Neelix: zwischen Lebenskraft und Klassenfahrt

Neelix: zwischen Lebenskraft und Klassenfahrt. Credit: Helen Schütt

Der Hamburger Henrik Twardzik aka Neelix gehört nicht nur zu den erfolgreichsten, sondern auch spannendsten Acts, die man jedes Jahr auf den großen Festivalbühnen antrifft. Nachdem Neelix – der Name entstammt der bekannten Sci-Fi-Serie „Star Trek“ – in der Vergangenheit für uns Kolumnen geschrieben hat und vor Kurzem durch seine „BassTour“ für Aufregung sorgte, wollten wir mal wieder ein längeres Gespräch mit ihm führen.

 

Wir haben vor Kurzem noch über deine „BassTour“ berichtet, die bei unserer Leserschaft auf sehr große Resonanz gestoßen ist. Wie bist du auf die Idee gekommen und wie läuft das Ganze ab?

Ich denke, man kann sagen, dass ich ein anderes Konzept als andere Musiker fahre. Ich reise mit vielen Leuten, einer ganz großen Gruppe, durch Deutschland. Die Idee ist daraus entstanden, dass viele Gäste immer wieder zu meinen Shows kommen. Allerdings sehe ich sie immer nur ganz kurz und immer nur auf Partys, und trotzdem sind da schon richtige Freundschaften entstanden.
Also dachte ich, ich verlängere die Zeit, die wir zusammen verbringen. Vor fünf Jahren reifte in mir die Idee für so eine Art goldenes Ticket, wie bei Willy Wonka. Als ich überlegte, was ich machen könnte, bin darauf gestoßen, dass Bus auf Englisch wie „Bass“ ausgesprochen wird. Ich schrieb dann „BassTour“, mit dem Willy-Wonka-Font, den gibt’s im Internet, und habe ein Ticket designt und habe dann wirklich ein halbes Jahr lang versucht, dieses zu drucken. Keine Druckerei wollte so einen erhabenen Druck machen, und dann habe ich irgendwann Nino und seinen Vater in der Holzwerkstatt gefragt, ob die das machen können. Und sie konnten das. Sie haben wirklich ziemlich dünne Holzplatten genommen, diese zurechtgeschnitten und mit dem Laser eingefräst, dann grundiert und mit Gold lackiert. Davon hatte ich ungefähr 100 Stück und sie dann verteilt.

Wann ist der Plan hierzu entstanden?

Bereits 2019. Ich wollte das dann 2020 machen, aber seinerzeit ging es nicht, weil alles komisch war (Corona-Pandemie, Anm. der Redaktion). Es war auch zu riskant, es für 2021 zu planen, angesichts riesengroßer Vorkasse – und dann hätte es möglicherweise nicht stattfinden können. Das ist alles superteuer leider, ich hätte auch nicht gedacht, wie kostenintensiv das tatsächlich ist. So oft kann man so etwas also nicht machen.
Hannes (Neelix‘ Manager, Anm. der Redaktion) ist immer ganz vorsichtig. Als er gefühlt hatte, dass es gehen könnte, hat er ein Busunternehmen angeschrieben und dann haben wir mit der Planung begonnen. Und ich hab das Busdesign gemacht.
Warum ich das mache? Ich will mit diesen Menschen mehr Zeit verbringen, nicht nur zwei Stunden auf einem Event. Alleine bei mir haben 14 dieser Friends, ich nenne sie halt Friends, bei mir im Haus geschlafen, und bei Hannes auch noch zwei oder drei. Es waren insgesamt 20 Leute ungefähr. Der Rest war in Hamburg in Hotels verteilt. Es geht einfach darum, dass diese Menschen, die sich ja alle auch schon untereinander angefreundet haben, alle mal zusammen sind, wie bei einer Klassenfahrt. Und es war genauso.

Bei einer Klassenfahrt geht es ja mitunter ein bisschen feuchtfröhlich zu. Wie kann man sich dann so eine Busfahrt vorstellen von Gig zu Gig?

Es war wirklich so wie bei einer Klassenfahrt. Viele kannten sich vom Sehen, haben sich aber dadurch richtig kennengelernt. Es war anfangs ein bisschen verhalten, aber trotzdem lustig und wurde immer intensiver. Die Energie in diesem Bus und auch in den Hotels, das war wirklich schön; und nicht nur für mich schön, alle hatten das Gefühl. Es waren total verschiedene Menschen anwesend, und alle vereint durch dieses eine Event. Das war wirklich besonders.
Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, dass es so cool wird. Als ich merkte, dass das geil ist, habe ich sofort zwei neue Events geplant, die nächstes und übernächstes Jahr kommen. Ich habe auch schon das Thema an alle weitergegeben. Davon muss man einfach mehr machen. Ganz allgemein, wenn ich das ein wenig sozialkritisch sehe oder ein bisschen zukunftsorientiert, würde ich sagen, dass es den Menschen nach der Nähe zu anderen Menschen dürstet.

Wie sehen denn die kommenden Events aus?

Das nächste Mal wird größer und zur Airbeat One stattfinden. Da werden wir eine Loveparade auf dem Camp machen. Das haben wir auch schon mit dem Veranstalter abgestimmt, ob es geht und wie es geht. Hannes Gedanke ist, dass wir eventuell sogar außerhalb der Airbeat anfangen und dann da gemeinsam hinfahren. Ich weiß noch nicht genau, wie wir es machen, aber es wird wieder so sein, dass man Tickets gewinnen kann und dass die Gewinner alle mit diesem Bus abgeholt werden. Genau kann ich das noch nicht sagen. Die, die bereits jetzt ein goldenes Ticket haben, sind einfach dabei, das sind dann schon rund 50 Personen. Das nächste Mal sind es dann 100 und das übernächste Mal 150 Menschen. Nächstes Jahr soll sein: Loveparade auf der Airbeat auf dem Camp, übernächstes Jahr Survival-Camp in Schweden, eine Woche ohne Strom und Handy. Für 2027 habe ich mir überlegt, dass wir ein eigenes Festival machen, und das einfach mit den Leuten zusammen. Ich finde, das macht Spaß.

Neelix‘ Set von der Airbeat One 2024:

Das klingt tatsächlich superspannend. Wo du das jetzt gerade erwähnt hast, das Survival-Camp in Schweden, ohne Handy und so weiter: Dein Kamerateam wird aber schon dabei sein, oder nicht?

Ja, klar, die haben natürlich so eine Art Haus oder Hütte mit Strom und Mediabüro etc. Natürlich stimmt da irgendwo etwas nicht, weil ich jetzt sage, kommt, kommt bitte alle raus und ich dreh eine Doku, die man zu Hause guckt.

Das meine ich. Du bist ja ein sehr reflektierter Mensch und auch politisch interessiert usw., aber du merkst ja selbst, dass da einiges auch ein bisschen diametral auseinanderläuft. Wie gehst du damit um? Auf dieses ganze Brimborium, auf dieses ganze Riesenkonstrukt, was da immer mitläuft, hast du ja wahrscheinlich gar keine Lust – sondern auf den Kontakt mit deinen Fans und du möchtest deine Fans glücklich machen. Auf der anderen Seite siehst du auch, dass es halt nur mit Technik geht. Kommst du da manchmal in Gewissenskonflikte oder wie verarbeitest du das?

Also, es ist sowieso ein zweischneidiges Schwert. Wenn du ausgeglichener, ruhiger, spiritueller, geerdeter werden willst, dann passt das nicht zusammen mit einem starken Ehrgeiz und Erfolg, weil du Letzteren durch viel Arbeit und Konzentration und Verzicht im weitesten Sinne erlangst, Verzicht auf viele Dinge, die du brauchst, um ein ruhiges, schönes, familiäres, geerdetes Leben zu haben. Das ist natürlich ein Konflikt.
Aber mein Gedanke ist eher: Das Ziel ist es, dass Menschen zusammen sind, egal woher, und alle verstehen sich blind, ein nonverbales Verständnis auf Events. Ich habe mir tatsächlich mehrfach Reality-Shows und solche Sachen angeguckt, die basieren alle auf Missverständnissen. Es gibt immer Streit, Verderben, Lästern, Gewalt. Das ist überhaupt nicht schön.
Bei uns ist es immer so schön, dass ich heulen könnte. Ich habe am Donnerstag einen Rave in einem Kiosk gemacht. Ich musste wirklich fast heulen. Es hat eine Minute angehalten, dass ich das wegdrücken musste und mein Kinn zitterte, weil das wirklich so schön war. Das ist schön, das kann man senden, aber nicht diesen Scheiß da immer, wie die sich gegenseitig fertig machen und belügen und betrügen, es ist ekelhaft. Dann dachte ich so: Ok, Helen, filme doch jetzt mal alles im Querformat, und wir machen da mal so ein bisschen einen V-Log draus.

Also immer größer?

Naja, Helen schafft das gar nicht alleine. Deshalb habe ich noch einen anderen Kameramann dazugebucht. Ein Freund von mir arbeitet als Kameramann fürs Fernsehen und er hat das dann halt aufs nächste Level gehoben.

Was ist dein Ziel?

Eine kleine Doku oder eine Miniserie, dann nochmal eine Doku, und dann wird das immer größer und am liebsten hätte ich irgendwann die Hamburger Trabrennbahn. Ein Riesen-Festival mit 600.000 Leuten und man braucht keine Securitys, weil sich alle verstehen. Alle sind nett, und das Tollste ist: Alles ist umsonst. Alles. Eintritt, Merch, Getränke, Essen, alles und das eigentlich aus meiner Sicht für immer. Wo sind denn die Sponsoren? Muss irgendjemand aus einer bekloppten Kapsel springen und brauchen wir ein Motorrad auf dem Zug? Ja, kann man machen. Aber warum kann man denn nicht etwas machen, wo die Menschen sich alle treffen? Alle treffen sich, Woodstock ohne Geld und ohne Drama. Da habe ich Bock drauf. Natürlich ist das noch eine Weile hin, und ich weiß auch, dass das so nicht geht. Wir haben jetzt gerade einmal für die BassTour einen Sponsor gehabt, die Biomarke Rapunzel. Es kann ja auch nicht irgendein Sponsor sein, aber im Kern möchte ich einfach, dass sich Menschen treffen und sich fühlen. Das ist nämlich heilend und verbindend.

Neelix on Tour, begleitet von der Kamera:

Die Party als Lebensziel?

Du kennst das ja selbst, auf manchen Partys entstehen Dinge, von denen du fast dein ganzes Leben zehren kannst, ich kann es nicht anders sagen. Und das liegt nicht an der Musik oder an der Party, das liegt daran, dass da 1.000 Leute irgendetwas generieren. Ich weiß nicht, wie man das anders beschreiben soll. Das finde ich toll und das will ich voranschieben. Wenn das nur geht, indem man das filmt und das den Leuten zeigt, damit sie Interesse haben, dann ist das halt so. Das ist aber auch dann noch schön. Ich weiß jetzt nicht, wie diese Doku, die wir gedreht haben, wird, weil das technisch und professionell war. Bei uns ist das ja sonst immer sehr spartanisch und zufällig. Ob das einen gewissen Charme hat, wir werden sehen. Dass jetzt schon der NDR Interesse bekundet hat, ist natürlich groß. Es gibt bereits Interessenten für dieses neue Format der Reality-Show.

Welche Reality-Shows guckst du?

Ich gucke da hin und ich flippe aus. Ich muss das gucken, weil meine Freundin diese Sendungen gerne zur Entspannung schaut. Wir hatten eine Diskussion, bei der sie sagte, du guckst Bud Spencer und Terence Hill zur Entspannung und ich entspanne hierbei. Sie hat Recht, ich kann das gucken. Was mir aber halt auffällt bei diesen Reality-Shows, ist, das das überhaupt nicht Reality ist, das sind alles Schauspieler – richtig professionell und gut. Die wissen genau, wie man Skandale erschafft – lästern, betrügen, streiten.
Es ist egal, ob diese Shows „Sommerhaus der Stars“ oder wie auch immer heißen. Das ist angelegt auf Missverständnis, Streit, Stress, Zoff bis hin zur Fast-Prügelei. Das kann man sich angucken. Bud Spencer und Terence prügeln sich auch mal, aber stell dir mal vor, man macht jetzt eine richtig geile Reality-Show, also eine richtig coole Doku, bei der man einfach merkt, wie cool die Menschen sind, wie nett und wie toll – also wirklich hilfsbereit, dankbar, loyal, menschlich teilend. Das alles sehe ich auf dieser Tour, da weinen Menschen vor Freude

Die Leute schauen lieber zu, wenn es Drama gibt. Das ist nun einmal so. Das ist derselbe Trieb, den die Leute auf der Autobahn haben.

Bill Kaulitz hat auch kein Drama und das war auch erfolgreich. Es ist der einfachere Weg: Zeig einfach, wie ein Mann einem anderen Mann in die Schnauze haut und alle können nicht weggucken. Aber gerade habe ich ein Video gesehen, wie ein Surfer am Strand losrennt – ich habe noch nie einen Mann so schnell rennen sehen, so ein Weltmeister-Surfer – der hat gesehen, dass eine Frau Ärger hat in den Wellen. Wie schön ist das, wenn ein Mensch einem anderen hilft! Das ist ein Irrtum, vor allen Dingen bei den Journalisten und in den Medien, dass die Menschen die schönen Dinge nicht gucken wollen. Da gab es mal so eine gefakte Aussage: Wir haben mal Nachrichten gemacht, wo alles schön war, hat keiner geguckt – das stimmt überhaupt nicht. Das ist Blödsinn, die Menschen wollen das sehen. Es wird einfach so getan, als wollten sie nur Mord und Totschlag sehen, weil sie sich dann besser fühlen würden.

Apropos schlecht fühlen: Wenn wir etwas von dir posten, dann gibt es auch immer die Kommentare: Der Neelix macht ja gar keinen Psy mehr, der macht ja gar kein Goa mehr, der ist zum Kasper verkommen, der macht nur noch Kommerz. Liest du so etwas? Wie gehst du mit so etwas um?

Das lese ich nicht, außerdem ist mir das egal. Mein letzter Song, den ich herausgebracht habe, war 146 BPM, Psytrance-Knaller – mehr Psytrance geht gar nicht. Danach kam jetzt ein Mix mit Harmonika, mehr Psytrance geht auch da gar nicht. Es ist Blödsinn, wenn man sagt, ich sei Mainstream, dann sollen sie mir mal zeigen, wann ich mal im Radio lief oder so. Tatsächlich gab es aber mal einen Song beim Reality-TV. Nee, das ist Blödsinn, das ist mir egal.

Ja, erfolgreiche Menschen haben auch immer Neider und werden von Leuten gehatet im Sinne von „Du bist ja nicht mehr der von früher“. Gibt es etwas aus deiner Anfangszeit als Neelix, das du aktuell vermisst? Würdest du lieber in kleineren Clubs spielen oder ist das so, wie du sagst, jetzt gerade ist es schön, du triffst jeden Abend oder jedes Wochenende immer tolle Menschen, oder gibt es etwas, von dem du denkst, das du dir ganz gerne mal zurückwünschen würdest?

Also, erst einmal wird das immer geiler, was wir hier alle machen. Das bin ja nicht nur ich, das ist ein Riesen-Team: Anne, Claudi, Helen, das sind alles Profis in ihrem Bereich. Es wird immer geiler, immer besser. Insofern gibt es fast nichts, das ich vermisse, bis auf Folgendes: Wenn sich mal jemand die Mühe machen mag und bei YouTube eingeben mag „Psy-Trance-Party“, vielleicht sogar „Neelix Live“ 2008 oder 2005, sich das mal angucken, wie der Dancefloor aussieht, die Leute – das. Heute haben Partys oft eher eine Art Konzert-Charakter. Die Leute stehen da und gucken sich das an. Das ist auch schön. Aber wenn sich auf dem Dancefloor alle durchgehend bewegen, also tanzen, das ist super. Zum Beispiel gibt es den Searcher, also den Sucher, der läuft immer so herum, mit so einem Tanzschritt. Früher war das ein bisschen mehr, so, dass die Menschen einfach die ganze Zeit getanzt haben und sie haben nicht wie bei einem, wir nennen das Fußball-Trend, einfach einmal ganz kurz alle geschrien, als ein Tor gefallen ist, sondern sie haben die ganze Zeit getanzt.
Wenn jetzt einer aus Brasilien nach Deutschland kommt, der sagt: „Ist ja abgefahren, die schreien zwar alle nicht so wie beim Drop, aber die laufen die ganze Zeit herum.“ Da ich ja vermehrt nicht nur auf Goa-Partys spiele, sondern auf Riesen-Festivals, hat das diesen Konzert-Charakter bekommen. Und ja, da wünschte ich mir manchmal, dass alle einfach weiter tanzen, sie müssen nicht stehen bleiben. In meinem neuen Intro sage ich auch: Bitte einfach rumtanzen und Spaß haben und nicht rumstehen. Das ist das, was ich vielleicht nochmal verändern würde. Das gibt es natürlich noch auf dem Boom Festival oder so, einen Dancefloor, wo einfach alle die ganze Zeit tanzen. Das wäre so ein Punkt.

Das Interview erscheint im Januar 2025 und so ein Jahresanfang bietet auch immer die Gelegenheit, nochmals einen Rückblick zu wagen: auf das Jahr 2024. Das meine ich jetzt nicht nur, aber auch musikalisch, sondern ich meine es natürlich auch politisch, da ich weiß, dass dich so etwas das Thema interessiert und mitnimmt. Es gibt ja sehr viele politische Baustellen, national wie international. Was hat dich am meisten mitgenommen 2024?

Ich habe ja für das FAZEmag mal Kolumnen geschrieben. Damit habe ich aufgehört, aus einem guten Grund. Ich habe damit überhaupt nichts mehr am Hut. Ich will das überhaupt nicht mehr wissen. Wenn jemand von Politik anfängt, verlasse ich sofort den Raum. Komplett-Boykott, ich bin raus.

Fällt dir das nicht schwer als sehr politisch denkender Mensch?

Ich komme aus einer superlinken Familie und habe immer versucht, Gefahren aufzuzeigen oder einen anderen Blickwinkel zu erörtern. Wann immer ich mich allerdings mit einem Thema dieser Natur beschäftige, sind diese allesamt dunkel. Es gibt kaum hochschwingende politische Themen. Es sind alles runterziehende Themen. Sobald ich mich damit beschäftige, geht es mir schlechter. Das will ich nicht mehr. Manche Menschen denken, es sei naiv zu denken, dass so etwas durchs Wegschauen auch weg sei. Aber ich habe die Wahl zu entscheiden, was ich möchte – und das ist nicht, Angst zu haben, ob die Welt untergeht, oder Angst zu haben, warum Menschen sich gegenseitig bekriegen.
Es gibt keine bösen Menschen. Es gibt auch keine schlechten Menschen. Das ist eine Erfindung von uns zu sagen, der ist böse. Der macht das und das, wir sind jetzt gegen den, aber ich kenne ihn ja gar nicht, ich weiß ja gar nicht, wer das ist, und wenn ich bei ihm essen wäre und seine Familie kennenlerne, würde ich sagen, das ist ein supernetter Typ. Wenn ich ihn frage, sagt er, er ist der Gute. Das ist alles systemisch bedingt und medial erschaffen, die Feindbilder, die Guten.

Früher warst du anders …

„Ich will natürlich bei den Guten sein, deswegen sage ich jetzt das“ – das ist mir alles zu durchschaubar, das passt alles nicht mehr. Früher war das ok, da bin ich auf jede Castor-Demo gerannt und habe überall mitgemacht, gegen alles protestiert, demonstriert. Jetzt propagiere ich einfach. Das Leben findet statt, wenn keine Medien und keine Social Media in dein Auge rieseln. Alles andere ist schwer. Ich bin eine super Social-Media-Person, aber das ist wieder das Zweischneidige.

Ja, das ist gegensätzlich.

Mein Bruder hat sich mit 16 Jahren entschieden, gegen das System zu sein. Er wollte das nicht. Wenn Erfolg bedeutet, sich einem kranken System anzunähern, werde ich nicht gesünder dadurch, sondern kränker, war seine Auffassung. Er hat das so weit gemacht, bis er gestorben ist. Er hatte sich gesagt: „Ich würde nie einen Pfennig Steuern zahlen, ich will nie Miete zahlen, ich will das alles nicht“. Er ist auf die Straße, hat dann in besetzten Häusern gelebt und ist dann irgendwann gestorben. Du kannst nicht das System komplett ablehnen, das funktioniert nicht, das mache ich auch nicht.
Ich will nur zeigen, es gibt auch noch andere Optionen, einen Tag zu verbringen oder im Urlaub oder Freizeit. Wenn man Freizeit ohne digitale Endgeräte oder so verbringt, ist das richtig entspannend und erfüllend. Ich würde einen spirituellen Erklärungsversuch wagen: Ich habe den Begriff „Bovis“ gehört. In der spirituellen Welt heißt das Lebenskraft. Verschiedene Gegenstände haben verschiedene Lebenskraft. Ein Apfel hat einen hohen Bovis, ein Handy einen sehr niedrigen. So können auch Taten und Dinge eine gewisse Ausstrahlung haben oder eine Wichtigkeit, eine Signifikanz, das heißt, seine eigenen Karotten im Garten anbauen oder Kräuter oder Unkraut sogar, und die zu ernten, hat eine sehr hohe Lebenskraft: 100 Prozent. Auf einem Endgerät nach einem Netflix-Film suchen, hat die niedrigste. Man sitzt da und verschwendet seine Lebenszeit für so einen Blödsinn.
Als wir da alle im Bus saßen und ich die Gesichter gesehen habe, wirklich – am liebsten würde ich heulen, die schwingen alle so hoch, und das geht. Das kann man doch salonfähig mal ein bisschen ausweiten. Nicht nur auf den Partys sehe ich diese hochschwingenden Leute, die keine Sorgen haben. Da habe ich auch mal eine Kolumne drüber geschrieben. Die haben keine Sorgen, die machen sich keine Gedanken. Die haben zwar kein Geld für die Miete, die wurden grad gefeuert, keine Ahnung und dennoch stehen sie da und haben zwei Stunden lang überhaupt keine Sorgen und das heilt alles. Sofort wird alles besser, wenn du einfach mal dein Hirn etwas höher schwingen lässt.
Das geht halt nicht, wenn ich mir angucke, wer wen bekriegt, und die ganzen Erzählungen, warum das überhaupt so ist, da würde ich am liebsten fragen: Wissen die denn auch, dass sie die Bösen sind? Ach, die denken das gar nicht, Mann, da muss ihnen das mal jemand sagen. Auf jeder Seite, in jedem Land, in jedem Lager wird immer gesagt: Wir sind die Guten. Kein Mensch ist böse, niemals, kein Mensch wird sich den Bösen anschließen, immer nur dem Guten, also gibt es ja nur Gute. Das liegt immer daran, wie das erzählt wird. Insofern kann ich das nicht gucken. Denn dann denke ich: Was erzählt die denn da schon wieder? Da muss ich ehrlich sagen, „Herr der Ringe“ und „Star Wars“ haben mehr Aussagekraft und mehr Relevanz für mich, weil das wenigstens schön erzählt ist.

Guckst du noch „Star Trek“?

Ich habe vor Kurzem mal tatsächlich wieder eine Folge angemacht, weil ich es bei „Star Trek“ so toll finde, wenn man Trekkie ist und die Eigenschaften eines Charakters wie Pille oder Kirk oder Uhura oder so kennt – und die sind ja perfekt beschrieben, sogar in dem neuen Film – dann ist es schon schön, wenn man sieht, wie Pille immer Angst hat und Kirk ein Draufgänger ist. Das beruhigt mich, mich in dieses Feld, in dieses Verständnis zu begeben, weil ich alles verstehe und es ganz toll finde. Aber das gucke ich tatsächlich weniger, ich gucke eher Achtziger-Jahre-Filme, das ist für mich Entspannung. Es läuft auch nebenbei eigentlich nie Musik, immer nur irgendein Film, und zwar „Over The Top“ oder etwas anderes mit Sly. Das entspannt mich auch auf Tour.

Wie läuft das ab bei so einer BassTour? Ich bin wahrscheinlich nicht der einzige Mensch, der weiß, dass du verschiedene Interessen hast und politisch mal interessiert warst. Wenn dann jemand mit dir ein politisches Gespräch beginnen möchte, blockst du dann ab in der Form, dass du sagst „Lass uns bitte über etwas anderes sprechen“? Oder wie reagierst du dann? Oder kam es gar nicht zu solchen Situationen

Ja, es gab eine Übergangszeit, in der ich noch versucht habe zu sagen: Bist du dir sicher, dass das alles so ist, also hast du dich damit beschäftigt? Also mit anderen Worten: Viele Freunde von mir machen eine ausführliche Recherche, lesen was weiß ich was für Magazine für zwei, drei, vier Monate mit Berichten und Vergleichen, bevor sie sich ein Fernsehgerät für weit über 1.000 Euro kaufen. Und dann treffen sie wohlüberlegt nach sechs Monaten die Entscheidung für ihr neues Hi-Tech-Fernsehgerät. Aber so eine fundierte Entscheidung treffen sie tatsächlich mit ziemlicher Sicherheit nur bei den sehr unwichtigen Dingen.
Und nicht bei so wichtigen Dingen bzw. Fragen wie „Was für Pharma nimmst du, was für Spritzen bekommst du, was für Nahrung nimmst du zu dir, was für Medien konsumierst du?“ Da wird dann gar nichts nachgefragt. Das habe ich dann mal so ein Jahr noch, von 2022 bis 2023, versucht, meinen Mitmenschen mitzuteilen: Hast du dich denn wirklich damit beschäftigt oder ist das nur eine Annahme oder eine Haltung oder irgendetwas? Und dann hört es sich nicht so an, als hätten sie sich damit beschäftigt. Man merkt ja im Gespräch, dass dann nur das kommt, was so propagiert wird, aber es kommt keine eigene Recherche zutage. Und bei mir ist es eben anders.

Spontan-Rave im Kiosk während der BassTour:

Gib uns doch mal ein Beispiel.

Du kannst dir die Haare nicht mit normalen Shampoos waschen, das geht nicht. Du kannst dir auch nicht die Zähne putzen mit einer normalen Zahnpasta, das geht leider nicht. Denn genau den Job, den sie erfüllen sollen, erfüllen sie, aber mit unglaublich vielen Nebenwirkungen. Aber darum geht es ja vielen Menschen nicht. Denen geht es bloß darum, ob die Haare durch das Shampoo fettfrei sind – ja, sind sie.
Wenn ich zu Ärzten gehe, merke ich, dass die reden und ich eigentlich das Bedürfnis hätte, mein Handy herauszuholen und gleich nachzuschauen, was sie da sagen, aber ich möchte sie natürlich nicht bloßstellen. Aber es ist tatsächlich so, dass man ganz viele Sachen hinterfragen muss, egal, aus welchem Bereich. Zum Beispiel habe ich mir vor fünf Jahren auf der MAYDAY den Fuß schlimm verstaucht – der war so dick auf der Bühne. Danach bin ich ins Krankenhaus, und dort hat der Arzt gesagt: „Das müssen sie sofort kühlen, das muss abschwellen.“ Daraufhin habe ich sofort gesagt: „Warum muss das denn abschwellen? Mein Körper hat das doch so anschwellen lassen. Können sie das bitte lassen? Die Natur, die Evolution, mein Körper haben sich doch wohl etwas dabei gedacht, meinen Fuß anschwellen zu lassen?“ Ich vertraue eher meinem Körper, der sagt: „Eh, Junge, du kannst den Fuß jetzt in keinen Schuh mehr stopfen, du kannst damit jetzt nicht auftreten.“ Und das möchte ich auch nicht schnell gebessert haben – sondern genau so lange, wie mein Körper meint, dass es braucht, ist es richtig. Ich möchte kein Eis und auch sonst keine Behandlung, was ihr da alles macht. Ich bin dann natürlich noch zur Physio gegangen.
Das Gleiche ist es mit Fieber: Natürlich kriegt man sofort ein fiebersenkendes Mittel, aber ich gehe mal davon aus, dass der Körper, die Evolution, die Natur, sich tatsächlich etwas dabei denken, die Körpertemperatur anzuheben, bis irgendwelche Bakterien den Körper verlassen, wie auch immer, durch Schwitzen oder Husten oder irgendetwas.
Aber ich gehe nicht davon aus, dass mein Körper so hohes Fieber macht und mich umbringt. Das tut mir leid, das ist für mich jetzt einfach ein bisschen zu viel. Nein, keine Medikamente, keine komischen Tricks, keine Wadenwickel. Gar nichts. Einfach den Körper machen lassen, der bringt sich nicht selbst um, was hat er denn davon, so ein Blödsinn!

Wie oft gehst du zum Arzt?
Ich gehe nie dahin und zahle trotzdem über tausend Euro Versicherung. Ich bevorzuge das Anschieben der körpereigenen Heilung – und nicht das Unterdrücken durch Immunsuppressiva oder wie die Dinger heißen und nicht die Haltung, einfach alles, was der Körper macht, abzuschalten, weil das eh schlecht und böse ist und wir jetzt mit unserer guten Arznei daherkommen.

Was steht auf deinem Hospitality-Rider?

Da steht halt LaVita-Saft. Das ist dieser Saft, bei dem alle Nährstoffe enthalten sind, stilles Wasser, Riegel zum Essen, Bananen und für die Friends irgendwelche Sachen. Oliver Fritsche wollte jetzt unbedingt eine große Flasche Wodka haben, weil er so oft dabei ist. Kann er auch haben, aber für mich ist das nichts. Ich trinke eh nur Wasser.

Nimmst du manchmal Pilze oder halluzinogene Sachen oder nicht?

Ich habe manchmal das Problem, dass ich Songs nicht fertig machen kann, und dann habe ich einen Freund von mir gefragt, was er dann macht. Er meinte, er macht Microdosing. Dann habe ich so eine Microdosing-Tablette genommen und irgendwie nichts gemerkt. Ich habe auch nicht besser produziert. Dann habe ich mal vier auf einmal genommen und dann war ich richtig breit, aber richtig breit. Ich bin herumgerannt und dachte: „Oh Gott, hoffentlich kommt jetzt keiner.“
Nein, aber sonst ich nehme überhaupt keine Drogen. Aber ich mag das, wenn Menschen auf Drogen sind. Ich finde das manchmal richtig toll und inspirierend, wenn man so Menschen zu Techno feiern sieht, die es wirklich fühlen. Das ist schon toll und das geht halt auch gut auf Drogen vor allem. Ich mag das, wenn Menschen das machen. Aber ich mag das nicht so gern direkt in meinem Umfeld, weil die Menschen sich dann nicht mehr so richtig gut im Gespräch spüren und Empathie fühlen und so, das gefällt mir nicht so. Aber in meinem Umkreis nimmt überhaupt keiner Drogen, soweit ich weiß. Also natürlich kiffen einige und viele trinken Alkohol, aber das war es auch irgendwie schon.

Lass uns noch ein bisschen über Musik reden. Du hast gerade gesagt, dass du manchmal Schwierigkeiten hast, deine Produktion fertigzustellen. Was kommt denn in den kommenden Monaten, worauf dürfen wir uns freuen?

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, all meine alten Projekte noch einmal aufzumachen. Das ist ganz schön viel, weil, wenn ich einen Song mache, sagen wir mal, „The Twenty Five“, dann fängt das mit dem Namen Nature an. Und in demselben Ordner ist dann Nature 0.1, Nature 0.2. Und dann gibt es irgendwie Nature 0.2 K1 neu. Und dann sind da so 80 verschiedene in einem Ordner und das ist nicht so, dass da nur ein bisschen etwas verändert wurde, da sind überall andere Themen drin. Also habe ich jeden Einzelnen aufgemacht, ungefähr zehntausend dieser Jobs. Und ich habe bemerkt, oh, die Idee war gut, die gibt’s noch nicht, und habe das rausgerendert als MIDI, als Audio, und habe das alles gesammelt und jetzt 54 Song-Starter gemacht, die ich eigentlich auf eine Sample-CD tun wollte. Und dann hat Hannes gesagt, das sind alles Top-Ideen, das kannst du nicht bringen und dann habe ich mir gedacht, okay, ich kriege die irgendwie nicht fertig. Ich schicke die jetzt einfach anderen Produzenten, die mit ihren eigenen Songs Probleme haben. Vielleicht können die meinen fertig machen oder mit mir zusammen fertig machen und ich irgendeinen von ihm. Das läuft jetzt gerade mit ganz vielen Künstlern, unter anderem mit Will Sparks und Karla Blum.
Erfolg ist nämlich übrigens oft daran gemessen, wie viel man anderen hilft zum Erfolg. Ich weiß nicht, warum, aber es funktioniert, man hilft jemand anderem und kriegt mehr Erfolg. Irgend so ein universelles Gesetz oder so, keine Ahnung.

„The Twenty Five“ von Neelix, die Hymne zur NATURE ONE 2019:

Wie findest du den Hard-Techno-Hype?

Ich find’s mega und irgendwie logisch. Es muss scheppern und es muss schön sein. Schön und scheppern, aber es muss nicht doll ausgearbeitet werden oder irgendwie eine große Ankündigung haben. Da braucht man nicht eine Drei-Tage-Session, um einen Pre-Drop zu designen. Die haben einfach eine Melodie und dann kommt „bamm, bamm, bamm, bamm, bamm“ und dann hört es wieder auf, ohne Ankündigung, ohne alles. Und diese Freiheit ist inspirierend.
Deswegen kam auch der Airbeat-Song „The Unkwnown“, davon inspiriert ist, weil ich das einfach geil finde, wie die das machen. Jetzt habe ich mit Will Sparks eine Nummer, der ist noch viel krasser. Der ändert auf einmal einfach im Song alles – von null auf hundert, dann wieder auf Offbeat. Das macht kein Mensch, aber er macht das einfach. Diese Freiheit, das ist krass.
Also, ich bin Fan von dieser ganzen Bewegung. Ich weiß aber, dass viele das nicht gut finden, wobei dies eher andere Gründe hat. Ich könnte mir vorstellen, dass man sich sagt, hä, was soll das jetzt, jetzt nehmen die sich hier so ein Riesenstück vom Kuchen und dann ist man per se dagegen. Aber bei mir ist das nicht so, ich finde das megakrass.

„The Unknown“ von Neelix feat. The Hitmen, die Hymne zur Airbeat One 2024:

Gibt es noch weitere Kooperationen, über die wir reden können?

Ich habe mich jetzt vor Kurzem mit Alfred Heinrichs getroffen. Ich habe gesagt, Junge, du bist ein epischer Chef, lass mal Mucke machen und er ist halt auch ein geiler Typ und ist halt vor allen Dingen auch ein Musiker, mit dem ich mich zusammensetzen kann, und nicht so ein Plastikprodukt. Weißt du, diese Plastikprodukte, ja, ist jetzt heutzutage völlig normal so, damals Milli Vanilli war ein Riesenskandal, was, die machen das gar nicht selber. Heute ist das völlig in Ordnung, dass 80 Prozent der Riesenleute überhaupt gar keine Produzenten sind. Die interessieren sich überhaupt gar nicht für Musik und das ist natürlich für mich jetzt, für eine Kollaboration, total blöd, weil ich mit den Leuten Musik machen will, nicht mit deren Konzept des Erfolgs. Ich will mit dir Musik machen, mit DIR, du, dich finde ich toll. Zum Beispiel mit Boris Brejcha, ein epischer Chef einfach. Er macht einfach Musik, alles immer selber, oder Sangiuliano oder halt Wills Sparks.

Beim ADE hast du eine lustige Aktion gestartet …

Ich habe einen langen Text hinten aufs T-Shirt geschrieben und den habe ich ohne Leerzeichen gesetzt. Ich habe einfach ein Wort geschrieben, dann habe ich das noch spiegelverkehrt da reingeschrieben, damit man das nicht so leicht lesen kann. Aber es haben sich wirklich manche die Mühe gemacht, diesen Text zu lesen. In dem Text geht es darum, dass sehr viele gute Produzenten nicht in der Lage sind, von ihrer Arbeit zu leben, da Plastikkünstler, die ihre Musik spielen, auf den Festivals Riesengagen erhalten und die echten Produzenten oft leer ausgehen. Dabei meine ich richtige Könner, bei deren Musik ich Gänsehaut bekomme. Und die müssen im Supermarkt arbeiten, während irgend so ein Plastikkünstler da hunderttausend Euro Gage kriegt und es ihm scheißegal ist, was für eine Musik das ist, die er spielt. Das hat mich einfach so sauer gemacht. Irgendjemand hat sogar einen Aufruf gestartet, ich weiß jedoch nicht mehr, wer das war. Jedenfalls lautet er: „Könnten wir bitte ein ganz klein bisschen unseres Geldes abgeben für die Produzenten, deren Musik wir immer spielen, die keinen Pfennig Geld haben?“ Fand ich eine gute Aktion.

Neelix beim ADE 2017:

Was dann doch auch politisch ist, wenn wir ehrlich sind, jetzt natürlich nicht im Weltzusammenhang der internationalen Konflikte. Also ganz kriegt man es nicht aus dir raus.

Nee, natürlich ist es politisch, also ich weiß zwar nicht, was poli heißt, wahrscheinlich das Volk. Ja, natürlich, das ist politisch, aber stell dir vor, wenn ich mir mit meinem manchmal pessimistischen Hirn eine Dystopie überlegen sollte, dann kommt in den nächsten paar Jahren jemand auf die Idee, eine KI-generierte, sehr liebenswürdige junge Frau zu generieren, die tolle Gestiken hat und ganz tolle Witze erzählt. Aber sie ist nur eine KI, sie ist nur ein Roboter. Und dann haben wir diesen Avatar, dieses Hologramm, wie auch immer. Jetzt gibt’s nämlich Partys, da kann man hingehen, und da ist zwar keiner auf der Bühne, aber sie ist als Hologramm da und sie bewegt sich irgendwie ganz toll und dann brauchen wir jetzt nur noch so Sachen einzubauen, wie etwa wenn sie diese Bewegung macht, machen wir alle dieses Geräusch, und auf einmal gibt es KI-generierte Musik, die es immer mehr gibt.
Da hört man sich ein ganzes Album an, hört sich super an – Melodic-Techno. Alles von KI generiert. Und was wir dazu sehen, gibt es auch nicht und jetzt verehren wir etwas, was es gar nicht gibt. Bei KI habe ich so ein bisschen Angst. Weißt du, vor 50 Jahren kam irgendjemand und hat gesagt: „Wir haben hier so ein Gerät, damit können wir Sachen ausrechnen, mathematisch und so, das nennen wir Computer.“
Und da haben alle gesagt: „Was willst du mit einem blöden Computer, wir sind Bauern, wir sind Klempner, wir sind Tischler. Da brauchen wir dein komisches Ding nicht, es wird sich nicht durchsetzen. Es wird immer Tischler, Bäcker, so etwas brauchen.“ Dann hat der Computer sich langsam, aber sicher, ganz heimlich so eingeschlichen und mittlerweile arbeitet fast jeder, den ich kenne, nur noch am Computer. Also, wir haben es geschafft, dass wir dieses Gerät auf einmal brauchen. Es ging uns vorher nicht unbedingt viel schlechter, aber jetzt haben wir dieses Gerät. Ich will es auch nicht verteufeln, denn auch mein Erfolg hängt vom Computer ab. Aber jetzt haben wir es geschafft. Wir haben also eine Plattform geschaffen, die komplett digital ist und der Mensch hat sich in eine Position katapultiert, in der er diesen Computer braucht.
Jetzt schafft der Computer es tatsächlich, KIs zu generieren, die natürlich keine wirklichen Intelligenzen sind, nur richtig gut programmierte Algorithmen, aber er schafft es. Ja, wir können es jetzt, wir brauchen keine Designer mehr. Beispiel: Du brauchst ein Foto vom Eiffelturm und davor einen gelben Rolls Royce. Klick, da ist es. Völlig in Ordnung, sieht völlig gut aus, ist perfekt, kann man nicht unterscheiden. Jetzt gibt es sogar für Bilder, wenn man nur einen kleinen Ausschnitt hat und der muss dreimal so groß sein, die Möglichkeit, einfach einzugeben, bitte dreimal so groß, dann generiert der das, als hätte man es fotografiert, und zwar mit so einer krassen Genauigkeit. Also, wir haben es jetzt bald geschafft: Wir brauchen keine Designer mehr, wir brauchen keine Fotografen mehr. Wenn es so weitergeht, brauchen wir keine Musiker mehr. Wir brauchen auch eigentlich, wenn wir langsam die Leute daran gewöhnen, auch gar keine Performer mehr. Das kann alles digital ablaufen, wir müssen nur die ganzen Rituale nebenbei machen, „zieht euch bitte nur rot an, schreit alle ‚yeah‘, wenn sie sagt ‚whoo‘“, oder so, und auf einmal generiert man einen Hype von einem kompletten Plastikwesen. Dann gibt’s halt bald gar keine richtigen Künstler mehr und dann gibt’s auch gar keine richtige Musik mehr, aber ist auch egal, es geht doch allen gut, da fühlen sich doch alle wohl. Und deswegen mache ich die BassTour, weil da die Menschen sitzen, du kannst sie anfassen.

Ja, gut, wenn man „1984“ gelesen hat und man dachte, das sei so weit hergeholt, dann ist man ja auch eines Besseren belehrt worden. Hast du schon mal den Jakobsweg absolviert?

Nee, aber tatsächlich wohne ich jetzt an diesem.

Du wohnst an diesem?

Ja.

Der führt da vorbei, oder was?
Ich glaube, der geht genau an meiner Haustür vorbei, also so original, so fünfzig Meter.

Das ist nicht schlecht, oder?
Keine Ahnung, da stehen überall Kreuze, alle paar Meter ein riesengroßes Kreuz.
Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Ist das gut? Ich weiß es nicht.

Hast du noch einen Tipp für unsere Leserinnen und Leser?

Einen ganz kleinen. Viele trinken Kaffee. Kaffee ist eine Droge, und die bewirkt, dass viele Organe in einen Überlebensmodus umschalten und Stresshormone u.a. namens Cortisol ausstoßen. Das macht uns wach. Es ist tatsächlich eine seichte Form des Überlebenskampfes. Wenn Menschen auf die Idee kommen, im Eis zu baden, ist das bestimmt irgendwie für die Nerven gut, weil die jetzt alle richtig funktionieren müssen. Aber man fühlt sich so wach, weil der Körper ums Überleben kämpft. Es ist nichts Positives.

Zuletzt erschienen, die Single-Kollabo „Promise“ von Neelix & Karla Blum, am 20. Dezember 2024 via Kontor Records / Spin Twist Records:

Aus dem FAZEmag 155/01.2025
Text: Sven Schäfer
Credit: Helen Schütt
Web: www.instagram.com/neelixmusic