Ost & Kjex – Das tanzbare Ende der Welt

Foto: Henrik Lindal

Über zwei Jahre Pandemie haben in der Musik- und Kulturbranche weltweit ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur in Sachen Finanzen, sondern auch inhaltlich. Während viele Künstler*innen diese Zeit in ihren jüngsten Werken vorhersehbar nachdenklich und melancholisch verarbeiten, sieht das bei Ost & Kjex ein wenig anders aus. Ihr neues Album „Songs From The End Of The World“ ist unberechenbar.

Dabei haben die äußeren Umstände von 2019 bis 2022 natürlich auch die Albumproduktion der beiden Norweger auf den Kopf gestellt. Ursprünglich hatte das Duo geplant, durch Norwegen zu reisen und eine breite Palette von Künstler*innen aufzunehmen, um die Vielfalt der norwegischen Musikstile zu zeigen – von Marschkapellen und Volksmusik von Einwanderern über Jazz bis zu Underground-Techno-Produzenten. Letztendlich kam alles ganz anders.

So überraschend, wie die Pandemie den Globus traf, so überraschend sind auch die neun neuen Tracks von Ost & Kjex geworden. „Das passt zum Charakter von Ost & Kjex“, erzählt Tore Gjedrem. „Vielleicht macht es Sinn, wenn ich sage, dass wir von klassischen Elektronik-Duos wie Yello, DAF, Yazhoo, Soft Cell usw. inspiriert sind. Wir machen eine Vielzahl von Songs in einem House-, Techno- und Disco-Rahmen und hoffen, mit dem Album viele verschiedene Arten von Emotionen anzusprechen. So wie das Leben an sich eine Menge Abwechslung bietet, hoffen wir, dies in unserer Musik widerzuspiegeln.“

Dystopisch ist „Songs from the end of the world“ jedenfalls nicht geworden, sondern sehr tanzbar und Genre-flexibel. „Der Albumtitel ist eine Reflexion über viele Dinge, eines davon sind die dunklen und seltsamen Zeiten, in denen wir leben. Das findet sich auch in den Texten und der Musik wieder, aber hoffentlich auf eine nicht zu düstere Art und Weise“, so Gjedrem. Vielmehr wollen er und Petter Haavik Geschichten darüber erzählen, wie Menschen mit der Situation und dem Alltag zurechtkommen. Traurig, aber auch glücklich und verrückt.

So dachte Gjedrem beim düsteren Song „Negative Space“ beispielsweise an Eskapismus und an Jugendliche, die während der Pandemie den Überblick über Zeit und Raum verlieren. Gleichzeitig bezeichnet er die Funk- und Breakbeat-Nummer „She’s not from Spain“ als seinen Lieblingssong des Albums – „wegen seiner Fröhlichkeit“. Und dann wäre da noch „Laila“, der letzte Track des Albums, der einen ganz besonderen Platz einnimmt. Eine dunkle, aber humorvolle Geschichte über Laila Bertheussen, die Frau des ehemaligen norwegischen Justizministers. So viel zum Thema Vorhersehbarkeit.

„Sie wurde zu einem ziemlichen Phänomen, als sie bei Sabotageversuchen an ihrem Haus erwischt wurde. Damit reagierte sie darauf, dass ihre Familie in einem linksgerichteten Theaterstück im Untergrund als Sympathisanten der extremen Rechten geoutet worden war“, erzählt Gjedrem und ergänzt: „Sie tat viele verrückte Dinge, um Antirassisten die Schuld in die Schuhe zu schieben und Sympathien in den Medien zu gewinnen. Zunächst wurde die gesamte Öffentlichkeit zum Narren gehalten. Dann kam die Wahrheit ans Licht und es kam zum Eklat.“

Vielleicht ist es gerade dieses ambivalente Gefühl der Überraschung, das die Zeiten der Pandemie besser spiegelt, als ein depressiver oder zwanghaft optimistischer Song es jemals könnte. Und vielleicht spielt es dem Duo aus Kolbotn in die Karten, dass Abwechslung und Unvorhersehbares seit seiner Gründung zum musikalischen Konzept gehören. Eigentlich kein Wunder, bedenkt man, dass Ost & Kjex, so Gjedrem, ursprünglich über die Szene des Death Metal zur House-Musik fanden. „Ich glaube, die Extreme dieses Genres haben uns offen für alle Arten von experimenteller Musik gemacht. Alles ist möglich. Man schult seine Ohren, um gute Musik an vielen verschiedenen Orten zu finden.“

 

Aus dem FAZEmag 125/07.2022
Text: scharsigo
Foto: Henrik Lindal
www.instagram.com/ostandkjex