
Seit über 30 Jahren steht Paco Osuna für Innovationsgeist, Präzision und Leidenschaft in der elektronischen Musik. Doch statt sich auf Vergangenes zu berufen, blickt der spanische DJ und Labelbetreiber konsequent nach vorn. Mit seiner weltweit expandierenden Eventreihe NOW HERE, dem Fokus auf musikalische Identität statt bloßer Namen und einem klaren Bekenntnis zu Familie, Kreativität und gesellschaftlicher Verantwortung hat Osuna einen seltenen Zustand erreicht: künstlerische Reife ohne Stillstand. In diesem Sommer kehrt NOW HERE zurück in den Club Room von Hï Ibiza – an jenen Ort, der für Osuna zur kreativen Heimat geworden ist.
Nach umjubelten Nächten in Städten wie Miami, Amsterdam und New York sowie zwei unvergesslichen Full-Club-Takeovers erwarten das Publikum ab dem 17. Juni erneut 16 kraftvolle Dienstagabende mit einem sorgfältig kuratierten Line-up aus etablierten Acts und frischen Talenten – von Melanie Ribbe, Nicole Moudaber und Ilario Alicante bis hin zu Sosa, Joëlla Jackson und Iglesias. Es ist der nächste Schritt auf Osunas Mission, den Moment zu feiern und Musik als emotionales Bindeglied zwischen Künstler und Crowd zu nutzen.
Im Interview spricht er über das Clubbing von morgen, Ibiza als prägende Kraft, emotionale Belastbarkeit auf Tour – und warum „Gelassenheit“ sein Leitsatz für das kommende Jahrzehnt ist.
NOW HERE hat sich von einer Club-Residenz zu einer globalen Bewegung entwickelt. Wenn du auf die erste Saison auf Ibiza zurückblickst – wie haben diese Momente deine Vision für die Zukunft des Konzepts geprägt?
Diese Momente haben alles geprägt. Die ursprüngliche Idee war einfach nur, auf Ibiza präsent zu sein und zu sehen, wie das Publikum reagiert – ohne große Erwartungen. Wir wollten einfach den Moment genießen und uns auf der Insel einen Platz schaffen, wobei Qualität immer oberste Priorität hatte. Wir wollten eine Party mit einer musikalischen Identität schaffen, nicht nur ein Line-up voller Namen, die Tickets verkaufen. Als wir dann den enormen Rückhalt der Leute sahen, ihr Engagement und ihre Verbindung zur Marke, wurde uns klar, dass wir etwas mit echter Dynamik erschaffen hatten. Da beschlossen wir, die Partys auch außerhalb der Insel zu veranstalten. Wir wussten nicht, ob der Erfolg, den wir auf Ibiza hatten, sich anderswo wiederholen würde – aber die Wahrheit ist: Er tat es, und zwar sehr schnell. Ich kann nur dankbar sein für alles, was wir gerade erleben.
Du hast NOW HERE rund um die Welt gebracht – von New York über Amsterdam bis Miami. Wie schaffst du es, den Geist Ibizas zu bewahren und dich gleichzeitig an die Clubkultur jeder Stadt anzupassen?
Das ist eigentlich der einfachste Teil. Wenn wir reisen, bewahren wir den Geist Ibizas, indem wir nichts verändern. Wir bleiben überall der musikalischen Identität der Marke treu. Unser musikalisches Konzept ist nicht verhandelbar. Wenn Veranstalter uns für ein NOW-HERE-Event anfragen, sagen wir ihnen als Erstes, dass sie keine DJs buchen dürfen, die nicht bereits bei unseren Partys gespielt haben. Es macht keinen Sinn, jemanden ins Line-up aufzunehmen, der nicht Teil der Ibiza-Erfahrung war. Vielleicht ist genau dies unsere Stärke und der einfachste Weg, unsere Identität zu wahren.
In einer Welt voller Ablenkung und „kurzfristiger Befriedigung“ durch so viele Impulse wie Social Media und anderes – wie bleibt die NOW-HERE-Philosophie, „im Moment zu leben“, relevant und kraftvoll?
Wir halten diese Philosophie im Club am Leben und versuchen, sie vor allem auf die Tanzfläche zu übertragen – nicht nur ich, sondern alle Künstler. Wir tun das durch Musik und indem wir wirklich im Moment leben. Das habe ich schon immer getan – und wenn ich „immer“ sage, meine ich wirklich immer. Ich versuche, Tag für Tag zu leben und das Beste aus jedem Moment zu machen. Und selbst wenn es ein schlechter Tag ist, versuche ich trotzdem, ihn so gut wie möglich zu genießen.
Die Clubkultur wird globaler und kommerzieller – wo siehst du eine Verantwortung bei den Künstler*innen, um den Geist des Undergrounds lebendig zu halten?
Das ist eine sehr gute Frage. Es hängt vom jeweiligen Künstler ab und davon, wie sehr er sich innerhalb der Szene engagiert und welche Werte er oder sie vertritt. Viele DJs heute haben nicht den Background, den Künstler meiner Generation haben – einfach, weil sie diese Ära nicht miterlebt haben. Aber auch ich habe die DJ-Szene der 70er oder 80er nicht erlebt, dennoch wollte ich immer wissen, woher die Trends kommen, wer die Pioniere waren, welche Mixing-Techniken es gab usw. Heute gibt es größtenteils wenig Interesse daran, die Wurzeln der DJ-Kultur zu verstehen. Sie leben nur in ihrem Moment, mit ihren eigenen Regeln, und vergessen dabei das Wesentliche der wahren Kultur und Geschichte elektronischer Musik.
Ein DJ schafft einzigartige Momente durch das Mixing – Erlebnisse, die sich vielleicht nie wiederholen, weil genau diese Kombination nur einmal in diesem Moment passiert ist. Ehrlich gesagt glaube ich, dass dieser Drang, mit Musik Emotionen zu erzeugen, heute oft von anderen Faktoren verdrängt wurde, die wenig mit der Kunst des DJing zu tun haben – zum Beispiel liegt der Fokus mehr auf visuellen Shows oder Publikumsinteraktion. Was ich versuche, ist, die Werte weiterzugeben, die mir ältere Generationen von DJs vermittelt haben, und sie mit jeder Generation zu teilen, die dafür offen ist.
Ibiza hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Was gilt es deiner Meinung nach zu bewahren – und was sollte sich weiterentwickeln?
Was auf Ibiza – im Bereich Clubkultur – bewahrt werden sollte, ist das, was die Insel überhaupt erst groß gemacht hat: Freiheit, die Irrelevanz sozialer Klassen oder von Elitismus auf der Tanzfläche. Und die Werte, die Ibiza schon immer ausgezeichnet haben: Einfachheit und Gleichheit. Wir haben im Club Room im Hï Ibiza von Beginn an darum gebeten, die VIP-Tische zu entfernen, um den Dancefloor größer zu gestalten.
Was sich weiterentwickeln sollte, weiß ich nicht genau. Was die Clubinfrastruktur angeht, ist Ibiza weltweit ganz oben. Kult-Clubs wie Hï, Ushuaïa, Pacha, DC10 und andere gehören zu den besten der Welt. Was sich meiner Meinung nach ändern sollte, ist die Art, wie Promoter Veranstaltungen organisieren. Heute dreht sich alles um Namen und Ergebnisse – das eigentliche Talent eines DJs wird kaum noch gewürdigt. Es geht mehr um die Marke hinter dem Künstler. Das bedeutet, dass viele unglaublich talentierte DJs keine Chance bekommen zu zeigen, was sie können – und ehrlich gesagt macht mich das traurig.
Du hast im Laufe der Jahre unzählige Line-ups kuratiert. Wie findest du das Gleichgewicht zwischen publikumswirksamen Bookings und der Förderung neuer, unbekannter Künstler*innen?
In meinem jetzigen Alter – ich bin 50 – mache ich nur noch Dinge, die mich wirklich motivieren, und die Kuratierung eines Line-ups ist etwas, das mich sehr begeistert. Nach so vielen Jahren in der Branche – nicht nur als DJ, sondern auch als Promoter – habe ich gelernt, das Publikum meiner Events zu verstehen. Ich hatte fast 13 Jahre lang die Möglichkeit, Club4 in Barcelona zu veranstalten, und das hat mir viel darüber beigebracht, wie man einen Abend entwickelt, ohne seine Identität zu verlieren, und dabei trotzdem das Publikum mit dem Line-up zufriedenstellt. Ja, es muss ein Gleichgewicht geben, aber man muss auch die Persönlichkeit der Party priorisieren. Das richtig zu machen, ist letztlich eine Frage der Erfahrung in der Szene.
Dein DJ-Setup enthält Drummachines, Sampler und Ableton – Tools, die man eher bei Live-Acts vermutet. Ist dein Set eher ein „Hybrid-Live“-Set?
Dieser Begriff „Hybrid-Live“ ist gerade ziemlich angesagt, aber ich persönlich mag es nicht, mein Set so zu nennen. Ich denke, um es wirklich so zu bezeichnen, müsste ich viel mehr machen, als nur eine Drummachine und ein paar Effekte einzusetzen. Jeff Mills oder Richie Hawtin haben so etwas in ihrer ganzen Karriere gemacht, ohne dass es so genannt wurde. Für mich sind das einfach Teile meines DJ-Setups – Werkzeuge, mit denen ich Dynamik auf der Tanzfläche erzeugen und Tracks mit externen Elementen manipulieren kann. Aber ich nenne es nicht Hybrid-Live, es ist einfach mein DJ-Setup.
Dein Label Mindshake ist seit fast 20 Jahren ein Fixpunkt in der Technoszene. Welche Herausforderungen begegnen dir, um das Label frisch und relevant zu halten?
Ich stehe heute vor denselben Herausforderungen wie am ersten Tag. Ich glaube, musikalische Ehrlichkeit – sowohl in der Produktion als auch als DJ – ist extrem wichtig, und früher oder später zahlt sich das aus. Deinen Prinzipien treu zu bleiben, auch in schwierigen Zeiten, ist das, was Identität schafft. Ich veröffentliche einfach Musik, die mir persönlich gefällt und die ich auch in meinen Sets spiele. Vielleicht ist das das Geheimnis, wie das Label frisch und relevant bleibt.
Du und deine Frau Melanie Ribbe habt kürzlich offen über die Herausforderungen gesprochen, eine Beziehung und Familie im Tourleben zu führen. Was hält eure Verbindung trotz des fordernden Lebensstils stark?
Was sie stark hält, sind die Liebe und der Respekt, die wir füreinander haben. Wir beide brennen für Musik und lieben wirklich den DJ-Beruf und die Kunst des Mixens. Es ist etwas Wunderschönes, diese Leidenschaft teilen und gemeinsam genießen zu können. In unserem Fall hilft es sehr, dass wir die beruflichen Anforderungen des anderen verstehen, weil wir dieselben Erfahrungen machen. Wenn sie im Studio sein oder sich auf eine Show vorbereiten muss, verstehe ich das – ich durchlaufe ja dasselbe. Also respektieren wir gegenseitig unsere Arbeitsräume genauso wie unsere Familienzeit. Das Positive ist, dass wir manchmal Events gemeinsam spielen und gemeinsam reisen können. Aber oft ist sie auf der einen Seite der Welt und ich auf der anderen. Das ist unser Beruf und wir respektieren ihn. Wenn wir unter der Woche zu Hause sind, verbringen wir Zeit mit unseren Kindern und genießen das Familienleben, so gut es geht.
Denkst du, dass die emotionale und persönliche Seite von DJs für die Fans – und für dich als Künstler – immer wichtiger wird?
Für mich sollte die persönliche Seite überhaupt keine Rolle spielen. Ich versuche, mein Privatleben von meinem Berufsleben zu trennen. Als Künstler möchte ich, dass meine Fans meine Arbeit wertschätzen und sich dafür interessieren. Wenn ich nicht auftrete, möchte ich ein völlig normales Leben führen und eher im Hintergrund bleiben. Die Welt kennt Paco Osuna als DJ – nicht wegen meines Kleidungsstils oder weil ich an bestimmten Orten gesehen werde. Deshalb poste ich auf meinen sozialen Medien – abgesehen von ein paar Ausnahmen – nur über meine Produktionen und Auftritte. Ich möchte nicht, dass sich die Aufmerksamkeit auf etwas anderes richtet. Es stimmt, dass sich viele Menschen auch für die private Seite interessieren oder sie schätzen, aber das ist nichts, was mich persönlich interessiert. Ich konzentriere mich lieber auf das, was in meiner Karriere wirklich zählt.
Du hast die Entwicklung der geschäftlichen Seite der Branche miterlebt. Was denkst du über die zunehmende Dominanz großer Agenturen und Streamingplattformen?
Die Welt und die Gesellschaft entwickeln sich ständig weiter, und man muss diese Veränderungen akzeptieren – auch wenn man sie nicht mag oder sich nicht damit identifizieren kann. Ich bin ein Mensch, der nach dem Motto lebt: Leben und leben lassen.
Touren kann körperlich und mental sehr belastend sein. Was hast du über persönliche Nachhaltigkeit gelernt – sowohl als Künstler wie auch als Vater?
Es ist sehr wichtig, das Berufsleben vom Privatleben zu trennen. Man muss sich bewusst Zeit für Routinen außerhalb der Arbeit nehmen, sonst frisst dich der Job auf und du lebst nicht wirklich. In meinem Fall priorisiere ich unter der Woche meine Familie und meine Rolle als Vater. Ich kann nicht ständig an Arbeit und kommende Touren denken – ich versuche, alles gut zu organisieren, um für alles Zeit zu haben. Ich widme einen Tag pro Woche dem Hören neuer Promos, gehe zur Physiotherapie, um mich vom Wochenende zu erholen, und arbeite mit einem Personal-Trainer, um meinen Körper zu stärken – vor allem die Bereiche, die durch viele Reisen, Shows oder Schlafmangel stark beansprucht sind. Nach 31 Jahren auf Tour muss ich gut auf mich achten und meinen Kopf vom Arbeitsdruck befreien. Früher habe ich nur für und durch Musik gelebt, aber seitdem ich eine Familie habe, sind meine Prioritäten klar.
Du hast Ibiza als einen Ort beschrieben, der einen verändert. Wie hat deine persönliche Entwicklung in den letzten zehn Jahren deinen Sound beeinflusst?
Ibiza hat meinen Sound nicht verändert, weil ich im Grunde auf der Insel als DJ geprägt wurde. In gewisser Weise bin ich mit ihrem Sound aufgewachsen. Wie alles im Leben entwickelt man sich weiter und passt sich neuen Generationen und musikalischen Trends an – aber ohne seine Identität zu verlieren. Ich mag Musik mit Bass, Funk und viel Groove – egal, ob House, Tech-House, Techno oder Minimal, das sind die Genres, die ich im Laufe meiner Karriere gespielt habe. Diese Elemente müssen einfach immer da sein. Ibiza hat mich also nicht verändert, sondern eher mit der Zeit geformt und weiterentwickelt – ohne dass ich meine Persönlichkeit verloren habe.
In Zeiten globaler Instabilität – glaubst du, dass Nachtleben und elektronische Musik weiterhin eine politische oder gesellschaftliche Funktion erfüllen?
Ich glaube, Musik – speziell elektronische Musik – erfüllt eher eine gesellschaftliche als eine politische Funktion. Meine Aufgabe als DJ ist es, den Menschen ein gutes Gefühl zu geben, ihnen zu helfen, ihre Probleme zumindest für die Dauer meines Sets zu vergessen, und ihnen durch Musik ein Ventil zum Loslassen von Stress oder Angst zu bieten. Die gesellschaftliche Funktion elektronischer Musik besteht für mich darin, durch Musik Zusammenhalt zu schaffen – Bindung, Zugehörigkeit, Liebe – und auf diese Weise auch Solidarität zu fördern.
Du hast mit einigen der größten Namen der elektronischen Musik gearbeitet. Wer inspiriert dich aktuell am meisten – und warum?
Es gibt viele Menschen, die mich inspirieren – nicht nur eine einzelne Person. Wie du gesagt hast, habe ich mit allen großen Namen der Szene gearbeitet, mit der ich aufgewachsen bin. Aber heutzutage finde ich viel Inspiration in der neuen Generation – angefangen bei meiner Frau Melanie bis hin zu Iglesias, Fer BR und vielen anderen. Sie bringen frische Ideen und andere Perspektiven als ich, und ich lerne viel von ihnen. Ich habe immer gesagt: Das Großartige an diesem Beruf ist, dass man ständig lernt, weil sich Musik und Technologie permanent weiterentwickeln.
Wenn du dir deine nächsten zehn Jahre mit nur einem Wort oder Gefühl vorstellen müsstest – welches wäre es?
TRANQUILITY.
Gerade erschienen: Paco Osunas Remix für den neuen Track „Strictly Rhythm“ seiner Frau Melanie Ribbe:
Aus dem FAZEmag 160/06.2025
Text: Triple P
Credit: Alex Caballero
Web: www.instagram.com/pacoosuna