Planet Xenbel: Der Eisjunge

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Letzen Monat war ich in St. Petersburg. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel, dachte ich an meine Oma und erinnerte mich an eine Geschichte, die sie mir vor meinem letzten Auftritt dort erzählt hat.

Der Junge, noch nicht einmal Teenager und schon ein Kapitalist. Angefangen hat es mit seiner Vorliebe für Eis. Wenn er für seine Freunde Eis holte, berechnete er ihnen immer etwas mehr, als er tatsächlich ausgab. Dann haben seine Eltern ihm eine Bude gebaut, wo er Eis verkaufen konnte. Zuerst haben nur seine Freunde Eis gekauft, dann ihre Mütter und jetzt hat er ein eigenes Bankkonto, möchte expandieren und auch Limonade anbieten. Der Junge ist erst zehn. In Amerika ist alles möglich. Wie die neuen Russen, die damals angefangen haben, motivierende Worte zu sprechen: „Wenn du arbeitest, dann hast du alles … Wir können sogar Staub zu Geld machen!“ Und die nicht ganz so hellen Kommunisten, die immer mehr Lücken für die Demokratie schufen. Ein Stück Wald abbrannten, um Häuser zu bauen, aber vergessen haben, den Weg aus dem neuen Dorf zur nächsten Straße zu asphaltieren, als sie mit dem Bau fertig waren. Über ein Jahr gingen die Menschen 250 Meter durch den Schlamm, bis die neuen Russen kamen und den Weg asphaltierten. Schwups, waren die ersten Anhänger da.

Sieh mal zu, dass du voran kommst, wir werden uns länger nicht sehen, schaff dir Freunde an, auch wenn du dich deiner Meinung nach alleine ganz gut unterhalten kannst. Ich empfehle dir auch erst im Frühling nach Moskau zu kommen, oder im September, aber den hast du ja schon verpasst. Momentan ist es zu kalt, das bekommt deiner sonnengebräunten Haut nicht. Bleib mal lieber in Hamburg, da ist, wie in St. Petersburg, der ewige Regen angesagt. Du liebst doch Petersburg, schon als Kind hast du diese Stadt geliebt, du kannst sie riechen. St. Petersburg, die rote Revolution. Petrograd, Lenin ist gestorben. Leningrad, dann kam die Perestroika.

Was ein großartiger Umbau, der Stadt seinen alten Namen wiederzugeben. Welch eine Symbolik, was ein Hass in mir steckt, wie konnte man nur jemanden wie Gorbatschow eine Perestroika durchführen lassen? Wieso sollten wir Bürger einem Menschen, der den Kommunismus verkörperte, glauben schenken? Ein Ein-Parteien-System, schwer vorstellbar. Was die Partei zu Tage brachte, wurde unter Ängsten bejaht. Heute ist es nicht besser, nur anders. Wir haben unzählige Parteien dazu bekommen, die Demokratie hat gesiegt. Touristen bekommen einen luxuriösen und ultimativen Trip. Die Reichen brauchen keine Märkte mehr zu besuchen, die Reklame im Fernsehen ist teilweise länger als der Film. Von McDonalds bis Gucci, alles vertreten. Ein stinkender Überfluss mit europäischen Preisen. Und was ist mit uns, den alten Kommunisten, die 230 Euro Rente im Monat bekommen? Bis dahin drang die Perestroika nicht vor, da war der Kommunismus schon besser.

Die Kommunisten sterben aus. In spätestens 20 Jahren wird es keine mehr geben. Wir sind schon alt, aber ist es den verkehrt zu teilen und in seinem Leben auf manch ein Gefühl, dass die Demokratie mit sich bringt, zu verzichten? Die Russen begraben gerne ihre Geschichte. Meinst du, es werden irgendwelche Filme oder Dokumentationen über Kommunisten gezeigt, die den wirklichen Sinn widerspiegeln oder Denkmäler aufgestellt, wenn wir endgültig tot sind? Natürlich nicht! Guck dir Deutschland an, von jedem Spinner, bis auf Hitler, gibt es ein Denkmal. Selbst über Hitler gibt es Dokumentationen und ernstzunehmende Filme. Da geht man anders mit Geschichte um. Die unschöne Vergangenheit hat ihren Platz im Leben und der Geschichte gefunden. Über Russland sind die meisten erst ab den Achtzigern aufwärts informiert, sagen wir mal, ab Stalin und da wird es schon eng. Überhaupt herrscht hier eine grobe Naivität diesbezüglich. Wie kann man nur ein Land, das größer als die USA ist, auf Perestroika, Wodka, Tschernobyl, Putin und den Roten Platz reduzieren? Eine Missachtung von Kulturen, wunderbarer, gigantischer und abwechslungsreicher Natur.

Mit den Worten meiner Oma

Eure Xenbel

FAZEmag 14/04.2013 

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