Radio Citizen – Gegensätze und Veränderungen

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Niko Schabel ist Radio Citizen, und unter diesem Alter Ego veröffentlicht der Wahl-Münchner jetzt sein drittes Album. Erschienen „Berlin Serengeti“ 2006 und „Hope And Despair“ 2010 noch auf dem US-amerikanischen Label Ubiquity Recordings, so ist Sonar Kollektiv nun Plattform für „The Night & The City“. Und da passt es dank der musikalischen Bandbreite von Radio Citizen perfekt ins genregrenzenübergreifende Konzept der Berliner. Elektronisches trifft auf Akustisches, Bläser auf Keyboards, Samples auf Live-Instrumente. Funk, Soul, Jazz und noch so einiges mehr vereinen sich zu einem bunten Strauß voll abwechslungsreicher und ausgereifter Songs zwischen Lounge und Tanzflur.

Nicht nur für den Musikkonsumenten, sondern auch für Niko selbst war der Wechsel zu Sonar Kollektiv absolut logisch, nachvollziehbar und eben der nächste Schritt: „Es lag einfach nahe. Sonar Kollektiv war von Anfang an total enthusiastisch, und die stilistische Offenheit des Labels passt perfekt zu Radio Citizen“, erzählt Niko im Interview, und auch, wie der Kontakt zum Label überhaupt zustande kam. Das ist nämlich schon eine ganze Weile her. Seinerzeit – vor neun Jahren – lieferte Radio Citizen einen Remix für Sonar Kollektiv-Act Micatone und den Track „Nomad“ ab. Nun fühlt er sich also bestens aufgehoben im Schoße des Berliner Imprints, das ihm als gebürtigem Berliner auch geografisch wesentlich näher liegt. Neben aller Emotionalität hat der Wechsel also auch praktische Folgen: „Ubiquity war sehr weit weg in San Francisco, und damit auf der anderen Seite des Atlantiks. Mit Sonar Kollektiv ist die Zusammenarbeit viel enger und herzlicher. Auch für das Touren mit Band wird es helfen, das Label hier in der Nähe zu haben.“ Ganz so nah wie früher mal ist es dann aber doch nicht, denn Niko ist bereits vor einer Weile nach München gezogen und hat so den Abstand zu den Sonar Kollektiv-Leuten unwillentlich vergrößert. Und könnten zwei deutsche Städte unterschiedlicher nicht sein, den Titel „The Night & The City“ sieht Niko dennoch völlig losgelöst vom jeweiligen Standort: „Der Titel steht nicht unbedingt für eine bestimmte Stadt, da ist genauso London, Malaga oder Deli gemeint.“ Und doch spielte seine Heimatstadt eine wesentliche Rolle bei der Produktion des Albums, wie er zugeben muss:„‘The Night & The City‘ habe ich schon vor Jahren in Berlin angefangen, und eine große Inspiration für dieses Album waren Fotos, die ich von Berlin gemacht habe, wenn ich dort nachts unterwegs war. Es ist schwierig zu sagen, ob das Album anders klingen würde, wenn ich es auch dort fertiggestellt hätte. Ich glaube aber eher nicht.“ Es geht wohl mehr um ein Gefühl, das man in sich trägt, ganz gleich, wo man gerade ist. Und dieses Gefühl setzt sich aus ganz vielen Elementen unterschiedlichster Genres zusammen. Sie alle finden auf „The Night & The City“ eine neue Heimat in einem neuen Umfeld.

Für Niko spielen die verschiedensten Dinge eine Rolle, wenn es um das Sammeln von Inspirationen für neue Musik geht. Er hat uns erklärt, welche es dieses Mal waren: „… alte obskure Platten vom Flohmarkt, afrikanische Field Recordings, Reisen in ferne Länder, das – langweilige – Diktat der geraden Bassdrum, der Track ‚Moth‘ von Burial & Four Tet, Dubechos, Lofi und Hifi, die Stimmung morgens nach einer Clubnacht und ein Winkelmannklavier von 1906.“ So vielfältig das klingt, so vielfältig klingt eben nun auch das Album. Und manchmal klingt es auch ein bisschen aus der Zeit gefallen, was womöglich den Flohmarktplatten geschuldet ist, die älteren Datums sein dürften. Beim Track „Phone“ ist zum Beispiel das für Vinylplatten charakteristische Kratzen und Knacken zu hören. Dennoch ist Niko niemand, der der vielbeschworenen guten alten Zeit nachtrauert. Er weiß die Vorzüge der Moderne durchaus zu schätzen: „Produktionstechnisch wären so ein Album ohne die Digitalisierung nicht möglich – ohne Sampling, Recall, verlustloser Speicherung und ohne leicht transportierbare Aufnahmegeräte. Musikalisch gesehen bin ich eher an Kontrasten interessiert als an Nostalgie, also mehr daran, verschiedene Produktionsweisen und Soundwelten miteinander zu kombinieren und einander gegenüberzustellen. Darum geht es mir, und nicht darum zu versuchen, die alte analoge Zeit wieder aufleben zu lassen. Das Interessante ist doch, dass alles nebeneinander existieren kann, Vinyl und MP3s. Ich nehme digital auf, kann aber trotzdem auf einem schönen alten Analogpult mischen.“
Viele seiner Stücke werden von einem melancholischen Unterton begleitet, der eher ein Schimmern ist als eine klare Aussage. Dennoch lässt die Komplexität seiner Songs hier und da darauf schließen, dass Niko Schabel ein eher nachdenklicher, vielleicht sogar grüblerischer Mensch ist. Niko selbst würde das so aber nicht unterschreiben: „Darüber muss ich erstmal nachdenken! An sich hält sich meine Grübelei in Grenzen, Musik und die eigene Verfassung verhalten sich ja selten eins zu eins.“ Klar ist, dass Niko die Veränderung ebenso braucht, wie die Gegensätze. Und so arbeitet er neben Radio Citizen immer wieder auch an anderen Dingen. Er komponiert zum Beispiel Filmmusik und betreibt das eigene Label Rauschen Records. „Zur Zeit kümmere ich mich aber hauptsächlich um das Album. Allerdings war ich auch gerade eine Woche mit der Express Brass Band in Südtirol. Und Anfang September erschien die Debütsingle von Sound Voyage, einem Projekt, das thailändische Musik mit moderner Clubmusik kombiniert.“

Auf „The Night & The City“ sind diverse Gäste zu hören, darunter Jazzsängerin Natalie Greffel, Drummer Matthias Gelin und Antonis Anissegos am Piano. Und so kann man wohl auch auf etwaige Live-Termine gespannt sein, denn dafür hat Radio Citizen eine feste Band gebucht: „Wir werden wahrscheinlich erst im Februar auf Tour gehen. Live kommt das Ganze wilder und tanzbarer. Unter anderem mit dabei sind dann Johannes Schleiermacher vom Woima Collective, Marja Burchard von Embryo und natürlich Natalie Greffel.“ / Nicole Ankelmann

www.radio-citizen.com
Aus dem FAZEmag 044/10.2015