Mike Litt – Anekdoten aus dem DJ-Zirkus
Über 400 Mal hat Moderator Mike Litt immer freitagabends Autoren in seine 1LIVE Klubbing-Sendung eingeladen. Mitte Oktober wurde er selbst als Autor angekündigt – mit seinem autobiographischen Debütroman „Der einsamste DJ der Welt“. Das Buch klingt melancholischer als es tatsächlich ist. Mike Litt erzählt anekdotenreich von ersten Aushilfsjobs als Steinplattenschleifer, Pommesbräter und Lokalzeitungsjournalist. Er versucht, mit einer fahrenden Waschmaschine nach Barcelona zu kommen, gleichzeitig als DJ und Barmann allein im Club zu bestehen – und trotz Lispeln einen Platz beim Radio zu ergattern. (1LIVE hörte er das erste Mal beim Aioli-Zubereiten in einem spanischen Restaurant.) Es wird ein steiniger Weg durch den Staub zu den Sternen – aus den tollpatschigen Anfängen im Ruhrgebiet zum Fußball-, Musik-, Literaturexperten in verschiedenen Sendern der Republik – bis zu seiner inzwischen legendären Heilig-Abend-Sendung „Der einsamste DJ der Welt“.
FAZE: Warum dieses Buch? Hast du manchmal in deiner 1LIVE Klubbingsendung gedacht: „Das kann ich auch“?
MIKE: Da habe ich – ganz ehrlich – nie gedacht! Jeder, der die Sendung kennt, weiß, dass meine Gäste auch nie wie in einem Literaturseminar auseinander genommen und ausanalysiert werden. Ich behandele jeden Gast mit Hochachtung. Und zwar deshalb, weil ich erstmal einen riesigen Respekt davor habe, wenn jemand ein Buch zu Ende gebracht hat. Egal, ob ich es mag oder nicht. Und genau das hatte ich ja selber nie geschafft – das Buch zu Ende bringen – , obwohl ich schon seit meinem 15 Lebensjahr sehr viel und regelmäßig schreibe. Ich habe mir das selber aber auch immer damit entschuldigt, dass ich so viel anderes zu tun hatte: Die Sendung moderieren und die Bücher meiner Gäste lesen, meine Karriere als DJ verfolgen.
„Je härter der Anreise, desto größer müsste die Freude sein“, steht an einer Stelle Deines Romans. Ist das eine Lebensphilosophie, die sich bei Dir bewahrheitet hat?
Ich glaube oft und sehr naiv, dass es so sein sollte. Einige Male habe ich auch schon diese Erfahrung gemacht und bin für meine Ausdauer positiv belohnt worden. Andererseits denke und weiß ich auch: sich abzuplagen und abzukämpfen in der Hoffnung, dass man dafür belohnt wird, ist oft auch falsch. Wenn zuviel schief läuft, sollte man einfach „Stop“ sagen und eine Idee aufgeben.
Es geht in deinem Buch vielfach um Verlust. Warum hast du dich dennoch fürs Radio entschieden – über das gesagt wird, sein Inhalt „versende“ sich?
Wenn Du Radio hörst und es berührt Dich, vergisst Du so einen Moment dein Leben lang nicht. In meinem Buch schreibe ich über eine Radiosendung, die ich als Kind gehört habe. Ich habe sie nicht vergessen. Und in meinem Kopf sind ganz viele Radiomomente – jüngere und ältere – die bleiben. Sorry, da kann auch das Internet nicht mithalten.
Warum?
Wenn mir da jemand in fünf Minuten zwanzig Links zu Songs zupostet, die ich mir mal anhören soll, und dazu schreibt „Geiler Track!“ oder „Hör‘ Dir das an! Das ist der Burner!“ – das ist ja gar nicht möglich, das bleibt doch nicht hängen. Eine gute Radioshow mit einer Moderation, die berührt und Atmosphäre hat, brennt sich in den Kopf.
Nur sehr kurz erwähnst du deine Zeit als Sänger in einer Band – was hast du da gemacht?
Ich habe in mehreren Bands gesungen und gespielt. Aber Bands sind eine sehr komplexe Angelegenheit: verschiedene Charaktere, unterschiedliche Auffassungen von der Sache und der Idee der Band. Wenn nicht eine Art von Durchbruch zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt kommt, sieht es in der Summe so aus: jahrelang in einem Bunker zum Proben getroffen, ein paar Auftritte, irgendwann Auflösung. Das habe ich ein paar Mal erlebt. Aber auf Musik wollte ich nach der vierten Bandauflösung nicht verzichten.
Bist du deshalb DJ geworden – weil du von anderen unabhängig bist?
Natürlich kamen mir das DJing und die elektronische Musik gerade recht. Da konnte ich alleine irgendwie – wenn auch anders und leicht autistisch – weitermachen. Erfrischend war außerdem, dass die elektronische Musik nach anderen Regel als die handgemachte Musik funktioniert. Da eröffnete sich mir ein neuer Kosmos mit neuen Zeichen und einer anderen Sprache. Als ich noch in Bands gespielt habe, dache ich auch immer, dass Bücher so sein müssten, wie es der berühmte Schriftsteller T.C. Boyle mal sinngemäß gesagt hat: Bücher sollten sein wie Rockkonzerte, bei denen die Bierdosen vor Begeisterung schon beim ersten Song durch die Luft fliegen.
Der Wunsch, der bereits Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre an den Schreibtisch gezwungen haben …
Ich sehe das mittlerweile anders und mein Buch macht das, hoffe und glaube ich, auch deutlich. Für mich sollte ein Buch wie ein gutes DJ-Set sein. Langsamer Aufbau, erstmal Atmosphäre schaffen. Irgendwann können die Leute ausflippen und von mir aus auch schreien und irgendwas durch die Luft werfen. Aber eben nicht direkt am Anfang, weil da sofort und offensiv auf die entsprechenden Knöpfe gedrückt wurde. Die Bücher von T.C. Boyle mag ich aber immer noch. Und vielleicht hört er inzwischen auch viel mehr elektronische Musik als wir alle ahnen.
Du hast eine Menge schlimmer Jobs gemacht – bist du unempfindlich geworden?
MIKE: Ich habe viele Pommes frittiert, Geschirr gespült und Steinplatten geschliffen. Ich habe das so gelernt: Mach einen Job, wenn du deine Miete zahlen musst. Jeder Job kann Spaß und innerliche Freude bereiten – wichtig ist, dass er das macht. Was ich aus all den vielen Jobs, die ich gemacht habe, als Lehre gezogen habe: Das Geld, das ich am schnellsten und am einfachsten verdient habe, war auch am schnellsten wieder weg.
Du schreibst: „Wenn man mit Platten arbeitet, ganz gleich ob mit Stein- oder mit Schallplatten, hat das immer irgendwie was Stupides und Blödsinniges.“ Warum?
Rein handwerklich auf die Hände und den Körper bezogen. Platte rauf, Platte runter! Als ich in einer Fabrik Steinplatten auf ein Förderband gelegt habe, war das, rein von den Bewegungsabläufen her, nicht viel anders als Schallplatten im Club auflegen. Also über Stunden hinweg sehr stupide und monoton, und äußerlich vielleicht als blödsinnig erscheinend. Den DJ umgibt seit längerer Zeit so eine Aura des Künstlers – und sicherlich: manche DJs tanzen und sie machen aus dem Auflegen eine Performance. Aber am Ende: DJing ist sehr handwerklich und im Kern limitiert.
Von Mix, Cuts & Scratches bis zum Beatjuggling und Turnbtabelism, mit Contollern und vier Tellern liegt die künstlerische Ausdrucksfähigkeit beim Vinylplattendrehe aber schon ganz woanders, oder?
Wenn wir über Skills sprechen: Der Steinplattenschleifer hat genauso seine Spezialmoves wie der DJ. Nach maximal einer Stunde sind diese Skills und Moves für einen Zuschauer allerdings ähnlich wenig aufregend und abwechslungsreich. Also Plattenauflegen ist nach einer gewissen Zeit für den außenstehenden Betrachter etwas langweilig – egal ob es um Schall- oder Steinplatten geht. Was im Kopf des Auflegers vorgeht, das ist eine andere Sache. Im Kopf – das beschreibe ich dann ja anschließend nach der Aussage, auf die Du anspielst auch sehr ausführlich – da werden Feuerwerke gezündet.
Was stimmt von dem Gerücht, die erste Fassung deines Buchs sei dir gestohlen worden?
Das Gerücht bezieht sich auf ein anderes Buch, dass ich vor Jahren so gut wie zu Ende geschrieben hatte. Ein Radfahrerroman. Es handelte von einem Typen, der ständig Rad fährt. Dummerweise hatte ich das Manusskript in einem Laptop abgespeichert, den ich dann mal unachtsam auf der Rückbank meines Autos liegen gelassen hatte. Das Auto wurde in einer Tiefgarage aufgebrochen – der Laptop mit dem Manuskript ist verschwunden. Wenn der Dieb das hier liest und er noch die Datei hat: Wir sollten verhandeln!
Was hast du schon alles probiert, um das Lispeln zu verdecken?
Etliche Sprachschulungen – und es ist ja auch im Lauf der Jahre besser geworden. Nun muss man mir zugute halten, dass ich ja als Kind in den USA eben auch das „th“ gelernt habe. Und unter den Umständen, unter denen ich dann nach Deutschland umgesiedelt wurde und die ich auch im Buch kurz beschreibe, ist es wohl nachvollziehbar, dass ich das „th“ nie ganz losgeworden bin. Es gehört zu mir – bevor ich wieder allzu hart daran arbeite, versuche ich mir lieber ein paar andere unangenehme Angewohnheiten abzugewöhnen.
Du warst auf einem Beneditktinerinternat. Die Geschichte kommt prominent im Buch vor. Was haben Benediktiner und elektronische Musik gemeinsam?
Auf den ersten Blick gar nichts! Aber die Benediktiner sind ohne Frage ein musikalischer Orden, denn die gregorianischen Chöre sind ja ein ausgewiesenes Markenzeichen. Diese berühmten Choräle sind reine Vokalmusic, ohne Beat. Dann haben diese gregorianischen Gesänge aber auch ihre speziellen Phrasierungen und Betonungen, die so abwechslungsreich sind und gleichzeitig so sparsam eingesetzt werden, dass es mit der elektronischen Musik vielleicht doch eine Menge Berührungspunkte gibt.
Kannst Du das abschließend bitte näher erläutern?
Elektronische Musik ist vielleicht auch als Phänomen ähnlich wie der Benediktinerorden. Wie die Benediktiner im frühen Mittelalter gegen Konventionen angetreten sind, hat Techno mit üblichen Hörgewohnheiten gebrochen und neue Ideen ins Spiel gebracht. Die Benediktiner waren damals revolutionär, jetzt gibt es sie schon seit etwa 1500 Jahren. Ich sage der elektronischen Musik eine ähnliche Entwicklung voraus.
Für mich persönlich ist es eine der wichtigsten Erfahrungen, dass ich ein paar Jahre in so einer Klostergemeinschaft leben konnte.
Mike Litt – Der einsamste DJ der Welt
Dumont, 220 Seiten, 8,99 EUR
www.mikelitt.de