Pendulum – Losgelöster Neustart

Foto: Andrew Cotterill

Im Bereich Synth-Rock, Electronica, Drum ’n’ Bass und allen Sub-Genres dazwischen gehört die australisch-britische Band Pendulum zu den ganz großen Namen. Musik machen sie gemeinsam bereits seit 23 Jahren. Fans der ersten Stunde werden sich noch an die Erfolgsalben „Hold Your Colour“ und „In Silico“ erinnern oder an ihren weltweit gefeierten Remix von The Prodigys „Voodoo People“. Songs aus ihrem 2010er Album „Immersion“, zum Beispiel „Witchcraft“ oder „Watercolour“, zählen bis heute allein auf Spotify jeweils über 80 Millionen Klicks. Und trotzdem: Ihr neues Album „Inertia“ fühlt sich an wie ein Comeback und Neustart zugleich, denn es ist das erste Studioalbum der Band in den letzten 15 Jahren.

Zum Peak des Dubstep-Hypes entschieden sich zwei der Mitglieder, Rob Swire und Gareth McGrillen, das Projekt Pendulum vorerst zu pausieren und 2011 als Knife Party eine eher DJ-Set-lastigere Karriere hinzulegen. Aus einem Nebenprojekt wurde ein globales Top-Duo, das die größten Festivals der Welt bespielte und sich auch in Zahlen ausgedrückt dank Hits wie „Bonfire“ oder „Internet Friends“ nicht vor den Erfolgen von Pendulum verstecken musste. Erst viele Jahre später sollten Reworks alter Pendulum-Klassiker erscheinen, und die Mitglieder Paul Harding und Ben Mount gingen zumindest mit Pendulum-DJ-Sets auf Tour. Mount, der die Band auch als „MC Verse“ zehn Jahre lang begleitete und u.a. auf dem 2009er Album „Live In Brixton“ zu sehen ist, verließ Pendulum 2018 gänzlich.

Es schien, als hätten Pendulum nicht mehr funktioniert, weil sie nur noch funktioniert hatten. So oder so ähnlich begründete Sänger Rob Swire vor vielen Jahren die Priorisierung von Knife Party. Für Fans eine bittere Pille, denn während diese die große Bandbreite und kreative Flexibilität von Pendulum zu schätzen wussten, schien die Band sich dadurch eher unter Druck zu setzen. Umso erfreulicher, dass das Ganze ein Happy End zu finden scheint. Denn im Verlauf der Corona-Pandemie bis heute tropften plötzlich die kraftvoll frischen EPs „Elemental“ und „Anima“ aus dem Studio der Band, ebenso wie das gefeierte Taylor-Swift-Cover „Anti-Hero“. Und et voilà, wie aus dem Nichts erschien dann in diesem Jahr „Inertia“ (Mushroom Music/Virgin/Integral) – nach 15 Jahren Wartepause, vollgepackt mit 16 Tracks und konzipiert für aufwendig inszenierte Live-Shows und mit Features wie Wargasm, Bullet For My Valentine oder AWOLNATION.

„Ich wollte mich nicht auf Drum ’n’ Bass, Metal oder irgendetwas anderes festlegen. Ich wollte einfach nur dem folgen, was sich richtig anfühlt. Und das ist bis heute die Herausforderung – dieses Gleichgewicht zu finden. Wenn es zu sehr in eine Richtung geht, fühlt es sich nicht mehr richtig an“, meint Rob Swire. Mit den EPs habe man im Grunde getestet, wie weit es Pendulum treiben könne. „Ich wollte sehen, womit wir durchkommen. Für mich war The Prodigy immer der Maßstab. Sie haben als reiner Rave angefangen – Breakbeat, Hardcore – aber sie haben sich weiterentwickelt. Sie haben ihren eigenen Sound gefunden. Man bringt sie nicht mehr wirklich mit Breakbeat in Verbindung. Sie sind einfach The Prodigy. Genau das wollte ich immer für Pendulum.“

Viele Wege sind also das Ziel, und in diesem Fall hat die Band ihre Wege gefunden. „Inertia“ predigt nicht nur von kreativer Befreiung, es ist der lebende Beweis dafür. Hier geben sich Screamo-Industrial-Track „Save The Cat“ und Hyperpop-Song „Colourfast“ die Hand. Hier wird Electro-Punk mit „Cannibal“ abgefeuert, ehe „Silent Spinner“ mit Mariachi-Musik daherkommt, nur um anschließend wie ein düsterer Tribut an Nine Inch Nails oder Depeche Mode durch die Boxen zu schreddern. Der Sound von Pendulum wird immer einen gewissen Wiedererkennungswert besitzen – doch niemand wird vorhersagen können, was sie als Nächstes damit anstellen. Was für ein Privileg.

Aus dem FAZEmag 164/10.2025
Text: Michael Scharsig
Foto: Andrew Cotterill
www.instagram.com/pendulum