Reimut van Bonn (VUT): „Der Künstler braucht einen viel längeren Atem“

Reimut van Bonn ist Mitarbeiter beim Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V. (VUT). Im Büro in Berlin-Kreuzberg kümmert er sich um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das Verfassen von Pressemittleilungen und die Betreuung sozialer Netzwerke gehören ebenso zu seinen Aufgaben wie die Teilnahme an Panels, oder auch an Interviews wie dem nun folgenden.

Reimut, welche Vorteile kann es bringen, sich dem VUT anzuschließen?
Bei unserem Verband sind alle ca. 1.300 Mitglieder unabhängig organisiert. Dazu gehören Labels, sich selbstvermarktende Künstler, Vertriebe, Produzenten und Verlage. Unabhängige Unternehmen erzielen mehr als 60% der Unternehmensumsätze in der deutschen Musikwirtschaft. Wir engagieren uns auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene für die Interessen der Musikwirtschaft, deren Kern die Musiker und Autoren bilden. Unseren Mitgliedern bieten wir ein breites Spektrum an Beratungs-, Informations- und Serviceleistungen wie regelmäßige Aus- und Weiterbildungen, Abschlüsse von Rahmenverträgen und Branchennewsletter an. Weiterhin schaffen wir mit unseren Gemeinschaftsständen auf Messen einen Knotenpunkt für den Austausch der Mitglieder untereinander an, der immer sehr gut ankommt. Unsere Regionalgruppen veranstalten Festivals, Infoabende und vieles mehr.

Hat sich denn die Situation für Labels und Musiker wirklich verschlechtert? Oder ist der Markt durch Faktoren wie das Internet einfach härter und umkämpfter geworden?
Das Internet ermöglicht viele tolle Dinge, wie die direkte Kommunikation zwischen den Labels, Künstlern und Fans. In der Promo ist einiges einfacher geworden. Zudem gibt es im Internet eine Vielzahl neuer Geschäftsideen und auch die Möglichkeit online unkompliziert selbst Musik zu veröffentlichen, ohne dabei auf den klassischen Weg zurückgreifen zu müssen. Allerdings sollte man den Weg der Selbstvermarktung nicht unterschätzen, denn ein online verfügbares Release bedeutet noch lange nicht, dass es dies etwas anstößt. Oft benötigt man auch heute ein Netzwerk von Leuten, die zusammen etwas gezielt ins Rollen bringen. Je bekannter die Künstler sind, desto einfacher ist die Selbstvermarktung, da schon eine Wahrnehmung vorhanden ist.
Dadurch, dass jede Band im Internet gefunden werden kann, ist die Konkurrenz weitaus höher als noch vor 15 Jahren. Die Anzahl der Bands und der Vermarktungsmöglichkeiten ist gestiegen, was den Markt spannend, aber auch hart umkämpft macht.
Ein negativer Aspekt des Internets ist der illegale Download, der einen deutlichen Einschnitt für die Musikwelt und auch andere Branchen bedeutet. Damit verbunden ist es für die Rechteinhaber schwierig ihre Rechte im Internet durchzusetzen. Es gibt auch zahlreiche Plattformen (FileHoster oder bestimmte Streamingseiten), auf denen mit dem Inhalt der Musiker und Labels Geld verdient wird, aber nichts bei diesen ankommt. Das muss sich ändern. Es gibt demgegenüber aber eine ganze Reihe von legalen Angeboten, die erst durch das Internet ermöglicht wurden, und regen Zulauf haben, wie z.B. Spotify.

Was ist denn deine Meinung zu solchen Diensten? Sind sie sinnvoll für Künstler, oder wird dort die Musik einfach nur verramscht?
Ich denke, dass Streamingdienste am Anfang ihrer Entwicklung stehen und es noch Entwicklungspotential gibt, alle Parteien zufriedenzustellen. Grundlegend finden wir die neuen Services toll, sie bringen Bewegung in den Markt und bieten einen tiefen Katalog an Musik in guter Qualität, in dem man noch eine Menge entdecken kann und die Urheber, Künstler und Labels Geld bekommen.

Ist so etwas Sporify für die jüngere Generation, die nicht mehr in Plattenläden geht und mit illegalem Herunterladen aufwuchs, überhaupt noch attraktiv?
Klar, warum nicht? In zahlreichen Gesprächen mit Musikfans und jungen politischen Leuten hören wir immer wieder, dass man kein Problem damit habe, für Musik Geld auszugeben.

Gibt es Zahlen, die eindeutig belegen, dass jemand, der einen Song z.B. bei YouTube hört, oder ihn sich illegal herunterlädt, dann trotzdem noch die Platte oder CD oder das digitale Release kauft, um die Musik wirklich zu besitzen?
Nein. Es gibt keine belastbaren Zahlen, die dies belegen. Es wäre abgesehen davon schön, wenn YouTube die Künstler etc. angemessen vergüten würde, dann müssten sich diese vielleicht keine Gedanken mehr darüber machen, wie viele Alben verkauft werden müssen. So bliebe mehr Zeit für den Kern der Angelegenheit: Die Musik. Was man aber miteinander vergleichen kann, ist die Anzahl der illegal geladenen Songs und die Anzahl der verkauften Musikformate. Die Menge der illegal geladenen Songs liegt dabei weit über der der käuflich erworbenen. Die Zahl der insgesamt käuflich erworbenen, digital und physisch zusammen, hat sich seit den 90ern halbiert. Man muss aber auch dazu sagen, dass in Deutschland 60% der Bevölkerung nicht einen einzigen Euro für Musik ausgeben.

War das schon immer so?
Die Statistik ist von Mitte der 2000er und ein Indikator dafür, was davor und danach passierte. Wenn man sich die Klickzahlen bei YouTube und last.fm anschaut, ist es erstaunlich, wie viel Musik gehört wird und wie wenig diese Musik manchmal verkauft. Sie wird also häufig konsumiert, vielleicht wurde sogar nie mehr Musik gehört als heute – und trotzdem gibt es das Problem, dass eine Plattenproduktion aufgrund von Geldmangel aus vorhergegangen Verkäufen, trotz Beliebtheit der Band, schwierig werden kann.

Wie schmal ist denn bei der ganzen Diskussion darüber, ob man noch von Musik leben kann, der Grad zwischen Panikmache und Tatsache?
Es gibt heute eine ganze Reihe von neuen Künstlern gibt, die so erfolgreich sind, wie es sie lange Zeit nicht gegeben hat (Lady Gaga z.B.). Dabei handelt es sich um wenige Ausnahmen. Darüber hinaus gibt es viele verschiedene andere Typen von Künstlern. Acts aus Castingsendungen erlangen schnelle Bekanntheit, die ebenso schnell wieder verfliegt. Die wenigsten Bands gehen direkt durch die Decke und bleiben dann konstant erfolgreich. Die meisten Bands, Produzenten und so weiter halten sich in dem Bereich auf, in dem man jahrelang am Ball bleibt und sich selbst immer wieder ein Stück aufbaut. Es ist oft erstaunlich, wann halbwegs bekannte Bands oder Produzenten ihre ersten Platten veröffentlicht haben und seitdem konstant Gas geben und wann sie letztendlich den Punkt erreichen, von der Musik leben zu können. Für diese Gruppe ist es in der aktuellen Situation unglaublich schwer, den Weg zu verfolgen. Früher konnten Labels Zuschüsse zu Touren zahlen, man konnte langfristig planen, die Plattenverkäufe waren höher als heutzutage … Diese Parameter gibt es nicht mehr, die Band muss meist lange Zeit aus eigener Kraft und Einsatz von verdientem Geld den eigenen Weg pushen. Das hört sich in der Theorie angenehmer an, als es in der Realität ist. In den meisten Gesprächen mit Bands wundert man sich, dass man diese als erfolgreich wahrnimmt und denkt, dass sie davon sicherlich ihr Leben finanzieren können, die Realität aber anders aussieht und in der Regel zusätzlich zur Musik ein normales Arbeitsverhältnis besteht. Sicher ist, dass es heute weitaus schwieriger ist. Der Künstler braucht einen viel längeren Atem und Einsatz abseits der Kreativität, um von seiner Musik – wie auch immer – leben zu können.

Welche Maßnahmen gegen die sinkenden Absatzzahlen schlagt ihr als Verband denn euren Künstlern vor? Wie steht ihr zum Thema Abmahnungen?
Kooperationen, neue Geschäftsfelder, das Ausprobieren neuer Geschäftsmodelle sind Dinge, die angestrebt werden sollten, um dem Negativtrend entgegen zu wirken. Man muss in der heutigen Zeit flexibel sein und auf neue Gegebenheiten schnell reagieren. Ein langer Atem ist unerlässlich. Abseits dessen, ist es wichtig, an der aktuellen Diskussion teilzunehmen, sich zu involvieren und zu berichten, wie die Lage tatsächlich aussieht.
In Deutschland sieht das Gesetz die Abmahnung als einziges Mittel vor, seine Rechte durchzusetzen. Und dieses Mittel greift nur bei aktuellen und sehr erfolgreichen Produktionen, weil nur in diesen Fällen an die Auskunft über den Klarnamen hinter der IP Adresse heranzukommen ist. Für 98% der Veröffentlichung unserer Mitglieder gilt, gegen jegliche Form der Piraterie stehen sie komplett schutzlos da. Sie müssen zusehen, wie ihre Musik kostenlos massenweise genutzt wird und im schlimmsten Falls sehen sie zu, wie andere mit ihrer Musik Geld verdienen. Warum nicht einfach Tonträger oder mp3s der Musik kaufen, die man mag? Ein Abo bei einem Streamingservice abschließen, damit die von mir gehörten Künstler und Labels unterstützt werden?
Eine andere Möglichkeit ist, als Rechteinhaber die FileHoster wie Rapidshare, etc. oder Plattformen wie YouTube zu durchkämmen und jede nicht gewollte Datei beim Dienst anzuzeigen, der diese dann aus seinem System entfernt. Machen wir uns nichts vor, diese Services haben einen zu großen Handlungsfreiraum, sie müssen nur reagieren, wenn sie auf einen Rechtsverstoß auf ihrer Seite von Dritten konkret aufmerksam gemacht wurden. Diese Services verdienen mit den Inhalten anderer Geld, zahlen aber nichts an diese und müssen auf Rechtsverletzung von deren Seiten aufmerksam gemacht werden. Aus Sicht der Urheber ist es eine abstruse Situation, wenn jemand. mit ihrer Musik Geld verdient, sie davon nichts bekommen und dann noch Zeit und Geld investieren müssen, um die Files von den Plattformen nehmen zu lassen. Und kurze Zeit später tauchen sie wieder irgendwo auf.

Ist eine harte Bestrafung denn die richtige Maßnahme gegen solche Verstöße?
Urheber haben in Deutschland Probleme, ihre Rechte im Netz durchzusetzen. Abseits der Abmahnung hält die Politik keine Möglichkeiten bereit, obwohl es bei einem Download um eine Vielzahl von Rechtsverletzungen geht. Unter anderem die auf angemessene Vergütung, als gerechte Entlohnung für die Auswertung ihres Werkes. Ab einem gewissen Punkt ist man davon abhängig, da man von den Kompositionen sein Auskommen bestreiten kann und sich entschließt diesen Weg zu gehen. Man kommt also in die Zwickmühle der eigenen finanziellen Situation und den Leuten, die Musik offenbar mögen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand daran Spaß hat, Abmahnungen zu verschicken, wenn offensichtlich ist, dass genau die Leute die Post bekommen bestimme Musik total super finden. Es muss gewährleistet sein, dass Urheber, Künstler und Labels für ihre ausgewertete Arbeit angemessen entlohnt werden. Wie angesprochen, ist hier die Politik gefragt einzugreifen. Es muss ein größere Verantwortung auf die HostProvider und Anbieter wie GoogleTube gelegt werden, die mit den Inhalten anderer Geld verdienen und sich aus der Verantwortung ziehen. Die ideale Situation wäre, dass jeder von sich heraus bezahlt, wenn er ein Album toll findet. Dann gäbe es diese Diskussion nicht. Es gibt etliche neue Geschäftsmodelle, legale Streamingplattformen und Downloadstores mit Vorhörfunktionen, die auch das angebliche Runterladen zum Vorhören obsolet machen. Es wäre einfach cool, wenn ein Bewusstsein entstünde, dass es bei einer Vielzahl der gemochten Veröffentlichungen um Künstler geht, die auf die Verkäufe angewiesen sind, um ihre nächste Platte produzieren zu können.

Inwieweit werden Musiker und Labels überhaupt in politische Entscheidungen mit einbezogen?
Es gibt Gespräche, bei denen Labels und Künstler (wie z.B. auch in diesem Gespräch) oder wir als Verband gefragt werden. Es gab auch bereits Initiativen, bei denen Experten beraten haben, aber kein einziger künstlerischer Urheber in die Entscheidungsfindung mit einberufen wurde, obwohl es um die Ausgestaltung des Urheberrechts ging. Das ist kritikwürdig. Ideal wäre es verschiedene Urheber aus verschiedenen Bereichen zu bestimmten Punkten zu befragen, da kreative Arbeit unterschiedlich funktioniert, jeder Künstler auf seine Art einzigartig ist. Man denkt ja immer, die große Musikindustrie sei überall dabei, aber der Musikmarkt hat gar keine so große Wirtschaftskraft wie etwa der Technologiemarkt. Das von Google investierte Geld ins Lobbying erreicht aus Sicht der Musikwelt astronomische Höhen. Allein für das Geld, das Google in sein Berliner Google Institut steckt, könnten wir allen VUT Mitgliedern zusammen für 20 Jahre die Mitgliedsbeiträge erlassen. Der VUT finanziert sich ja ausschließlich von Mitgliedsbeiträgen. Die Lobbyarbeit der ganzen Technologieunternehmen besitzt ganz andere Kräfte. Bei ACTA hieß es, die Lobby der Musikindustrie habe großen Einfluss ausgeübt und deswegen sei das Papier so schwammig formuliert. Eine andere Sichtweise sagt, das Papier sei so schwammig formuliert, da die Technikanbieter und Internetfirmen sich nicht von den Inhalteanbietern in die Verantwortung nehmen lassen wollen und daher die Feile angesetzt wurde.
Es ist ein für und wider. Man muss sich in der Mitte treffen, aber gerade ist der Konsens noch nicht gefunden. Da das Internet noch neu ist, kann man sich auch nicht auf etwas berufen, dass vor 20, 30 Jahren schon da war.

 

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