Matador – Heimatgefühle

Gavin Lynch alias Matador gilt zweifelsohne nicht erst seit seinem 2016 erhaltenen DJ Award in der Kategorie „Electronic Live Performer“ als vielversprechender Künstler. Mit seiner unglaublichen Musikalität und seinem technischen Verständnis sorgt er rund um den Erdball immer wieder für ausverkaufte Shows. Der Mann aus Dublin ist seit einigen Jahren auch Botschafter der Konsole NEVE 5088 und von Richie Hawtins Mixer PLAYDifferently MODEL1. 2016 gründete Lynch, der übrigens ausgebildeter Koch ist und bereits in den renommiertesten Sterne-Restaurants seiner Heimat gearbeitet hat, sein Label RUKUS, wo er neben eigenen Produktionen bislang Material von Acts wie Hector, Marc Houle oder Patrick Topping veröffentlicht hat. Nun startet Lynch die Vinyl-only-Serie „Cyclone“, die am 26. Juli mit der „Come With Me“-EP ihre Premiere feierte. Damit kehrt Lynch zu seinen Wurzeln zurück und zollt seinen ersten Jahren als Musiker Tribut, als er in Dublins Plattenläden regelmäßig auf der Suche nach neuen und interessanten Vinylscheiben war. Ein Interview.

Gavin, wie geht es dir und wie verlief das Jahr bislang für dich?

Sehr ähnlich wie die zweite Jahreshälfte 2018. Studio und Tourneen, und zwar viele davon. Ich verbrachte Zeit in Asien, Australien, Europa, Südamerika und den USA. Studiotechnisch hatte ich einige Freunde, die an einigen Kooperationen gearbeitet haben, bei mir zu Gast. Ich lebe am Meer, also mache ich meist lange Spaziergänge am Strand mit meinem Hund. Auch liebe ich das Kajakfahren, ich trainiere wieder und esse gesünder, meditiere, kümmere mich um mich selbst und konzentriere mich wirklich auf die Musik und den Output. Ich hatte eine Veröffentlichung mit ARTBAT auf RUKUS, die 2-Track-Kollaboration „Apollo11″ und dann war ich noch beim Ultra Miami im März. Ich habe ein paar neue Geräte und einige schöne Vintage-Stücke gekauft, also habe ich viel Zeit damit verbracht, an diesen individuell zu arbeiten und mich wirklich mit ihnen zu beschäftigen.

Du startest eine neue Vinyl-only-Serie. Erzähl uns mehr über die Idee und Philosophie hinter „Cyclone“.

Der Name stammt vom Klon der Roland 303, dem „Cyclone Bass Bot“, um genau zu sein. Ich benutzte ihn zusammen mit einem Vintage 303, um gemeinsam mit den verschiedenen Software-Versionen diesen echten, säuerlichen Sound zu kreieren, mit dem ich aufgewachsen bin und den ich zum ersten Mal auf den Plastikman-Alben gehört habe. Ich bin ein großer Fan der Roland-Maschinen und sie werden in dieser Serie häufig zu hören sein. Auch gibt es eine große Anzahl an Audiospuren oder Layer, es ist alles recht reduziert. Diese Serie bedeutet auch einen Anstieg in Sachen Tempo für mich. Bislang spielte sich mein Sound im Bereich zwischen 124 und 125 bpm ab, nun befindet er sich zwischen 128 und 130. Das ist ein großer Unterschied. Für das erste Release habe ich sieben oder acht Titel geschrieben und das Paket dann auf drei reduziert. Das Konzept war also, Musik zu schreiben, die sich stark auf eine Handvoll Maschinen und deren Variationen konzentrierte, das Tempo zu erhöhen und Primetime-Action zu liefern.

Hattest du eine bestimmte Inspiration?

Ja, ich erinnere mich sehr gerne an die Chemical Brothers und ihre „Electronic Battle Weapon“-Serie. Das war auch eine Vinyl-Serie, jeweils immer aus einem Track bestehend, die in den späten Neunziger- und Nullerjahren alle paar Jahre veröffentlicht wurde. Und im Prinzip war es genau das – eine elektronische Waffe für den Dancefloor. Tracks, die eine unglaubliche Energie und Spannung erzeugten und am Ende in voller Ekstase mündeten – quasi das Highlight deines Sets. Maximales mit Minimalem erschaffen, das war definitiv eine Idee. Die Elemente mussten wirklich für sich selbst stehen und etwas außergewöhnlich klingen, das war mein Anspruch.

Das Projekt wird ein reines Vinyl-Projekt sein. Erzähl uns von deiner Verbindung zu Vinyl.

Nun, ich fing damit an, Platten zu spielen, als ich 16 war, und hörte in meinen späten Zwanzigern auf, als ich bei M-NUS als Live-Act angefangen habe. Das habe ich jetzt sieben Jahre lang getan. Ich hatte aber natürlich immer Plattenspieler zu Hause und habe auch jede Woche daran gespielt. Vinyl ist Nostalgie pur für mich. Dieses Besondere, fast magische Gefühl von früher, zu wissen, dass es nur zehn Kopien dieser Platte in diesem Laden in Dublin gab und man eine davon besitzt, während die anderen neun an elitäre Leute gegangen sind wie Radio-DJs, die größten Bands der Stadt oder jemanden, der den Besitzer des Ladens kannte – das ist schon geil. In diesem Moment war einem klar, dass dort drin so etwas wie eine Gemeinschaft herrschte. Ich erinnere mich noch genau, dass man auch absolut nichts reservieren konnte – first come, first serve. Es war also immer eine Art Challenge, die neueste Musik als Erster zu spielen. Ohne Internet war es eine große Herausforderung, immer am Puls der Zeit zu bleiben. Die beste Methode dafür war also eindeutig, so viel Zeit wie möglich im Plattenladen zu verbringen. Dieses Gefühl von früher wollte ich rekonstruieren mit der neuen Serie. Der größte Teil meiner Musik wurde bis dato digital veröffentlicht, nur eine Handvoll meines früheren Materials auf M-NUS war auf Vinyl. Nun limitiere ich dieses Release auf 300 Stück und bin gespannt, wie das Projekt wahrgenommen wird.

Du arbeitest darüber hinaus noch an einem Ambient-Album, habe ich gelesen.

Ja, und ich habe einen Großteil davon erst kürzlich bei einem sehr besonderen Anlass gespielt. Ursprünglich wollte ich mich mit Freunden und Kollegen aus der Industrie treffen, aber abseits der Backstage-Umgebung, die man von Festivals und Clubs gewohnt ist, um einige Zeit mit den Teams an der Westküste zu verbringen. Wir wollten ein Abendessen so genießen, als wären wir zu Hause in Irland – gutes Essen, gute Gesellschaft und einfach entspannen. Wir wählten Zutaten und Gerichte aus der Heimat aus. Das ist in diesem Fall ein kleines Fischerdorf außerhalb von Dublin City direkt an der Küste. Kutter kommen und gehen, alte Kerle rauchen Pfeife, an jeder Ecke Hummertöpfe. Es handelte sich also um eine Meeresfrüchtekarte mit Gemüse. Sehr einfach, aber unfassbar lecker. Ich hatte beschlossen, der Nacht mehr hinzuzufügen, und machte mir also einen Kopf um die musikalische Untermalung. Es sollte etwas sein, was wir den ganzen Abend über hören könnten und die Kulisse ergänzt. Mein Studio liegt etwa 20 Meter vom Meer entfernt und befindet sich in der Flugbahn vieler verschiedener wilder, wandernder Vögel, es gibt ein Reservat direkt an der Küste gegenüber der Bucht, also ist es ziemlich malerisch, ziemlich ruhig und der perfekte Ort, um Ambient-Musik zu schreiben. Am Ende sind so fast vier Stunden Material entstanden, die sich perfekt in den Abend eingegliedert haben. Wir haben das Event im ehemaligen Haus von Steve McQueen in den Hollywood Hills gehostet, was eine unglaubliche Kulisse war, und in letzter Minute haben wir das Abendessen selbst gekocht, da unser Caterer abgesagt hat. Aber irgendwie fühlte es sich so an, als ob es genau so sein sollte, weil im Endeffekt alles genau so richtig war.

Über deine Leidenschaft fürs Kochen sprechen wir gleich noch. Zuerst einmal wüsste ich gerne, was an den Gerüchten über eine Kollaboration mit Richie Hawtin dran ist.

Ja, Richie kam im März dieses Jahres für zwei Tage in mein Studio nach Dublin und wir arbeiteten an zwei Tracks. Der eine ist ein Remix eines alten Fuse-versus-LFO-Tracks von ihm selbst aus den Neunzigern und wird später in diesem Jahr, vielleicht sogar erst 2020, auf Plus8 veröffentlicht. Der zweite Track war ein komplett neuer Titel, zu dem es noch kein genaues Release-Date gibt. Ich habe den Track bereits mehrmals in meinen Sets gespielt und die Resonanz war unglaublich. Mal sehen, was damit passiert.

Es scheint, als verbringst du sehr viel Zeit im Studio. Wie läuft deine Arbeit dort in der Regel ab?

Ich versuche stets so produktiv wie möglich zu sein. Ich bin dort umgeben von vielen Instrumenten und Maschinen und bin daher permanent in dieser Stimmung. Ein Projekt kann bei mir auf sehr unterschiedliche Weise entstehen. Entweder spiele ich einfach nur herum, stolpere über einen Riff oder höre einen besonderen Sound im Fernsehen, Radio oder am Flughafen. Wenn es passt, stehe ich fünf Minuten später am Synthesizer und versuche diese Idee umzuwandeln. So ziemlich alles wird aus originaler Hardware erzeugt und ich neige dazu, nur hier im Studio aufzunehmen, hier zu mischen und generell von Anfang bis Ende alles an einem Ort zu erledigen.

Was sind deine Favoriten in Sachen Soft- bzw. Hardware?

Was die Software betrifft, so habe ich viele der Universal-Audio-Plugins sowie auch viele der Roland-Plugins und die Roland Cloud, die Arturia Collection. Ich nutze diese meist auf Reisen, wenn tatsächlich mal etwas von unterwegs aus fertig werden muss und ich die Hardware nicht bei mir habe. Im Studio ist mein Lieblingssynthesizer wahrscheinlich der SH101 – den habe ich am häufigsten benutzt. Der 303 und der Arp2600 von Roland gehören zu den neuesten Vintage-Synths, die gelten bei mir quasi als Neuzugänge. Die Yamaha CS60, ebenfalls sehr cool, und das neueste Flaggschiff von Moog, die Moog One. Weg von den Synths sind es definitiv der Universal Audio 1176, meine Neve-Konsole mit Vorverstärkern und Kompressoren, die alle fest verdrahtet sind. Für die Mastering-Phase sind es einige Manley-Geräte, Massive Passive EQ und ein Shadow-Hills-Mastering-Kompressor.

Ebenfalls eine Menge Zutaten benutzt du regelmäßig in der Küche – deine zweite große Leidenschaft, die du sogar bereits beruflich auf höchstem Niveau ausgeübt hast. Was gefällt dir am Kochen am besten?

Um ehrlich zu sein auch hier das Zusammenfügen von Komponenten zu einem fertigen Produkt. Ich liebe es, genau zu wissen, was ich konsumiere, und all die verschiedenen Entwicklungsprozesse, Geschmacksrichtungen und Kombinationen zu kennen. In der Tat habe ich das jahrelang professionell verfolgt, habe das College besucht und danach eine Ausbildung zum Koch gemacht und in einigen großen Küchen in Dublin gearbeitet. Dann bin ich jedoch zurück aufs College, um Tontechnik zu studieren, ehe die Musik mein Vollzeit-Job wurde. Wenn ich zu Hause bin, koche ich jeden Tag für Familie und Freunde, dabei suche ich immer nach qualitativ hochwertigen Produkten und versuche, die Standards zu halten, die ich in Restaurants gekocht habe.

Welches Gericht kochst bzw. isst du am liebsten?

Wenn ich auf Tour bin, reise ich ja quasi permanent durch verschiedene Kulturen und Lebensmittel. Wenn ich allerdings vier Wochen in Asien unterwegs war, versuche ich schon etwas komplett anderes zu essen, sobald ich wieder zu Hause bin. Unterwegs lasse ich mich viel inspirieren und wenn ich etwas finde, was mir besonders gefällt, versuche ich zu Hause, es nachzukochen. Und wenn ich so etwas wie meine Leibspeise nennen muss, dann ist das definitiv ein Sonntagsbraten mit allem Drum und Dran. Dabei spielt es dann keine Rolle, ob es Sonntag ist oder nicht. (lacht) Das kann auch gerne variieren – Brathähnchen, Rindfleisch oder Nussbraten. Gemüse, Soße, Bratkartoffeln dazu und ich bin glücklich und fühle mich sehr mit der Heimat verbunden.

Welche Termine bzw. Dinge aus deiner Agenda für die nächsten Wochen und Monate machen dich ebenfalls glücklich?

Im Sommer sind das so einige. Es stehen viele tolle Termine auf Ibiza bevor, auch wird es ein offizielles RUKUS-Showcase beim BPM in Portugal geben im September und darüber hinaus einige ausgewählte Termine in Europa und in Südamerika bis 2020. Zudem wird es einige großartige Veröffentlichungen auf RUKUS geben und ich plane meine Live-Show 2.0.

 

Aus dem FAZEmag 090/08.2019
Text: Triple P
Foto: Pato Cassinoni