Moby – Symphonien eines Stadtneurotikers

Moby – Symphonien eines Stadtneurotikers / Foto: Lindsay Hicks

Egal, ob Dance, Pop, Alternative Rock, Electronica oder Disco: Seit jeher hat Moby nach immer neuen stilistischen Ausdrucksweisen gesucht. Auf seinem aktuellen Album „Resound NYC“ hat das musikalische Chamäleon die wichtigsten Tracks aus seiner New Yorker Schaffensphase als opulent orchestrierte Klassikversionen neu eingespielt. FAZEmag traf den introvertierten Musiker, Producer, Filmemacher und Aktivisten zum digitalen Gespräch.

Schon auf seinem letzten Longplayer, dem Special-Guests-gespickten „Reprise“, hat Richard Melville Hall, wie der US-Amerikaner mit bürgerlichem Namen heißt, seine Fühler vor zwei Jahren in Richtung klassische Musik ausgestreckt. Auf seinem insgesamt 20. Studioalbum betreibt Moby nun eine ganz besondere Form der Vergangenheitsbewältigung: Gemeinsam mit befreundeten Künstler*innen wie Ex-Pussycat-Doll Nicole Scherzinger, Soulman Gregory Porter, Kaiser-Chiefs-Sänger Ricky Wilson, Retro-Jazz-Queen Lady Blackbird und vielen anderen lässt der 57-Jährige seine wichtigsten Stücke aus den Jahren 1994 bis 2010 noch einmal Revue passieren: eine kleine Zeitreise zurück zu seinen musikalischen Anfängen im Big Apple, wie Moby die Aufnahmen zu „Resound NYC“ beschreibt. „Die Beschäftigung mit diesen Songs hatte etwas sehr Wehmütiges, fast schon Trauriges“, blickt Moby zurück. „Die Welt von damals war eine völlig andere. Der Klimawandel war nur eine rein akademische Idee in irgendwelchen wissenschaftlichen Aufsätzen, Russland näherte sich mit großen Schritten der westlichen Demokratie an und auch die Anschläge vom 11. September lagen damals noch in weiter Ferne. Ich will nicht pessimistisch klingen, aber alles war in den 1990er-Jahren so viel optimistischer als heute. Eine irgendwie unschuldige Ära, die Raum für jede Menge Optimismus gelassen hat, den viele Menschen heute verloren haben.“

Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, feiert Moby heute die Schönheit seines eigenen Werks – und natürlich den Einfluss, den seine ehemalige Heimatstadt New York City auf die Entstehung der Tracks hatte. So verwandelt sich „Walk With Me“ in einen souligen Ambient-Kopfkino-Roadtrip, der Gospel-Hit „In My Heart“ bekommt ein bombastisches Club-Makeover verpasst, und auf „Hyenas“ vermischen sich Trip-Hop, French Funk und Klassik zu einem dramatisch treibenden  Floorfiller. „Die eigene Identität wird immer von den genetischen und den epigenetischen Umständen geprägt: In was für einem Elternhaus und mit welcher Kultur man aufwächst, was man isst, was man lernt und was für sonstige Erfahrungen man noch macht. Das alles trägt zur Formung dessen bei, was uns ausmacht. New York ist das Produkt der unterschiedlichsten kulturellen Einflüsse und Lebensentwürfe. Ein Ort, an dem sich jede*r komplett ausleben darf. Das hat sich natürlich auch in meiner Musik niedergeschlagen. Ich stelle mir manchmal die Frage, ob David Bowie den gleichen Einfluss auf die globale Popmusik gehabt hätte, wenn er in Thailand geboren worden und mit thailändischer Gamelan-Musik aufgewachsen wäre.“

In seinen damaligen Kiez, das vom verrufenen Junkie-Viertel zum angesagten Hipster-Hotspot rundum-gentrifizierte East Village, verschlägt es Moby heute nur noch selten. Schon lange hat der Musiker der hektischen Ostküste den Rücken gekehrt, um seinen ehemals selbstzerstörerischen Lebenswandel gegen eine entspannte Work-Life-Balance im zurückgelehnten Kalifornien einzutauschen. „Jedes Mal, wenn ich nach New York zurückkomme, werde ich daran erinnert, wie dynamisch, wie wunderschön und wie schnell diese Stadt ist. Und wie froh ich darüber sein kann, nicht mehr hier zu leben“, so Moby lachend, der kürzlich sein eigenes Label gegründet hat. „Früher habe ich die Nächte durchgemacht, heute gehe ich um 9 Uhr abends ins Bett und stehe morgens um 4:30 Uhr auf, mache Wanderungen in der Natur und bin nicht allzu viel in Kontakt mit anderen Menschen. Und ich arbeite an verschiedenen neuen Projekten, wie einem reinen Electronic-Album mit komplett analogen Synthies, sowie an einem dritten Orchestral-Album, auf dem man mich von einer sehr ruhigen Seite erleben wird.“ Klingt gut.

Aus dem FAZEmag 135/05.2023
Text: Thomas Clausen
Foto: Lindsay Hicks
www.moby-resound.com