Neelix on Tour – die Kolumne: Ich gehe tanzen, willst du mit?

Neelix

 

Neelix on Tour – die Kolumne
Ich gehe tanzen, willst du mit?
Wir sind im Backstage einer ziemlich großen Open-Air-Party in Deutschland. Hannes (Freund/Manager) geht schon einmal auf die Bühne und baut das Equipment auf. Kurz darauf kommt er zurück. „Noch zwei Minuten“, sagt er. Oh mein Gott, mein Herz hört kurz auf zu schlagen oder glaube ich das nur? Konzentriere dich, atmen nicht vergessen! Kann man mir die Aufregung ansehen? Ach egal. Warum habe ich nichts Anständiges gelernt? Na komm jetzt, los geht’s! Ich gehe auf die Bühne – so viele Lichter, verflixt. Jetzt souverän wirken, Bauch einziehen und lässig rüberkommen! Wie viele Gedanken mir durch den Kopf geistern, unglaublich … das nennt man wohl Lampenfieber. Ich schaue auf den Dancefloor und denke nur: „Was, wie viele Leute sind das denn?“ Hoffentlich erwarten die nicht zu viel. Ok, erst einmal meine nervöse Durch-die-Haare-streichen-Bewegung machen. Das wird sicher helfen (ein Lachen). Hat nicht geholfen, egal. Vielleicht hilft Claudia anschauen. „Schau nach vorne“, sagt sie trocken.

Ich schaue in die Gesichter der Menschen auf dem Dancefloor und kann etwas fühlen, was ich nicht so ganz erklären kann. Eine Art von Verbundenheit, Losgelöstheit und wohl einfach Schönheit. Keiner macht sich hier irgendwelche Sorgen. Es ist für mich im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, ich darf alle diese Menschen hier in so einer tollen Situation erfahren. Da gibt es ganz andere Tätigkeiten, bei denen man Menschen ständig in Stresssituationen antrifft. Wie zum Beispiel Gerichtsvollzieher, oder Angestellter an den Sicherheitskontrollen am Flughafen. Da rennen die Business-Sharks grundsätzlich leicht geladen und gestresst durch. Gehetzt von etwas, naja, was eigentlich? Ich frage mich, ob sie es selbst überhaupt wissen?

Das Gefühl auf einer solchen Party hingegen ist inspirierend, fast schon berauschend. Und das fühlen bestimmt ganz viele hier auf dem Festival. Das machen nämlich alle zusammen. Das kann nicht zu Hause vor dem Rechner erlebt werden. Als wäre es eine Unterhaltung mit 15.000 Menschen. Ich würde das „verständnisvolle, nonverbale Kommunikation“ nennen. Alle verstehen sich hier ohne Worte. So entstehen Gemeinschaftsgefühl und Zugehörigkeit. Damit kommt auch ganz viel Kraft. Diese Kraft hilft mir, meine Probleme und Zweifel hinter mir zu lassen. Sie hilft allen hier, ordentlich abzuschalten. Die Gedanken an noch zu zahlende Rechnungen verfliegen, der Streit mit der Mutter von vorhin ist vergessen. Wie wunderschön, keiner denkt hier mehr an Probleme, das ist fast wie eine Sorglos-Medizin. Da verschwinden meine Selbstzweifel auch schon, denn diese Stimmung ist ansteckend.

Musik ist einfach zu verstehen. Beim Tanzen wird das Denken auf ein Minimum runtergefahren. Nach kurzer Zeit bin ich ausgeglichener und fröhlich. Und das war schon immer so. Im Mittelalter aber wurde in Europa das Tanzen zu rhythmischer Musik genau aus diesem Grund tatsächlich verboten. Nicht nur die Musik, auch viele andere schöne Sachen wurden verboten. Die Menschen waren besser zu kontrollieren, wenn es ihnen schlechter ging. Es hatte dann leider auch sehr lange Zeit Bestand. In Europa wurde dann bald nur noch vornehm und steif vor sich hingeschunkelt.

In weiten Teilen Afrikas hingegen gab es diese Zensur nicht. Da haben die Menschen weiter rhythmische Feste gefeiert und sich tanzend ausgelassen. Als dann diese inspirierende musikalische Freiheit durch die Afrikaner über Amerika nach Europa schwappte, schlug sie hier ein wie eine rhythmische Bombe! Der Swing ließ die Menschen hier endlich wieder ausgelassen und intensiv tanzen. Das war dann aber leider auch nicht von langer Dauer und wurde schnell wieder verboten.

Heute sind wir sehr selbstbewusst. Wir wissen, was für eine Kraft wir zusammen haben. Wir gehen auf die Straße, wenn uns etwas nicht passt und demonstrieren. Damit das nicht passiert, gibt es jetzt die Kontrolle durch die Medien. Da braucht es gar keine Verbote mehr.

Musik ist eine Sprache. Eine nonverbale Verständigung. Vor allem rhythmische Musik gibt Kraft, ähnlich wie Meditation oder ein Trance-Zustand, der einen buchstäblich in Ekstase versetzen kann, fast Paradies-ähnlich, würde ich sagen, und das hier auf Erden. Die Verbundenheit wird auf diesen großen Zusammenkünften schnell deutlich.

„Hey komm doch mit zum Yoga, dass ist echt toll!“
„Nee – danke.“
„Komm doch mit zur Lach-Therapie!“
„Vielen Dank, aber nein.“
„Aber nächste Woche zum Schweige-Seminar …?“
„Nein, danke.“
„Was machst du denn um im Einklang mit dir zu sein“
„Ich gehe tanzen, willst mit?“

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