Nick Solé – Musik, die berührt

Recht unbeeinflusst von Strömungen innerhalb der elektronischen Musik bastelt Nick Solé vom schönen Potsdam aus an seinen housigen Klangentwürfen. Im Juli erschien sein erster Longplayer „Flowers For You“ auf dem Berliner Feinschmecker-Label Mojuba, dessen Sound-Ästhetik er von Beginn an mitgeprägt hat. Ein guter Anlass, um etwas tiefer in Solés Welt einzutauchen.

Im Urlaub zu arbeiten ist so eine Sache. Man möchte schließlich abschalten. Von den vielen ablenkenden Aktivitäten wie laienhaftes Wellenreiten, kulinarische Genüsse à la Moules Frites vertilgen, deprimierende EM-Spiele gucken oder nervenaufreibenden Kniffel-Battles ganz zu schweigen. Aber Nick Solés Album erleichtert das Schreiben um einiges und dient locker als perfekter Soundtrack für den Sommer. Leicht, sphärisch, dubbig und deep kommen seine Tracks daher, vergleichbar mit einer erfrischenden Meeresbrise während eines Sonnenuntergangs am Strand. Und Solé fabriziert solch beschwingte Deepness nicht erst seit gestern. „Minimal Summer“ heißt sein allererstes Release auf Mojuba Records, dem liebevoll gestalteten House-Electronica-Kleinod von Don Williams aka Oracy. Damit ging für das Label 2005 alles los. Und Solé, auf dessen Briefkasten der Name Karsten Kaufmann zu lesen ist, nimmt innerhalb der Label-Geschichte eine Art Schlüsselfigur ein. In seinem von 1995 bis 2006 geführten Potsdamer Plattenladen „Mbeat“ kamen einige Fäden zusammen. Hier lernten sich unter anderem Don Williams und Mojuba-Act Sven Weisemann kennen, der damals als wissbegieriger Jungspund quasi zum Inventar des Ladens gehörte. Solé erinnert sich: „Sven war seinerzeit 13, jung und dynamisch. Zuerst machte er ein Praktikum bei uns. Daraus ist mehr geworden. Selbst nach Ablauf des Praktikums war er fast täglich im Laden und hat immer ein bisschen mitgeholfen. Umräumen, Platten stapeln usw. Und natürlich war er auch immer einer der ersten, wenn die neue Ware kam (lacht).“ Solé hatte seinerzeit sein Studio in den Geschäftsräumen untergebracht und war nebenher am Musizieren. Eines Tages ließ der inzwischen 43-jährige Musikenthusiast einen gerade angefertigten, loopartigen Track laufen, als Weisemann rein kam und aufgeregt meinte, das wäre doch genau das Richtige für das neue Label von Don Williams. Die Rede ist vom bereits erwähnten „Minimal Summer“-Track. Seitdem gehört Solé zum festen Artist-Stamm von Mojuba.

Aufgewachsen Ist Solé in einem kleinen Ort in der DDR. Mit sechs zog er nach Potsdam. Mit 18 floh er über das damalige Dreiländereck in die BRD nach Bayern und fing an als DJ zu arbeiten. 1994 zog er wieder zurück nach Potsdam. Nach Berlin ziehen war zwar irgendwann ein Thema, aber er ist einfach nicht der waschechte Großstadttyp. Nach der Wende war er aber dennoch in der frühen Berliner Techno-Szene als DJ aktiv oder spielte seine House-Sets auf den Partys von der Community „Sperrgebiet“ (auf einem verlassenen Armeegelände der Russen) in Jüterbog, eine Stadt ca. zwei Stunden von der Hauptstadt entfernt. Für ihn waren seither nie der harte Techno, sondern eher die seichteren Klänge interessant: „Was auch darauf zurückzuführen ist, dass ich aus dem Soul-Discobereich der 70er und 80er komme. Da war der Übergang zu souligen Detroit- und Garage-House nahe liegender“, blickt er zurück. Seine musikalische Sozialisation spiegelt sich selbstredend auch in seiner Produktionsweise wieder. „Am liebsten arbeite ich mit ganz schlichten Piano Rhodes. Ich bin ein Kind der 70er. Mich faszinieren Klänge aus dieser Zeit, wie sie zum Beispiel in Disco-Stücken zu hören sind“, so Solé. Irgendwann wurde es ihm sogar zu viel mit der elektronischen Musik, „da wollte ich einfach wieder meine 70er Jahre Sachen hören, wie Alicia Myers oder Gary Byrd. Mich berühren diese alten Stücke besonders. Und darum geht es mir bei Musik, sie muss mich berühren. Nur dann kann ich dieses Gefühl an den Hörer oder Partygast weitergeben.“

Beim Produzieren schwört Solé auf analoge Effektgeräte wie beispielsweise dem Lexicon Hall. „Einem der nach wie vor besten Algorithmen überhaupt“, schwärmt er. Wenn er zuhause in seinem Studio an neuen Sounds kreativ herum experimentiert, und das macht er ausgiebig, dann achtet er sehr auf gleiche Klangstrukturen. Ein Anspruch, der auf seinem Album „Flowers For You“ erneut umgesetzt wurde. Die insgesamt elf Tracks versprühen eine wunderbare Harmonie und Wärme und lassen sofort Solés Handschrift erkennen. Man merkt eben, dass hier jemand tätig gewesen ist, der recht losgelöst von Trends und intensiv seine Gerätschaften bedient. „Zu Ostzeiten hab ich mehr vorm Radio gesessen als alles andere. Heute versuche ich mir kaum fremde Sachen anzuhören, damit ich beim Musikmachen nicht zu sehr beeinflusst werde“, so beschreibt er seine Herangehensweise im heimischen Studio, in dem er ein halbes Jahr an seinem Debüt gesessen hat. Seine Musik basiert auch mal auf der Basis von Samples wie beispielsweise Zeichenstifte in Aktion oder Papierblätter die umgeschlagen werden. Sie dienen Solé als Fragmente an denen er solange rumschraubt, bis sie nach einer Hi-Hat, Bassdrum oder einem Synthie klingen. Wie etwa bei ‚I Loose My Mind‘, das als einseitig gepresste Vinyl-Maxi (die er auf dem Foto hochhält) vor einigen Monaten auf Mojuba erschienen, aber nicht auf dem Album zu finden ist. Er wollte das gezielt so, um den Käufern mehr zu bieten und nicht Tracks drauf zu packen, die im Vorfeld sowieso schon als Maxis den Weg in die Läden fanden. Und genügend neues Material steht bereits schon wieder in den Startlöchern. Eventuell wird davon in Zukunft etwas auf seinem eigenen Label „Nick Solé Trax“ veröffentlicht, das aufgrund Zeitmangels (er macht obendrein noch Mastering- und Remix-Jobs für andere Künstler) seit 2005 bei Katalognummer 001 stagniert.

Aber stressen lassen will sich der leidenschaftliche Produzent sowieso nicht. Was damit zusammenhängt, dass er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat und generell lieber alles langsamer angeht. Konkret: Er leidet seit einigen Jahren unter Agoraphobie. Also die Angst, vor die eigene Haustür zu gehen und unter Menschenmassen zu sein. Verbunden sind damit Panikattacken, die er aber inzwischen wieder einigermaßen im Griff hat. Wobei ins Flugzeug steigen immer noch nicht drin ist. Was natürlich seinen Wirkungskreis als DJ enorm einschränkt. Angebote aus dem Ausland musste er bisher ablehnen, hofft aber, „dass die Leute das verstehen und nachvollziehen können“. Davon abgesehen möchte Solé ohnehin seine Energie für andere wichtige Dinge aufsparen wie Familie und Studioarbeit: „Mit der Musik arbeiten tangiert mich mehr, weil man jeden Tag dran sitzen und neue kleine Details herausarbeiten kann, wie z. B. einen bestimmten Klang. So was bekommt man eben nicht in einem SAE-Studio beigebracht, das sind alles Erfahrungswerte die jeder für sich selbst sammeln muss und zeitintensiv sind.“ Regelmäßig zu hören ist Solé allerdings im Berghain. Für ihn „einer der vernünftigsten Läden. Dort kann ich Musik spielen die ich mag. Und die Gäste machen das auch mit“, erzählt er. Wenn er hinter den Decks steht und Vinyl auflegt, baut Solé gerne 70er-Jahre-Stücke, Dub und TechHouse-Tracks in seine Sets mit ein, wobei der Hauptfokus auf Deep House sowie der allgemeinen Kreation einer gewissen Atmosphäre liegt. Ganz gleich was er in seinem Leben angeht, Solés Philosophie lautet: „Ich mache das, was ich machen muss und mit dem ich mich gut fühle. Das macht mich glücklich.“

Nick Solé – „Flowers For You“ ist digital, als CD und limitierte Vinyl-Edition auf Mojuba Records erschienen.

www.mojubarecords.com

Text: Alexander Antonakis