Rhys Fulber – Der Architekt

Rhys Fulber, Ladies and Gentlemen. Der Kanadier ist vor allem bekannt als Bestandteil der legendären Electro-Industrial-Band Front Line Assembly (gemeinsam mit Bill Leeb), auch gerne abgekürzt einfach FLA, blickt aber unter anderem ebenso auf Releases als Delerium, Conjure One und eben als Rhys Fulber zurück. Unter letztgenanntem Pseudonym aka seinem richtigen Name veröffentlichte der 51-Jährige zuletzt vier Alben in zwei Jahren. Uff. Mit „Brutal Nature“ hat er nun die nächste LP hinterhergeschoben. Im Gespräch erzählt uns das Powerhouse mitunter vom Produktionsprozess des Albums und von seiner Vorliebe für Architektur. Let’s go!

Inmitten der Albumproduktion hieß es für Rhys Fulber zunächst einmal: Sachen packen! Denn Fulber hat sich vom Leben im sonnigen Los Angeles verabschiedet und ist zurück nach Kanada gezogen, genauer gesagt in eine kleine Stadt an der Küste außerhalb Vancouvers. Klingen die in L.A. produzierten Tracks also anders als jene, die am Meer entstanden sind? Durchaus. Er erklärt: „Viele Ideen sind während des Lockdowns in einem Vorort von Los Angeles entstanden und konnten somit sehr gut reifen. Verfeinert habe ich das Material dann aber hier in Kanada. Ich habe die Mixe an einem kalten abgelegenen Strand über einen Bluetooth-Lautsprecher gehört und diese Umgebung hat letztlich viele Feinheiten bestimmt, sogar bei den clubfreundlicheren Tracks.“

Der Titel „Brutal Nature“ ist im Übrigen „eine Anspielung auf den Verfall, den die Zivilisation und Industrialisierung hinterlässt und hinterher wieder von der Natur übernommen wird, sodass die Natur mit der Zeit triumphieren wird“, erklärt Fulber, der der Meinung ist, dass man schon mit kleinen Entscheidungen wie bewusstem Recycling einen Beitrag für die Umwelt leisten kann.

Wer sich das Cover des Albums anschaut, dem wird schnell klar: Dieser Mann interessiert sich nicht nur für Musik und Fotografie, sondern auch für Architektur. Besonders faszinieren ihn Bauten mit ausrangierten Stilen sowie Lost Places – also verlassene Orte. „Diese Orte sind immer noch mit Erinnerungen und mit den Seelen, die einst dort lebten, verknüpft. Das begeistert mich“, so Fulber, bei dem auch der Stil der sozialistischen Moderne hoch im Kurs steht: „Ich bin fasziniert von ihrem Stil und von dem detaillierten Artwork der Skulpturen und Mosaiken, die sie umgeben. All diese unglaubliche Kunst, die für den Staat gemacht wurde, aber in gewisser Weise subtil subversiv ist.“

Aber zurück zu dem Bereich, in dem Fulber mit seinen Kompositionen selbst architektonische Meisterleistungen vollbringt: der Musik. Nicht zuletzt aufgrund der Pandemie und der Nutzung eines kleineren Heimstudios sind die zehn Tracks auf „Brutal Nature“ phasenweise intimer als das, was wir sonst vom kanadischen Mastermind gewohnt sind. Dies äußert sich über schimmernde Ambient-Texturen und schwebende Stimmen, die von pulsierenden technoiden Rhythmen untermalt sind. Unverkennbar sind hingegen die industriellen Front-Line-Assembly-Einflüsse, die sich etwa auf dem EBM-artigen „Stare At The Sun“ bemerkbar machen. Seit 35 Jahren existiert FLA mittlerweile, und ein Ende ist nicht in Sicht. Dennoch fühle sich das Spielen in der Band nicht mehr an wie früher: „Heutzutage gleichen wir eher einer Rockband, da elektronische Musik in den letzten 15 Jahren zu einem eher solitären Genre geworden ist, mit einer ganz anderen Energie. Jetzt assoziiert man elektronische Musik eben nicht mehr mit einer Band, sondern mit einem DJ“, erläutert Fulber, der stets versuchte, seine früheren Stile an ein moderneres Format anzupassen. So geschehen auch bei seinen Releases als Rhys Fulber. „Es fühlt sich wie ein sehr kreatives und freies Format an, bei dem ich das tun kann, was ich fühle und mich trotzdem weiterentwickeln kann.“

Ob als Front Line Assembly, Conjure One oder Rhys Fulber, seinen Zenit hat der Tausendsassa noch lange nicht erreicht. Und schon jetzt steht ein weiteres Album in den Startlöchern, das nächstes Jahr herauskommen soll. „Es gibt noch viele Ideen, die ich ausprobieren möchte“, bekundet er abschließend. Herr Fulber, Sie haben unser vollstes Vertrauen.

„Brutal Nature“ ist am 26. November auf FR Recordings erschienen.

 

Aus dem FAZEmag 118/12.21
Text: Milan Trame                                                                  
www.rhysfulber.bandcamp.com