„Wir haben uns im großartigen Schulsystem von Reyjavík kennengelernt“, erzählt mir Unnsteinn Manuel Stefánsson, Sänger und Gitarrist des siebenköpfigen Musikerkollektivs Retro Stefson und einer von drei Stefánsson-Brüdern in diesem Verbund. Am 22. März erschien nach „Montaña“ (2009) und „Kimbabwe“ (2011) deren drittes Album „Retro Stefson“ auf dem eigenen Label Le Frères Stefson. Die erste Single „Glow“ des schon 2012 in ihrer Heimat Island erschienenen Longplayers erleuchtete bei uns bereits Herbst und Winter mit großer House-Geste, sommerlicher Vorfreude und Radiohitpotenzial.
Und die heutigen Bandmitglieder von Retro Stefson waren durchaus nicht die einzigen Musiker an ihrer Schule. „Auch heutige Mitglieder von FM Belfast und múm waren dort. Sich für elektronische Musik zu interessieren, war also fast ein natürlicher Prozess. Wir haben zunächst mit akustischen Instrumenten begonnen, aber um unseren Sound weiterzuentwickeln, haben wir nach und nach und eher unbewusst Synthezisersounds, perkussive Elemente und mehr hinzugefügt.“Seit der Gründung der Band in 2006 – seinerzeit waren alle Mitglieder noch im Teenageralter – hat man immerhin bereits drei Alben auf die Beine gestellt, klingt wahnsinnig vielseitig und mit „Retro Stefson“ noch einmal erwachsener als zuvor. Lässt einen Island als Musiker schneller reifen? „Ich kann nicht sagen, ob dort ein spezieller Sound oder Spirit vorherrscht, aber wir haben das Glück, uns um Harmonien und Melodien lange Gedanken machen zu können, weil wir sonst keine Sorgen haben. Island ist ein Erste-Welt-Land und es gibt fließendes Wasser und immer genug zu essen. Ein anderes Ding ist sicher die Isolation. Wir haben keine große Musikindustrie, also fühlen wir auch nicht den Druck, Platten zu verkaufen oder vor ausverkauftem Haus zu spielen. Das schont die Nerven. Es gibt viel cooles Zeug in Island, das uns definitiv beeinflusst hat. Und überhaupt in ganz Skandinavien, also würde ich sagen, wir wurden durch einen gesunden Mix aus Scandinavian Disco, American R’n’B, German Techno und African Rhythms inspiriert. Ich habe auch kürzlich herausgefunden, das die meisten meiner Einflüsse Produzenten sind, und keine Musiker im eigentlichen Sinne – wie Dr. Dre, Lindstrøm und Björk natürlich. Für mich ist sie eine der großartigsten Produzenten weltweit.“ Trotz dieser Island-Lobhudelei zog es die Band neulich für eine ganze Weile gesammelt nach Berlin. „Teil dieser Entscheidung war, dass unser Plattenlabel seinen Sitz dort hat. Außerdem ist die Stadt sehr musikerfreundlich. Es ist günstig dort, recht einfach, guten Service zu finden, Van-Vermietungen, Arbeitsraum und so weiter. Aber auch auf persönlicher Ebene ist es sehr schön in Berlin. Außerdem ist es für jeden wichtig, einmal im Leben die Erfahrung als Fremder in der Ferne gemacht zu haben.“ Inzwischen nennen Retro Stefson wieder Reyjavík ihren ersten Wohnort, und doch hatte die Hauptstadt bedingt Einfluss auf das musikalische Werk der Band. „Wir haben nie wirklich dort produziert, lediglich der Schreibprozess für das Album fand in Berlin statt. Wir leben in der Nähe von Moabit, dort muss man sich keine Sorgen machen, dass man zu nichts kommt, weil drumherum zu viel los ist. Aber wir haben die Zeit dort sehr genossen.“ Seit Ende März sind Retro Stefson auf Tour und bereisen u.a. im großen Stil die Schweiz und Deutschland. Für ihre Konzerte versprechen sie eine große Dance- Party und so manche Überraschung. Alle Termine gibt es auf der Website der Band.