasche eine Untersuchung zu bezahlen. Immerhin gibt es angesichts der Umstände dort Krankheiten, die hier als ausgerottet gelten. Diese Zahl ist zwar verschwindend gering und eigentlich wird man in Deutschland auch pauschal gegen solche Krankheiten mitgeimpft, aber das Risiko war für uns nur schwer zu überschauen. Und sicher ist nunmal sicher. Andernfalls hätte dass das aus für das Experiment bedeutet. Aber alles wie erwartet super.
Was hast du (bisher) von deinem Gast gelernt? Was können wir von Flüchtlingen lernen? Was beeindruckt dich an seiner Vita am meisten?
Am meisten Beeindruckt mich der Wille, es hier trotz aller Umstände schaffen zu wollen. Er ist seit sechs Monaten hier und spricht fließend deutsch. Im Vergleich dazu: Ich war mal zwei Jahre im Ausland und spreche immer noch ein eher mäßiges Englisch mit Händen und Füßen. Man lernt doch so vieles – auch sein eigenes Konsumverhalten in Frage zu stellen, wenn man sieht, mit wie wenig man doch auch zurecht kommen kann. Von diesen Eigenschaften kann man sich schon eine Scheibe abschneiden
Wie kam die Idee mit der Musik?
Das kam eher durch Zufall. Ich habe mein Studio im Keller unseres Hauses und da brummt es schon mal gern den ganzen Tag. Da kommt es dann unweigerlich zu Fragen, als wir dann feststellten das uns die entspannte Atmosphäre im dunklen Studio eine ganz andere, viel lockere Art über die Geschichte zu reden bescherte, inspirierte mich das beim rumtüfteln. Ich setze mich gern abends nochmal ins Studio und verarbeite das am Tag erlebte beim rumprobieren, und gerade diese Story der Flucht war wie eine nicht aufhörende Welle der Eingebung beim Produzieren der Tracks. Manchmal läuft’s eben halt und manchmal eben nicht.
Ich lebe schon lange in Berlin gelebt und habe einen bunten weltoffenen Umgang mit Menschen aller Herren Länder in der Szene kennenlernen dürfen, das inspirierte und beeinflusste meine Musik schon immer.
Haben sich die Meinungen aus deinem Umfeld inzwischen verändert?
Absolut, jegliche vorherige Zweifel sind mittlerweile aus dem Weg geräumt. Wir bekommen gute Unterstützung von Nachbarn und angehörigen in Form von Sachleistungen. Ich wünsche mir dass vielleicht auch andere sich für diesen Weg entscheiden.
Wie sieht die Zukunft aus? Wie ist sein momentaner Status?
Sein Asylantrag ist bewilligt. Ihrer noch nicht, sieht aber ganz gut aus, da sie ja verheiratet sind.
Der nächste Step wird die eigene Wohnung sein, solange sie die suchen werden sie bei uns bleiben können.
Marlon Grell – Rough House EP
1. Let go
2. Marrakesh
3. Marrakesh – Francesco Castaldo Remix
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