Der Kölner Neumarkt ist laut Polizeipräsident Johannes Hermanns längst kein städtischer Platz mehr, sondern ein Magnet für Drogenkriminalität – „ein im ganzen Land bekanntes Kaufhaus für Drogen“, so sein drastisches Fazit bei einer Veranstaltung mit rund 300 Bürgern. Jugendliche aus ganz Deutschland wüssten, dass hier harte Drogen erhältlich seien, Marihuana am Ebertplatz.
Die Veranstaltung war geprägt von Betroffenheit, Frustration und dem kollektiven Wunsch nach Veränderung. Schon vor dem offiziellen Beginn zeigte sich das Ausmaß der Krise: Isabel Apiarius-Hanstein vom Kunsthaus Lempertz wurde durch eine reglose Person im Hauseingang aufgehalten. Polizei und Rettungsdienste wiesen sich gegenseitig die Zuständigkeit zu – eine kafkaeske Momentaufnahme der Überforderung.
Auch Udo Buschmann von der Kreissparkasse schilderte die Zustände eindringlich: Mitarbeiter und Kunden würden morgens auf kampierende Menschen treffen, „leblos in ihren Ausscheidungen“. Für Frauen sei der Platz ein Angstraum, der nur noch in Gruppen überquert werde. Der Wille zur Veränderung sei da – aber wie diese aussehen könne, blieb unklar.
Ein Blick in die Schweiz sollte Inspiration liefern. Michael Schaub vom Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung berichtete vom Zürcher Modell: Die Stadt hatte in den 80er- und 90er-Jahren mit offenen Heroinabgaben, HIV und Verwahrlosung zu kämpfen. Erst eine konsequente Vier-Säulen-Strategie brachte die Wende: Prävention, Therapie, Schadensminimierung und Repression.
In Zürich wurden verseuchte Flächen einen Meter tief abgetragen, Spritzentauschprogramme eingeführt und Drogenkonsumräume geschaffen. Das Modell gilt heute international als Vorbild. Doch in Köln fehle der politische Wille, so Oberbürgermeisterin Henriette Reker bereits im Januar. Zudem seien im Ordnungsamt 60 Stellen unbesetzt – ein strukturelles Problem.
Stadtdirektorin Andrea Blome verwies zwar auf Kümmerer-Container, neue Gastronomie und mehr Sicherheit durch das Ordnungsamt. Doch das Publikum zeigte sich unbeeindruckt. Viele monierten mangelnde Wirksamkeit der Maßnahmen. Die Polizei hingegen überwacht den Platz rund um die Uhr per Video und ermittelt auch in Zivil.
Trotzdem klagte Apiarius-Hanstein: „Trotzdem wird die Lage im Gegenteil sogar schlimmer.“ Obdachlose aus ganz Europa würden angezogen, Veranstaltungen müssten selbst für Ordnung sorgen. Besonders erschütternd sei die Wirkung auf Kinder: „Wir tolerieren diesen Zustand“, sei das fatale Signal.
Auch wenn Hermanns betonte, dass es „kein Problem gibt, was man nicht lösen kann“, blieb die zentrale Frage: Warum nicht das Zürcher Modell umsetzen? Antwort: zu teuer. Suchtexperte Schaub räumte ein: „Ja, es kostet viel Geld.“ Doch Nichtstun sei langfristig noch kostspieliger.
Die Diskussion war aufgeladen. Ein Anwohner kündigte an, nach München zu ziehen. Kritik an Milliardenprojekten wie dem U-Bahn-Tunnel wurde laut, ebenso Forderungen nach härteren Rückführungen. Hoffnung kam von Markus, einem ehemaligen Abhängigen, der heute alternative Stadtführungen über den Neumarkt anbietet.
Blome resümierte frustriert: „In Köln dauert alles länger. Das ist Mist!“ Doch Schaub hielt dagegen: In Zürich habe es 30 Jahre gedauert – mit Rückschlägen. „Um das Problem zu bewältigen, braucht es eine kontinuierliche Anstrengung“, so der Wissenschaftler. Die Situation sei in Zürich einst „viel schlimmer“ gewesen als in Köln heute.
Am Ende blieb vor allem eins hängen: Die Stadtgesellschaft ist wachgerüttelt, der Wille zur Veränderung greifbar. Doch ohne Personal und finanzielle Mittel bleibt es beim Wunsch. Vielleicht bringt die Kommunalwahl 2025 die Wende. Bis dahin will man den Fortschritt im kommenden Jahr erneut kritisch prüfen.
Quelle: msn
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