Orchestral Tools Salu – Neue Klangfarben im Techno-Business

Seit Anfang der 80er-Jahre gibt es nun schon elektronische Tanzmusik im strengeren Sinne. Seitdem hat sich das Spektrum dessen, was für manche Zeitgenossen vielleicht auch einfach nur Techno ist, erweitert, erweitert und wiedermal erweitert. Es gibt, ohne dabei zu übertreiben, Hunderte elektronische Genres: von „Electronica Venezuela“ über „German Dark Minimal Techno“ bis zu „Glitter Trance“.

Natürlich sollten wir nicht Genre-Etiketten für bare Münze nehmen. Aber was daraus trotzdem folgt, ist: Der beste Einfluss auf elektronische Musik ist meistens nicht die elektronischer Musik selbst. Oft sind es andere Genres, die in Verbindung mit den gewohnten elektronischen Texturen, den Reiz der „Musik der Zukunft“ ausmachen. Diese neuen musikalischen Elemente kommen oft über Umwege in den Techno-Mainstream: Avantgarde-Elektronik, lokale Communities, die Plattensammlung des großen Bruders. All diese Dinge halten die Welt der elektronischen Tanzmusik interessant. Und wie taucht man nun ab in eine komplett neue Soundwelt, die uns bis über unseren gewohnten Tellerrand und uns mit bisher unbekannten Klängen in Verbindung bringt? Für mich ist es oft ein ungewöhnliches Samplepack, das neue Impulse in meine Interpretation von Techno und House bringt. Intensiv beschäftigt habe ich mich deswegen in letzter Zeit mit „Salu“, einer spielbaren Sample-Library von Orchestral Tools.

Bei „Salu“ dreht sich alles darum, nordische Landschaften, Gebilde aus Nebel, Eis und dunkelgrünen Wäldern hörbar zu machen. Dafür geht es einerseits in unendliche Weiten, die das Ohr in große Räume und verhallte Botschaften entführen. Andererseits gibt es auch die kleinen, detailreichen Sounds, die wir nur hören können, wenn wir ansonsten in absoluter Stille sind. Um den Klang dementsprechend zu materialisieren, sind Objekte aus Metall, Holz oder Eis die erster Wahl gewesen. Oder, um es endlich greifbarer zu machen: „Salu“ macht die Aufnahmen von besonderen Strings, Tasten-, Zupf- und Percussion-Instrumenten aus dem baltischen Raum spielbar in der DAW. Dazu kommen noch Vocal-Ensembles, die weit weg von übergroßen, eher kitschigen Chören sind, wie sie in anderen Libraries oft vorkommen.

Neben den puren Instrumentenaufnahmen gibt es eine weitere Kategorie, die Orchestral Tools „Processed“ nennt. Hier haben die Sounddesigner*innen mit dem Ausgangsmaterial noch weiter gearbeitet, um deutlich elektronisch inspirierte Soundscapes, Effekte, Plucks, Drones oder Sequenzen aus den orchestralen Instrumenten zu kreieren. Auf die Details gehe ich später noch ein, zuerst möchte ich auf den Vibe eingehen, den das Produzieren mit der Library ausgelöst hat. In elektronischer Musik wurden Klangfarben und Melodien oft zusammen gedacht, sodass sich der Output sicherlich ändert, wenn man mit anderen Sounds startet zu experimentieren. Bei „Salu“ wurde alles schnell sinnlicher, sphärischer und mit Sicherheit etwas geheimnisvoll. Es gibt vor allen bei den Percussions aber auch oft sehr industrielle, schreiende oder metallische Klangfarben, die sich per se gut an technoide Groove-Gerüste anschmiegen.

Wichtig bei einer Sample-Library ist immer, dass man durch das Drücken einer Taste einen fast fertigen Soundtrack geliefert bekommt, da sich das Preset schon rhymthisch bewegt, komplexe Harmonik  hat und perfekt gemischt ist. So etwas gibt es bei „Salu“ ganz selten leider auch, aber die allermeisten Instrumente sind darauf ausgerichtet, dass man mit ihnen spielt und eine Verbindung mit ihnen aufbaut. Manchmal lohnt es sich auch einfach sehr, die unglaublich organischen Texturen nochmals zu sampeln, zu zerstückeln und zu verzerren, um dann ein perfektes Ausgangsmaterial für elektronische Musik zu haben. Wenn man dann etwas mit „Salu“ vertraut ist, kommt man schnell dem Sound mancher legendären Produzent*innen und Musiker*innen sehr nahe: Das Piano ist eins der am intim und fragil klingendsten Pianos überhaupt auf dem Samplemarkt und übertrifft dabei sogar das Una Corda von Native Instruments. Kein Wunder, dass man sich hier schnell in den Sphären von Nils Frahm selbst oder auch von Kiasmos wiederfindet.

Auch die Stimmensembles, weit weg von cinematischen Klischees, passen sehr gut in die Klangpalette von Künstlern wie Four Tet, TwoShell oder Jamie xx, während sich einige der experimentellen Percussions perfekt in Tracks von Robag Wruhme oder DJ Koze einbetten würden. Mit dabei sind auch sehr sanfte, ultranah aufgenommene Violas und Celli, die sehr an die Soundästhetik des Hamburger Produzenten Stimming oder Christian Löffler erinnern. Mittendrin in vibrierend-aufgeladenen Flächen, wie von Moderat oder Jon Hopkins, ist man in der Soundkategorie „Dreamstate“ und „Evolving“. Eine wichtige Rolle bei dieser Library spielten auch die Musiker*innen, mit denen die Berliner Sample-Manufaktur Orchestral Tools alle Instrumente aufgenommen hat. Diese sind nämlich nicht nur einfach gute Studiomusiker*innen, sondern sind im Baltikum und im weiten Umland sehr bekannt, nicht zuletzt wegen ihrer experimentellen Herangehensweise.

Für die Percussions war zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Drummer Vambola Krigul sehr entscheidend. Gongs, Glockenspiele, Vibraphone, Donnerbleche, Pauken, Chimes und Bassdrums wurden mit unterschiedlichsten Materialen angeschlagen, zum Schwingen oder mit einem Geigenbogen zum „Singen“ gebracht. Gerade die Zusammenarbeit mit den Musiker*innen hat noch einmal einige ganz besondere Artikulationen aus den Instrumenten herausgeholt. Und so kommt es, dass wir spielerische Arpeggios, sanfte Swells oder flirrende Noises hören, die mit den Möglichkeiten von Ableton & Co. ganz schnell eine organische Leichtigkeit in die Musik bringen. Gerade diese Organik ist etwas, wo Producer*innen oft am längsten dransitzen, weil es eben so schwer ist, mit synthetischen Instrumenten diese charaktervollen Texturen zu kreieren. Somit ist eine gute Library in gewisser Weise ein Shortcut, um natürlich anmutende Klänge produzieren zu können.

Bei „Salu“ fällt ziemlich auf, dass alle individuellen Stimmen und Instrumente sehr gut im Mix miteinander matchen, sodass man hier schnell einen klanglichen roten Faden im Track hat, wenn man „Salu“ benutzt. Orchestral Tools hat für seine Libraries den eigenen Sine-Player entwickelt, indem Produzent*innen zwischen verschiedenen Hörpositionen wechseln können. Damit kann man selber entscheiden, wie nah man an den Instrumenten dran sein möchte. Oder ob man lieber den extrem hochwertigen Raum des Aufnahmestudios benutzen oder lieber doch eine ganz trockene Version hören möchte, um die Raumeffekte selber gestalten zu können. Gerade das macht manchmal den Unterschied zwischen sehr klassisch-orchestral klingenden Instrumenten und außergewöhnlich-ungehörten Ear-Catchern aus.

Unten sind ein paar Presets aufgelistet, mit denen ihr garantiert einen guten Start in die elektronische Musik mit „Salu“ haben werdet. Darüber hinaus ist „Salu“ aber natürlich auch ein gutes Tool für Sounddesign, Kunstinstallationen und Filmmusik, wofür es im Grunde auch gedacht ist. Umso besser, wenn man diese Klangpalette nimmt und spannend in neue Kontexte einbindet.

Schickt mir eure Ergebnisse gerne auf bastian@fazemag.de.

Starter Presets:
Deephouse: Vibraphone, The Taw
Industrial Techno: Crotales (Single Bow)
UK-Bass: Tulip Flare, Solo Harp (Staccato), Male Ensemble (Crescendo Short Humming)
Hypnotic Techno: Forebording
Tech-House: Fractured Bell
Hardtech: Pitter Patter

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Aus dem FAZEmag 133/03.2023
Text: Bastian Gies
www.orchestraltools.com/store/home