„Mein Jahresrückblick 2023“ – die Kolumne von Marc DePulse

Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Mein Jahresrückblick 2023“

Hallo, Marc. Hast du Zeit und Lust, einen kleinen Jahresrückblick aus deiner Sicht zu schreiben?“ – funkte es aus der FAZEmag-Zentrale. Klar, habe ich. Doch wo fange ich an und wo höre ich auf? Schwierig, das ganze Puzzle auf eine Seite zu bringen. Zu viele kleine und große Baustellen hatten wir über das Jahr verteilt.

Aus Beobachtersicht: 2023 hatte ich bei einigen Kolleginnen und Kollegen den Eindruck, als müssten sie auf Teufel komm raus die verlorenen Pandemie-Jahre ganz schnell nachholen. Höher, schneller, weiter. Mit dem Kopf durch die Wand. Und zwar mit Anlauf. Frei nach dem Motto: „Jedem das seine, mir das meiste! Die Szene gehört mir! Die größten Bühnen. Die fettesten Gagen. Jetzt sofort!“ Moment. Szene? Gibt es nicht mehr. Zumindest nicht mehr so, wie wir sie kannten. Zu groß ist der Pool geworden, zu aufgebläht der Markt. Wer nach Subkultur sucht, muss tiefer kramen. Aus dem einstigen Family-Feeling ist ein brutaler Wettkampf geworden, bei dem sich jeder selbst der Nächste ist. Aus Freunden wurden Konkurrenten. Aus gegenseitiger Hilfe wurden Nicht-Gönnen und Cancel Culture. Eine gewisse Leidensfähigkeit und Opfergabe gehören also zu den neuen Grundtugenden, wenn man oben mitschwimmen will.

Während Deutschland im Techno-Fieber ist, läuft meine Musik hauptsächlich in anderen Ländern. Ich jammere nicht, ich stelle nur fest. Im gleichen Atemzug aber stellt sich die Frage: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Um der Antwort darauf Würze zu verleihen: Wer weiterhin gut gebucht sein möchte, darf nicht mit halben Dingern kommen, erst recht keine Leere verspüren. Wenn man jahrelang schon sehr viel entertainen musste, muss man heute doppelt so viel machen, sonst wird man ganz schnell überholt und abgehängt. Masse schlägt Masse schlägt Masse. Doch steigen wir bitte mal aus dem Hamsterrad aus. Es prasselt ohne Ende. Will man diesen Trubel noch mitmachen? Wenn ja, wie lange? Auf wie vielen Plattformen soll ich noch im Dauerfeuer-Modus posten, damit ich „hip“ bleibe? Der Druck ist immens geworden. Was macht das mental? Darf man Schwäche zeigen oder ist man dann sofort von der Bildfläche verschwunden?

Aus meiner ganz persönlichen Sicht: Ich habe das Jahr 2023 als erfolgreichstes Jahr überhaupt abgeschlossen, auch ohne TikTok-Account. Ich bin in meinem Subgenre Bestseller auf Beatport, habe Hunderttausende monatliche Streams und durfte als DJ ganze fünf Kontinente bereisen, um meine Musik zu spielen. Dafür habe ich fleißig im Studio gearbeitet und dabei wenig nach links und rechts geschaut, als es darum ging, meinen Sound weiterzuentwickeln. Ich habe gelernt, ganz bei mir zu bleiben. Auf der Bühne als auch im Studio. Will heißen: mich von keinen äußeren Einflüssen lenken zu lassen. Keinen Trends zu nachzueifern, sondern ausschließlich das zu machen, worauf ich Lust habe und nicht das, was mir irgendwer einredet. Diese Entscheidung wirkte schon vor Jahren wie eine Befreiung. Stress und Druck adé, Kreativität und Freigeist olé. War also in den zurückliegenden Monaten alles Gold, was glänzt? Mitnichten. Es gab Phasen, in denen wir uns angeschaut und gefragt haben: „Was nun?“ Diesen Zeitraum im zweiten Halbjahr hatten wir alle. Inflation, Rezession, Kriege, Trübsal. Tage und Wochen, an denen Erfolgserlebnisse, gute News fehlten.

Worauf kommt es also im neuen Jahr an? Ich sage: Auch in schwierigen Phasen klar bleiben! Zielstellungen setzen und verfolgen. Netzwerke und Strukturen aufbauen, Philosophien folgen und diesen treu bleiben. Stellschrauben drehen und anpassen, aber dafür die Nase nicht nach dem Wind richten. Aus meiner Erfahrung bringt es zudem wenig, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Stattdessen sollte man sein Alleinstellungsmerkmal finden und prägen, seine eigene Marke entwickeln und stärken. Always remember: Einer Innovation folgen immer unzählige Imitate. Und kein Imitat hat nachhaltig Erfolg. Brechen wir es mal runter: Kein Fake-Profil ersetzt harte Arbeit. Keine gekauften Likes ersetzen ehrliches Feedback. Kein Social-Media-Hype ersetzt Talent und Können. Kein langfristiger Erfolg passiert zufällig und nichts passiert ohne Grund. Kein Hype hält ewig. Qualität schlägt jeden Trend. Und Trash bleibt Trash.

Egal, wie viele Münzen das jetzt ins Phrasenschwein waren: Happy new year euch allen! Bleibt kreativ, bleibt euch treu. Und bleibt vor allem gesund.

Aus dem FAZEmag 143/01.2024
Text: Marc DePulse
www.marc-depulse.com

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